Heft November 2021

Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen ab 2014

Mit am 18.08.2021 veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen gem. § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.

BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021
- Az.: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 -

Die zugrunde liegenden Verfassungsbeschwerden hatten die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO auf Gewerbesteuer nach einer Außenprüfung zum Gegenstand. § 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer und ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Von der Vollverzinsung betroffen sind damit lediglich diejenigen Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. Praktisch bedeutsam sind insoweit insbesondere (geänderte) Steuerfestsetzungen nach einer Außenprüfung. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %, also 6 % jährlich. Von der Verzinsung erfasst werden nur die in § 233a Abs. 1 Satz 1 AO abschließend aufgezählten Steuerarten der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer. Die Vollverzinsung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich.

Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stellt nach Auffassung des Gerichts eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern dar, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird. Diese Ungleichbehandlung erweise sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Ein geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasse ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.

Das bisherige Recht ist aufgrund des Urteils für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

 

Öffentlichkeit von Ratssitzungen

Eine Verletzung des kommunalrechtlichen Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit durch fehlerhafte Vergabe eines Teils der Sitzplätze führt zur Nichtigkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse, wenn die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet war.

BVerwG, Urteil vom 27.09.2021
- Az.: 8 C 31.20 -

Der Bürgermeister der Stadt Gladbeck berief für den 26.11.2015 eine Ratssitzung ein. Wegen des erwarteten großen Zuschauerinteresses vergab die Verwaltung Eintrittskarten. Von den insgesamt 73 Plätzen wurden acht der Presse, neun verschiedenen Funktionsträgern und sieben dem Bürgermeister zur Verfügung gestellt. Die im Rat vertretenen Fraktionen erhielten insgesamt 25 Karten, die ihnen im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil bei der Kommunalwahl 2014 zugeteilt wurden. Die restlichen 24 Karten vergab die Verwaltung nach der Reihenfolge der Anfragen.

Die Klägerin, eine Ratsfraktion, hat gegen den Rat der Stadt Klage erhoben und geltend gemacht, dieses Vergabesystem verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit und führe zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, die Beschlüsse des Beklagten aus dem öffentlichen Teil der Ratssitzung seien unwirksam. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil teilweise geändert. Es hat die Feststellung der Verletzung von Organrechten der Klägerin aufrechterhalten. Den weitergehenden Antrag, die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen, hat es jedoch abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil im Ergebnis bestätigt. Seine Annahme, der Beklagte habe die Organrechte der Klägerin verletzt, indem er bei Durchführung der Ratssitzung gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verstoßen habe, stehe mit Bundesrecht im Einklang.

Das Berufungsgericht sei in seiner Auslegung des Landesrechts davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten verlangt. Eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen habe es nur für zulässig gehalten, soweit sie aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt. Dieser Maßstab verletze kein höherrangiges Recht und stehe insbesondere mit dem Demokratiegebot im Einklang. Revisionsrechtlich fehlerfrei sei auch die Annahme, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse.

Dem Demokratiegebot widerspreche aber die Annahme, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe. Richtigerweise sei darauf abzustellen, ob die Funktion der Sitzungsöffentlichkeit, demokratische Kontrolle sicherzustellen, noch gewährleistet ist. Das sei hier der Fall gewesen.

 

Festlegung der Kreisumlage ohne Information über gemeindlichen Finanzbedarf

Die verfassungsrechtliche Pflicht des Landkreises, bei der Erhebung der Kreisumlage den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und gleichrangig mit dem eigenen zu berücksichtigen, ist verletzt, wenn der Kreistag über einen von der Kreisverwaltung vorgeschlagenen Umlagesatz beschließt, ohne dass ihm zumindest die zugrunde gelegten Bedarfsansätze der betroffenen Gemeinden vorlagen.

BVerwG, Urteile vom 27.09.2021
- Az.: 8 C 29.20, 8 C 30.20 -

Die Klägerinnen, kreisangehörige Kommunen im Gebiet des jeweils beklagten Landkreises in Sachsen-Anhalt, wenden sich gegen die Festsetzung der Kreisumlage für das Jahr 2017. In beiden Verfahren hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen. Die Umlagefestsetzung verletze jeweils das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Kommunen. Danach müssten die Daten zum Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden den Kreistagsmitgliedern vor der Beschlussfassung über die Haushaltssatzung in geeigneter Weise – etwa tabellarisch – aufbereitet zur Kenntnis gegeben werden. Das sei jeweils nicht geschehen. Die ausschließlich verwaltungsinterne Ermittlung und Bewertung des Finanzbedarfs genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

Während des Revisionsverfahrens hat der Landesgesetzgeber eine Regelung erlassen, die eine Änderung der Haushaltssatzung zur Behebung von Fehlern (mit bestimmten Ausnahmen) auch nach Ablauf des Haushaltsjahres zulässt. Daraufhin haben die Kreistage beider Beklagten den Kreisumlagesatz für 2017 jeweils vorsorglich – unverändert – neu beschlossen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Revisionen der Beklagten stattgegeben, die Berufungsurteile aufgehoben und beide Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Allerdings habe das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die ursprünglichen Haushaltssatzungen das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht wegen Verstößen gegen daraus abzuleitende Verfahrenspflichten verletzen. Nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes müsse der Landkreis bei der Festsetzung der Kreisumlage den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden ermitteln und ihn gleichrangig mit dem eigenen berücksichtigen. Außerdem müsse er seine Entscheidung offenlegen, damit sie von den Gemeinden und den Gerichten überprüft werden kann. Zwar obliege die nähere Ausgestaltung des Verfahrens dem Landesgesetzgeber und, soweit gesetzliche Regelungen fehlen, den Landkreisen selbst. Dabei müssten jedoch die verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet werden. Sie seien überschritten, wenn der nach Landesrecht für die Umlagefestsetzung zuständige Kreistag nur über einen von der Kreisverwaltung vorgeschlagenen Umlagesatz beschließt, ohne dass ihm zumindest die ermittelten Bedarfsansätze vorlagen. Bei einem solchen Vorgehen werde auch die Offenlegungspflicht nicht gewahrt.

Bei der Entscheidung im Revisionsverfahren seien jedoch die Rechtsänderungen nach Ergehen der Berufungsurteile zu berücksichtigen. Ob die angegriffenen Bescheide von den vorsorglich erlassenen neuen, rückwirkenden Satzungsbestimmungen gedeckt werden, könne das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend beurteilen. Eine Rechtfertigung durch die neuen Satzungsbeschlüsse scheitere nicht schon daran, dass eine landesgesetzliche Ermächtigung zur rückwirkenden Heilung mit Bundesverfassungsrecht unvereinbar wäre. Die Ermächtigung enthalte aber eine mehrdeutige Ausnahmeregelung, deren Auslegung das Oberverwaltungsgericht zu klären habe.

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