Heft September 2022

Übertragener Wirkungskreis

Hebt die Widerspruchsbehörde einen im übertragenen Wirkungskreis ergangenen Bescheid über die Kosten der unmittelbaren Ausführung einer Abrissmaßnahme auf den Widerspruch des Kostenschuldners auf, wird der als Ausgangsbehörde handelnde Landkreis hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt.

BVerwG, Urteil vom 09.12.2021
- Az.: 4 C 3.20 -

In Streit stand die Rechtmäßigkeit eines Widerspruchsbescheids, mit welchem der Bescheid eines sachsen-anhaltinischen Landkreises über die Erhebung von Kosten für die unmittelbare Ausführung einer Abrissmaßnahme aufgehoben wurde. Der Landkreis hatte einem Grundstückseigentümer Kosten für die unmittelbare Ausführung einer Abrissmaßnahme in Höhe von knapp 100.000 Euro auferlegt. Auf den Widerspruch des Eigentümers hob das Land als Widerspruchsbehörde den Kostenbescheid mit Widerspruchsbescheid jedoch auf, erlegte dem Landkreis die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen des Eigentümers auf und erklärte die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig. Dies sah der Landkreis anders und klagte gegen die Entscheidung der Widerspruchsbehörde. Dies hatte bereits in den Vorinstanzen keinen Erfolg: Die Klage sei mangels Klagebefugnis unzulässig. Das Oberverwaltungsgericht führte aus, dass die Ausgangsbehörde im übertragenen Wirkungskreis durch eine einem Widerspruch stattgebende Entscheidung grundsätzlich nicht in eigenen Rechten verletzt werde. Dem Kläger stehe keine Rechtsposition zur Seite, die eingriffsgeschützt und abwehrfähig sei, insbesondere ergebe sich eine solche nicht aus der kommunalen Finanzhoheit. Zur Begründung seiner Revision machte der Kläger geltend, dass er durch den Widerspruchsbescheid in seinem Selbstverwaltungsrecht verletzt werde. Betroffen sei die Finanzhoheit, weil der angefochtene Bescheid unmittelbare Wirkung auf die kommunale Haushaltsführung habe. Ein Kostenanspruch werde zunichtegemacht. Zudem seien ihm das Recht auf Vereinnahmung einer Verwaltungsgebühr abgesprochen und die Kosten der anwaltlichen Vertretung des Beigeladenen auferlegt worden.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist indes den Vorinstanzen gefolgt. Durch die Aufhebung des Kostenbescheids werde der Kläger offensichtlich nicht in seinen Rechten verletzt. Ein Landkreis als Gemeindeverband sei im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes befugt, das ihm hinsichtlich der kreiskommunalen Aufgaben zustehende Recht auf Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG) geltend zu machen. Das Recht zur eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG beziehe sich aber nur auf gesetzlich zugewiesene Aufgaben des eigenen Wirkungskreises. Aus Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises könnten sich hingegen grundsätzlich keine eigenen Rechte eines Landkreises ergeben, weil er insoweit staatliche Aufgaben wahrnehme, also solche des Landes, und daher durch eine von seinen Wünschen oder Vorstellungen abweichende Entscheidung der Widerspruchsbehörde grundsätzlich nicht in seinen Rechten im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO verletzt sein könne. Erhebe er für eine Maßnahme des übertragenen Wirkungskreises wie hier Kosten (Gebühren und Auslagen), erfolge dies als Annexregelung zur unmittelbaren Ausführung ebenfalls im übertragenen Wirkungskreis. Damit sei eine Verletzung des Klägers in eigenen Rechten grundsätzlich ausgeschlossen.

Etwas anderes gelte dann, wenn - neben der auf die Sachaufgabe bezogenen Zuständigkeitsregelung - das materielle Recht, sei es einfaches oder Verfassungsrecht, zugunsten des Gemeindeverbandes eine Rechtsposition begründe, die ihrerseits eingriffsgeschützt und daher abwehrfähig ist. Das sei etwa dann der Fall, wenn die übertragene Aufgabe zugleich in den eigenen Wirkungskreis, also das Selbstverwaltungsrecht, oder in das Eigentumsrecht oder die Verfügungsberechtigung des Gemeindeverbandes eingreife. Eine vergleichbare wehrfähige Rechtsposition zugunsten des Klägers bestehe vorliegend nicht. In der für das BVerwG bindenden Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) begründeten die einschlägigen Normen keine Schutzwirkung zugunsten eines Landkreises, wenn die unmittelbar durchgeführte Maßnahme rechtswidrig war. Denn deren Rechtmäßigkeit sei tatbestandliche Voraussetzung für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch. Sei aber die Bewertung der unmittelbaren Ausführung als rechtswidrig seitens der Widerspruchsbehörde einer gerichtlichen Überprüfung auf Antrag des Klägers entzogen, könne für die rechtlich zwingende Folge der Aufhebung des hierauf bezogenen Kostenerstattungsanspruchs nichts anderes gelten. Auch aus dem Verfassungsrecht könne der Kläger keine wehrfähigen Rechte für sich herleiten, insbesondere ergäben sich solche nicht aus der im Selbstverwaltungsrecht wurzelnden Finanzhoheit. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG gewährleisteten u.a. den Gemeindeverbänden das Recht zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens. Der Schutzbereich dieser Gewährleistung umfasse nicht einzelne Vermögenspositionen; ein Gemeindeverband könne sich daher nicht unmittelbar unter Berufung auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Finanzhoheit dagegen wenden, dass ihm einzelne Einnahmen entzogen oder verwehrt werden. Zu den Grundlagen der verfassungsrechtlich garantierten finanziellen Eigenverantwortung gehöre jedoch eine aufgabenadäquate Finanzausstattung des Gemeindeverbandes. Diese setzt voraus, dass die verbandseigenen Finanzmittel ausreichten, um dem Gemeindeverband die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Erfüllung selbst gewählter Aufgaben zu ermöglichen. Ausgehend davon könne sich ein Gemeindeverband dann gegen finanzielle Belastungen durch staatliches Handeln wenden, wenn er eine nachhaltige, von ihm nicht mehr zu bewältigende und hinzunehmende Einengung seiner Finanzspielräume darlegt und nachweist. Auch hiernach sei eine Verletzung der Finanzhoheit des Klägers allerdings ausgeschlossen. Denn das OVG habe - mit für den Senat bindender Wirkung - festgestellt, dass die dem Kläger durch den Widerspruchsbescheid entstehenden finanziellen Folgelasten kein von ihm nicht mehr zu bewältigendes Maß erreichten.

 

Betrieb eines kommunalen Internetportals

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass das Internetangebot einer Kommune in Form eines Stadtportals, in dem nicht nur amtliche Mitteilungen, sondern auch Informationen über das Geschehen in der Stadt abrufbar sind, das Gebot der "Staatsferne der Presse" nicht verletzt, wenn der Gesamtcharakter des Internetangebots nicht geeignet ist, die Institutsgarantie der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden.

BGH, Urteil vom 14.07.2022
- Az.:
- I ZR 97/21 -

Die Klägerin ist ein Verlag, der neben Tageszeitungen in Form von Printmedien auch digitale Medien anbietet, darunter ein Nachrichtenportal. Die beklagte Stadt Dortmund betreibt ein Internetportal, in dem nicht nur amtliche Mitteilungen, sondern auch redaktionelle Inhalte veröffentlicht werden. Nach der über das Internetportal abrufbaren Eigenwerbung soll es umfassend und aktuell über das Geschehen in der Stadt informieren. Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie ist der Auffassung, das Internetportal überschreite die Grenzen der zulässigen kommunalen Öffentlichkeitsarbeit und sei deshalb nach § 3a UWG in Verbindung mit dem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Gebot der Staatsferne der Presse wettbewerbswidrig.

Nach Auffassung des BGH verstößt das Internetportal in der von der Klägerin beanstandeten Fassung jedoch nicht gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Gebot der Staatsferne der Presse. Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse seien bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der daraus folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits sowie der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits zu bestimmen. Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden fänden ihre Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, insbesondere in der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Die darin liegende Ermächtigung zur Information der Bürgerinnen und Bürger erlaube den Kommunen allerdings nicht jegliche pressemäßige Äußerung mit Bezug zur örtlichen Gemeinschaft. Kommunale Pressearbeit finde ihre Grenze in der institutionellen Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, welche die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt garantiert. Diese sei unabhängig davon einschlägig, dass die Klägerin nicht ein Druckerzeugnis der Beklagten, sondern deren Internetauftritt und damit ein Telemedienangebot beanstandet. Das Gebot der Staatsferne der Presse schütze auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann.

Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen seien deren Art und Inhalt sowie eine wertende Gesamtbetrachtung maßgeblich. Dabei sei entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden. Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, sei das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Für die Gesamtbetrachtung könne deshalb bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne verletzenden Beiträge das Gesamtangebot prägen. Die vom Berufungsgericht nach diesen Maßstäben vorgenommene Beurteilung des Internetportals der beklagten Stadt hat der Bundesgerichtshof nicht beanstandet. Das Berufungsgericht hatte die Klage abgewiesen.

 

Kalkulation von Abwassergebühren

Die Abwassergebührenkalkulation der Stadt Oer-Erkenschwick für das Jahr 2017 ist nach Auffassung des OVG NRW rechtswidrig, weil die konkrete Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen zu einem Gebührenaufkommen führt, das die Kosten der Anlagen überschreitet. Dies hat das OVG in einem Musterverfahren entschieden und damit seine langjährige Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren geändert.

OVG NRW, Urteil vom 17.05.2022
- Az.:
9 A 1019/20 -

Ein Bürger aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Festsetzung von Schmutz- und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 geklagt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies die Klage im Jahr 2020 ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg, das Oberverwaltungsgericht hob den Gebührenbescheid auf.

Die Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren in der Stadt Oer-Erkenschwick aus November 2016, die dem Gebührenbescheid für 2017 zugrunde liegt, ist nach Auffassung des OVG unwirksam. Die Gebühren seien insgesamt um rund 18 % überhöht gewesen. Neben einem geringfügigen Rechenfehler (doppelter Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und Geräte) lägen nach der nun erfolgten Änderung der bisherigen, 1994 begründeten Rechtsprechung des OVG zwei grundlegende Kalkulationsfehler vor. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) sei unzulässig. An der bisherigen anderslautenden Rechtsprechung werde nicht mehr festgehalten. Diese Kombination von Abschreibungen und Zinsen sei nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten zwar betriebswirtschaftlich vertretbar, worauf das Kommunalabgabengesetz zunächst abstellt. Aus der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen ergebe sich aber der Zweck der Gebührenkalkulation, durch die Abwassergebühren nicht mehr als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung sicherzustellen. Die Gebühren dürften nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung des Anlagevermögens auf der Basis seines Wiederbeschaffungszeitwertes sowie einer kalkulatorischen Nominalverzinsung widerspreche diesem Kalkulationszweck, weil er einen doppelten Inflationsausgleich beinhalte. Außerdem sei der von der Stadt in der Gebührenkalkulation - ebenfalls auf Basis der bisherigen Rechtsprechung - angesetzte Zinssatz von 6,52 % sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, gehe über eine angemessene Verzinsung des für die Abwasserbeseitigungsanlagen aufgewandten Kapitals hinaus. Das OVG hält es bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein Zinssatz von 2,42 %.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

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