Heft März 2023

Sachkostenerstattung in der Kindertagespflege

Laut Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) muss die Bundesstadt Bonn erneut über die Sachkostenerstattung in der Kindertagespflege entscheiden. Ähnlich hat das Gericht auch in zwei Parallelverfahren entschieden, die die Städte Dresden und Leipzig betreffen.

BVerwG, Urteil vom 24.11.2022
- Az.: 5 C 9.21 (Parallelverfahren - 5 C 1.21 und 5 C 3.21 -) -

Die Klägerin, eine Kindertagespflegeperson aus Bonn, hatte die Höhe der ihr zugebilligten laufenden Geldleistung nach § 23 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII) beanstandet. Diese Geldleistung setzt sich hauptsächlich aus einem Anerkennungsbetrag für die Förderleistung und einem Erstattungsbetrag für die entstehenden Sachkosten zusammen. Sie wird in Bonn als Pauschalbetrag gezahlt, der in einer vom Stadtrat beschlossenen Satzung festgesetzt ist. Bei der Berechnung des Pauschalsatzes für Sachkosten hat die Stadt die Kosten für die Verpflegung der Tageskinder nicht miteinbezogen. Die insbesondere aus diesem Grund gegen die Höhe des Betrages gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Die Berufung hiergegen hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) nur hinsichtlich der Sachkostenerstattung zugelassen und die Beklagte zu einer erneuten Entscheidung über das Klagebegehren verpflichtet, weil deren Satzung auch dann keine Erstattung der Verpflegungskosten vorsehe, wenn diese tatsächlich bei der einzelnen Tagespflegeperson anfielen. Auf die Revision der Beklagten hat das BVerwG entschieden, dass diese zwar zur erneuten Entscheidung verpflichtet bleibt, hierbei aber - anstelle der vom Oberverwaltungsgericht formulierten - andere rechtliche Maßgaben zu beachten hat.

Nach der bundesrechtlichen Regelung (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) seien einer Kindertagespflegeperson die angemessenen Kosten zu erstatten, die ihr für den Sachaufwand entstehen. Das seien die bei der Kindertagespflege, welche die Erziehung, Bildung und Förderung des Kindes umfasst, üblicherweise anfallenden Kosten für einen in der Kindertagespflege typischen Standard, die der Höhe nach marktüblich sind und von den Kindertagespflegepersonen endgültig wirtschaftlich getragen werden. Das Bundesrecht schreibe zur Ermittlung der angemessenen Kosten keine bestimmte Methodik vor. Die angewandte Methode müsse aber geeignet sein, die Kosten realitätsgerecht und ortsbezogen zu erfassen. Wegen des erforderlichen Ortsbezugs komme der im Steuerrecht anzuwendenden Betriebskostenpauschale in Höhe von 300 Euro pro Kind und Monat keine maßgebliche Bedeutung zu. Unter Beachtung dessen sei der Jugendhilfeträger oder die nach Landesrecht zuständige Stelle grundsätzlich verpflichtet, die in diesem Sinne üblichen Kosten zu ermitteln. Soweit eine präzise Ermittlung dieser Kosten angesichts der Vielfalt der Verhältnisse praktisch nicht möglich sei, sei er zu vereinfachenden Sachverhaltsbetrachtungen und Typisierungen berechtigt. Eine solche Typisierungsbefugnis sei aber nicht gleichzusetzen mit einem Beurteilungsspielraum, der die Verwaltung zu einer grundsätzlich abschließenden Entscheidung über das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ermächtigt und gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Ein Beurteilungsspielraum sei als Einschränkung des durch das Grundgesetz gewährleisteten Rechtsschutzes rechtfertigungsbedürftig und könne nur angenommen werden, wenn er sich hinreichend deutlich dem Gesetz entnehmen lässt. Dies sei hier entgegen der bisher überwiegend vertretenen Meinung nicht der Fall. Daher unterliege die Festlegung der Sachkostenerstattung der vollen gerichtlichen Überprüfung, die sich in sachgerechter Weise grundsätzlich auf die Prüfung gerügter oder augenscheinlicher Mängel konzentrieren könne.

Insbesondere sei es danach grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei der Ermittlung der angemessenen Sachkosten typische Standards anhand von Werten bestimmt werden, die vom Jugendhilfeträger in Konkretisierung gesetzlicher Anforderungen (z.B. für die Erteilung einer Erlaubnis) festgelegt werden, wie dies etwa hinsichtlich der Räumlichkeiten, in denen Kindertagespflege stattfindet, der Fall ist. In gleicher Weise sei es grundsätzlich bedenkenfrei, wenn die Höhe der Raumkosten anhand von Durchschnittswerten aus Miet- bzw. Nebenkostenspiegeln ermittelt werde. Das BVerwG hält es ebenfalls für grundsätzlich zulässig, wenn Standards des Ausstattungsbedarfs bei Kindertagespflegepersonen unter Rückgriff auf diejenigen in Kindertageseinrichtungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ermittelt würden. Dies gelte im Ansatz auch in Bezug auf die Ermittlung der hierfür anzusetzenden üblichen Kosten. Die in diesem Sinne angemessenen Kosten dürften nach der gesetzlichen Regelung (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) auch für alle Kindertagespflegepersonen im jeweiligen örtlichen Bereich einheitlich als Pauschalbetrag der Erstattung festgelegt werden.

Danach sei das OVG zwar im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass einzelne Sachmittel wie die Verpflegungsaufwendungen bei der Berechnung des Erstattungsbetrages grundsätzlich nicht ausgenommen werden dürfen. Dabei habe es aber zu Unrecht den Einwand der Beklagten für unerheblich gehalten, dass den Kindertagespflegepersonen im Bereich der Stadt Bonn im maßgeblichen Zeitraum üblicherweise keine Verpflegungskosten entstanden sind, weil sie typischerweise von den Eltern übernommen wurden. Ein Bundesrechtsverstoß der Vorinstanz ergebe sich entgegen der Einschätzung der Beklagten allerdings nicht daraus, dass das OVG einen Landesrechtsvorbehalt hinsichtlich der Ausgestaltung der angemessenen Kosten missachtet habe. Ein solcher Landesrechtsvorbehalt lasse sich dem Bundesrecht in Bezug auf die Ansprüche der Tagespflegepersonen (nach § 23 SGB VIII) nicht entnehmen.

 

Ortsumgehung in Hückelhoven

Nach Feststellung des OVG NRW ist ein im Jahr 2004 festgestellter Plan zum Neubau einer Landesstraße außer Kraft getreten, weil nicht innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fünfjahresfrist mit der Durchführung begonnen wurde. Das OVG hat damit der Klage eines Landwirts stattgegeben.

OVG NRW, Urteil vom 21.11.2022
- Az.: 11 A 3457/20 -

Der Kläger, der bereits in den Jahren 2005 bis 2009 erfolglos gegen den Planfeststellungsbeschluss geklagt hatte, ist Eigentümer und Pächter von Flächen, die für den Neubau der 3,2 Kilometer langen Ortsumgehung benötigt werden. Das Vorhaben ist mit Ausnahme eines im Jahr 2018 gebauten Kreisverkehrs an der Anschlussstelle zur A 46 bis heute nicht verwirklicht worden. Mit seiner neuerlichen Klage macht der Kläger geltend, der Plan sei außer Kraft getreten, weil mit seiner Durchführung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen worden sei. Von der Möglichkeit, die Frist um weitere fünf Jahre zu verlängern, habe das beklagte Land keinen Gebrauch gemacht. Das Verwaltungsgericht Aachen wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers war jedoch erfolgreich.

Denn innerhalb der Fünfjahresfrist - so das OVG - sei nicht mit der Durchführung des Plans begonnen worden. Ein Beginn mit der Durchführung des Plans erfordere zwar nicht zwingend die Aufnahme von Bauarbeiten. So könne auch der verbindliche Erwerb eines mehr als nur geringfügigen Teils der zur Verwirklichung des Straßenbauvorhabens benötigten Grundstücke ausreichen. Ein Außerkrafttreten des Plans könne jedoch nur durch Maßnahmen verhindert werden, die nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Plans - hier: im Jahr 2009 - getätigt werden. Deshalb sei ein im Jahr 2007 erfolgter Erwerb von für die Umsetzung des Vorhabens benötigten Grundstücken im Umfang von etwa fünf Hektar angesichts des damals noch laufenden Klageverfahrens nicht geeignet gewesen, die Fünfjahresfrist zu wahren. Die nach Abschluss des Klageverfahrens erfolgte Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens Hückelhoven II im Jahr 2010 habe die Frist ebenfalls nicht wahren können. Mit diesem Verfahren sollten die weiteren noch für das Vorhaben benötigten Grundstücke erworben werden. Hierin liege jedoch noch kein verbindlicher Grundstückserwerb, der als Beginn der Durchführung angesehen werden kann. Zu einem solchen sei es bis zum Ablauf der Fünfjahresfrist im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens nicht mehr gekommen. Auch die weiteren Wirkungen der Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens seien nicht ausreichend, um hierin einen Beginn der Durchführung zu sehen. Dass für die Vorbereitung der Baufläche im Jahr 2010 zwei Bäume gefällt worden sind, reiche angesichts der geringfügigen Bedeutung für die Verwirklichung des Vorhabens ebenfalls nicht aus. Der Erwerb von für das Vorhaben benötigten Flächen im Umfang von etwa 2.300 Quadratmetern im Jahr 2014 sei ebenfalls nicht ausreichend. Diese Flächen stellten nur einen geringfügen Teil der benötigten Flächen von insgesamt etwa 20,9 Hektar dar.

Das Oberverwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

 

Landratswahl im Kreis Viersen

Laut OVG NRW ist der Kreis Viersen nicht verpflichtet, die Landratswahl vom 13.09.2020 für ungültig zu erklären und eine Neuwahl anzuordnen.

OVG NRW, Urteil vom 17.01.2023
- Az.: 15 A 976/22 -

Am 6. September 2020 schaltete der Kreis Viersen eine vierseitige Anzeige unter der Rubrik „Blickpunkt“ in dem Anzeigenblatt „Extra-Tipp am Sonntag“, das kostenlos an alle Haushalte im Kreis verteilt wurde. Die Anzeige, die auf allen vier Seiten mit „Kreis Viersen“ sowie dem Kreiswappen überschrieben war, enthielt mehrere Artikel, in denen über Aktivitäten des beklagten Kreises, seiner Wohnungsbaugesellschaft GWG und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft berichtet wurde. In einem Editorial auf der ersten Seite der Anzeige stellte der seinerzeit amtierende, mit Foto abgebildete Landrat Dr. Andreas Coenen die einzelnen Beiträge in knapper Form vor. In den Artikeln wurden wörtliche Zitate des Landrates wiedergegeben, die teilweise drucktechnisch hervorgehoben waren. Mehrere Beiträge befassten sich mit Themen des Kommunalwahlkampfes im Kreis Viersen. Bei der Kommunalwahl wurde der amtierende Landrat bei einer Wahlbeteiligung von 52,7 Prozent mit 54,1 Prozent der gültigen Stimmen im ersten Wahlgang bestätigt. Von 126.684 gültigen Stimmen entfielen 68.536 auf Dr. Andreas Coenen und 35.062 auf die zweitplatzierte Kandidatin Annalena Rönsberg (= 27,7 % der gültigen Stimmen). Der Kreisvorstand des Kreisverbandes DIE LINKE. Viersen, der seinerseits ebenfalls einen Wahlvorschlag eingereicht hatte, legte erfolglos Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl ein. Auf die Klage des Kreisvorstandes des Kreisverbandes DIE LINKE. Viersen verpflichtete das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Kreis zur Ungültigkeitserklärung der Wahl und Anordnung einer Neuwahl. Auf die Berufungen des Kreises Viersen und des beigeladenen Landrats änderte das OVG das Urteil des Verwaltungsgerichts und wies die Klage ab.

Zwar sei es laut OVG bei der Vorbereitung der Wahl durch eine unzulässige Wahlbeeinflussung zu einer Unregelmäßigkeit im wahlrechtlichen Sinne gekommen. Es fehle aber an ernst zu nehmenden Gründen für die Annahme, dass die Wahl bei ordnungsgemäßem Ablauf möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Die Veröffentlichung der Anzeige durch den Kreis Viersen eine Woche vor der Wahl stelle eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch eine amtliche Stelle dar. Das Gebot der freien Wahl untersage es staatlichen und gemeindlichen Organen, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern und -bewerberinnen zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. In der „heißen Phase des Wahlkampfes“ sei äußerste Zurückhaltung geboten und auf jegliche amtliche Öffentlichkeitsarbeit in Form sogenannter Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichte zu verzichten. Dieser Wahlfehler sei aber nicht von entscheidendem Einfluss auf das Ergebnis der Landratswahl gewesen. Bei der Prüfung der Mandatsrelevanz des Wahlfehlers sei auch das Ergebnis einer potenziellen Stichwahl zu berücksichtigen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Landrat ohne die Veröffentlichung die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang möglicherweise verfehlt hätte, so sei es fernliegend, dass bei der dann durchzuführenden Stichwahl die zweitplatzierte Kandidatin obsiegt hätte. Sie hätte dafür einen erheblichen Abstand im Stimmenanteil aufholen und nahezu sämtliche Wählerinnen und Wähler der Kandidaten von FDP, der Linken und der Partei im ersten Wahlgang nun für sich gewinnen müssen. Das sei nach allgemeinen Erkenntnissen über das Wahlverhalten sehr unwahrscheinlich.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden.

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