Heft Mai 2022

Themenbezogene Widmungsbeschränkung und Meinungsfreiheit

Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema ausschließt, verletzt das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig entschieden.

BVerwG, Urteil vom 20.01.2022
- Az.: 8 C 35.20 -

Der Kläger beantragte die Überlassung eines städtischen Veranstaltungssaales, um dort eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? - Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 und seine Folgen“ durchzuführen. Nach diesem Beschluss dürfen für Veranstaltungen, die sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der sogenannten BDS-Kampagne („Boycott, Divestment and Sanctions“) befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben, keine städtischen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Der Begründung zufolge sollen städtische Räume nicht für eine Unterstützung der Kampagne genutzt werden. Schon die Befassung mit ihr wird ausgeschlossen, um Umgehungen zu verhindern. Der Antrag des Klägers wurde unter Bezugnahme hierauf abgelehnt. Seine daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Antrag des Klägers zu entsprechen.

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der kommunalrechtliche Anspruch der Gemeindeangehörigen, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, bestehe - so das BVerwG - zwar nur im Rahmen der von der Gemeinde für die jeweilige öffentliche Einrichtung festgelegten Widmung. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schloss die Widmung des Saals kommunalpolitische Diskussionsveranstaltungen aber ein. Den Stadtratsbeschluss der Beklagten habe das Berufungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei als nachträgliche Beschränkung des Widmungsumfangs eingeordnet. Diese sei rechtswidrig und unwirksam, weil sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletze.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Der Stadtratsbeschluss greife in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, weil er eine nachteilige Rechtsfolge - den Ausschluss von der Benutzung öffentlicher Einrichtungen - an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen knüpfe. Die darin liegende Beschränkung der Meinungsfreiheit sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit unterliege den Grenzen der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG). Der Stadtratsbeschluss sei schon kein Rechtssatz. Er treffe auch keine in diesem Sinne allgemeine Regelung. Der Beschluss sei nicht meinungsneutral. Er sei auch nicht mit dem Schutz von Rechtsgütern zu rechtfertigen, die schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützen sind. Das wäre der Fall, wenn Meinungsäußerungen die geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verließen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlügen, weil sie die Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährdeten und so den Übergang zu Aggression und Rechtsbruch markierten. Nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils sei dies bei der vom Kläger geplanten Veranstaltung nicht zu erwarten.

 

Kostenerstattung für die Flüchtlingsunterbringung im Jahr 2015

Die Städte Xanten und Lennestadt haben nach Auffassung des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) keinen Anspruch auf eine Erstattung von Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden im Jahr 2015, die über die bereits vom Land Nordrhein-Westfalen gezahlten Beträge hinausgeht.

OVG NRW, Urteil vom 05.11.2021
- Az.: 15 A 3142/19, 15 A 3143/19 -

Die Städte könnten sich, so das Gericht, nicht darauf berufen, sie hätten dem Land mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge Amtshilfe geleistet und deshalb einen Anspruch auf vollständige Kostenerstattung. Bei der Flüchtlingsaufnahme habe es sich um eine kommunale Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung gehandelt. Die Pflicht zur Aufnahme und Unterbringung ausländischer Flüchtlinge sei seinerzeit durch personenbezogene Zuweisungsentscheidungen der zuständigen Landesbehörde konkretisiert worden, die von den Städten nicht angefochten worden seien. Daher könnten sie nun nicht einwenden, dass viele der aufgenommenen Personen nicht um Asyl nachgesucht hätten oder nicht aus den vom Land betriebenen Aufnahmeeinrichtungen hätten entlassen werden dürfen. Der Argumentation der Städte, angesichts der sehr hohen Flüchtlingszahlen des Jahres 2015 und der Überlastung der landeseigenen Einrichtungen könne von einer ordnungsgemäßen Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen des Landes nicht die Rede sein, ist das Oberverwaltungsgericht nicht gefolgt.

Der Rechtsgrund dafür, dass den Städten nicht alle entstandenen Kosten zu erstatten seien, liege in den seinerzeit geltenden Vorschriften des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Die maßgeblichen Regelungen seien verfassungskonform. Zwar seien Kommunen mit landeseigenen Aufnahmeeinrichtungen auf ihrem Gemeindegebiet nach damaliger Rechtslage entlastet worden, indem ihnen weniger Flüchtlinge zur kommunalen Unterbringung zugewiesen wurden, als es dem Zuweisungsschlüssel entsprochen hätte. Die dadurch bedingte Mehrbelastung anderer Gemeinden (so auch der klagenden Städte) habe aber nicht gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot verstoßen, weil sie auf einer sachlich vertretbaren Differenzierung beruht habe. Denn das Land wollte mit der Entlastung einen Anreiz zur Akzeptanz von landeseigenen Aufnahmeeinrichtungen geben, der auch Wirkung entfaltet habe - die Aufnahmekapazitäten der erforderlichen Landesaufnahmeeinrichtungen habe so im Laufe des Jahres 2015 binnen kurzer Zeit massiv erhöht werden können. Ende 2016 novellierte der Landesgesetzgeber das Flüchtlingsaufnahmegesetz, um „verzerrenden Effekten“ entgegenzuwirken. Dass er zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Gemeinden gehalten war, noch für das Jahr 2015 eine (gegebenenfalls rückwirkende) gesetzliche Neuregelung zu schaffen, lasse sich in Anbetracht der damaligen Ausnahmesituation sowie unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Mehrbelastung nicht feststellen.

Die Revision ist nicht zugelassen worden. Dagegen können die klagenden Städte Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

 

Auswahlverfahren für eine Beigeordnetenstelle

Das nordrhein-westfälische OVG hat der Stadt Duisburg vorläufig untersagt, die von ihr ausgeschriebene Stelle einer Beigeordneten/eines Beigeordneten für das Dezernat für Umwelt und Klimaschutz, Gesundheit, Verbraucherschutz und Kultur mit dem vom Rat gewählten Bewerber zu besetzen. Es hat damit der Beschwerde einer im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerberin stattgegeben, die mit ihrem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf noch erfolglos geblieben war.

OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2021
- Az.: 6 B 1176/21 -

Das Auswahlverfahren zur Besetzung der in Duisburg ausgeschriebenen Beigeordnetenstelle verletzt laut OVG den Grundsatz der Bestenauslese. Danach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Wahl eines Beigeordneten durch den Rat sei zwar als freie und nur den Bindungen des Gesetzes und des Gewissens unterworfene Entscheidung der Ratsmitglieder einer inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle entzogen. Das zur Wahl führende Verfahren müsse aber dem Grundsatz der Bestenauslese genügen und der Rat dürfe die Auswahlentscheidung auch nicht in Teilen Dritten überlassen. Hier habe der Rat der Stadt Duisburg sich durch ein von ihm beauftragtes externes Personalberatungsunternehmen nicht lediglich - was zulässig gewesen wäre - organisatorisch unterstützen und fachlich beraten lassen. Vielmehr habe er diesem eine Vorauswahl der Bewerber überlassen, ohne selbst hierfür objektiv überprüfbare Kriterien festzulegen. Hierdurch habe er die allein ihm obliegende Auswahlentscheidung in unzulässiger Weise aus der Hand gegeben. Das durch das beauftragte Personalberatungsunternehmen durchgeführte Vorauswahlverfahren habe zudem die Chancengleichheit der Kandidaten verletzt. Denn der Rat sei durch die Personalberater über die Qualifikation der Bewerber nicht objektiv informiert worden und daher bei der Wahl des vorgeschlagenen Kandidaten zum Beigeordneten von einem verzerrt dargestellten Sachverhalt ausgegangen. Auch aus diesem Grund sei dem Rat eine eigene Eignungsbeurteilung und eigenverantwortliche (Vor-)Auswahlentscheidung nicht möglich gewesen.

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search