Heft Dezember 2022

Passbeschaffung bei Erfordernis einer „Reueerklärung“

Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig entschieden hat, darf einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will.

BVerwG, Urteil vom 11.10.2022
- Az.: 1 C 9.21 -

Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte ihm subsidiären Schutz, weil ihm aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Eritrea bei einer Rückkehr eine Inhaftierung drohe, die mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbunden sei. Die Ausländerbehörde lehnte seinen Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab, weil es dem Kläger zuzumuten sei, bei der Botschaft Eritreas einen Passantrag zu stellen. Die darauf erhobene Verpflichtungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises seien nicht erfüllt. Anders als Flüchtlingen sei es subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar, sich bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 der Aufenthaltsverordnung bestehe daher auch dann, wenn dem Betroffenen ernsthafter Schaden durch staatliche Behörden drohe, nur bei Hinzutreten weiterer, hier nicht vorliegender Umstände, wie etwa der begründeten Furcht vor einer Gefährdung der im Heimatland lebenden Verwandten. Bemühungen um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses seien dem Kläger nicht deshalb unzumutbar, weil in diesem Zusammenhang eine „Aufbau-„ oder „Diasporasteuer“ von zwei Prozent seines Einkommens zu entrichten sei. Zumutbar sei auch die vom eritreischen Konsulat verlangte Abgabe einer „Reueerklärung“, in der der Erklärende bedauere, seiner „nationalen Pflicht“ nicht nachgekommen zu sein, und erkläre, auch eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren.

Das BVerwG hat die Entscheidung des OVG geändert und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Der Kläger könne die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen könne und auch die sonstigen Voraussetzungen vorlägen. Zwar sei es einem subsidiär Schutzberechtigten anders als einem Flüchtling grundsätzlich zumutbar, einen Passantrag bei den Behörden des Herkunftsstaates zu stellen. Ob etwas anderes schon dann gelte, wenn der subsidiäre Schutz dem Ausländer wegen eines von staatlichen Stellen gezielt drohenden ernsthaften Schadens zuerkannt worden sei, habe keiner Entscheidung bedurft. Denn jedenfalls sei dem Kläger nicht zuzumuten, die beschriebene Reueerklärung abzugeben. Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen seinen Grundrechten und den staatlichen Interessen, die auf die Personalhoheit des Herkunftsstaates Rücksicht zu nehmen haben, gehe hier zu seinen Gunsten aus. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat dürfe ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich - wie vom Berufungsgericht festgestellt - die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöhe und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringere.

 

Schweinehaltung in Wohngebiet

Laut Entscheidung des nordrhein-westfälischen OVG dürfen zwei Hängebauchschweine nicht weiter im Garten eines Wohngrundstücks in Recklinghausen gehalten werden. Das OVG hat damit einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Gelsenkirchen bestätigt.

OVG NRW, Beschluss vom 02.11.2022
- Az.:
10 B 1092/22 -

Die Stadt Recklinghausen ist gegen die Schweinehaltung unter anderem eingeschritten, weil insbesondere die Belästigung der Nachbarn durch Gerüche ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Nutzungsuntersagung begründe.

Das VG hielt diese Verfügung für rechtmäßig, weil die Halterin der Schweine nicht im Besitz einer Baugenehmigung für die Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur Tierhaltung auf ihrem Grundstück sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Grundstück der Antragstellerin liege in einem Wohngebiet, in dem nur eine Kleintierhaltung als Annex zum Wohnen zulässig sei. Das setze voraus, dass die Tierhaltung in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht übersteige. Hobbymäßig gehaltene Hängebauchschweine seien keine Kleintiere in diesem Sinne, weil die Haltung von Schweinen typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen führe, die in Wohngebieten nicht üblich seien.

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin blieb ohne Erfolg. Laut OVG sei der Einwand der Antragstellerin unzutreffend, die zwingend zu prüfenden Belange des Wohls der beiden Tiere seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Antragstellerin habe keine Gesichtspunkte dafür aufgezeigt, dass entgegen der Annahme des VG die Haltung von Hängebauchschweinen bei typisierender Betrachtung eine in einem Wohngebiet zulässige Kleintierhaltung sei. Ob die Haltung der Schweine durch die Antragstellerin tatsächlich zu einer Belästigung der Nachbarn durch Gerüche führe, sei insoweit letztlich unerheblich. Die der Antragstellerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung gesetzte Frist von circa drei Wochen sei in Würdigung der offensichtlichen Baurechtswidrigkeit verhältnismäßig, zumal die Antragstellerin etwa einen Monat vor Erlass der Verfügung dazu angehört worden sei und seitdem damit hätte rechnen müssen, die Schweine nicht länger in ihrem Garten halten zu können. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass es möglich gewesen wäre, die Schweine innerhalb dieses Zeitraums gegebenenfalls gegen Bezahlung anderweitig unterzubringen. Es bestünden allerdings Zweifel daran, dass sich die Antragstellerin ernsthaft um eine anderweitige Unterbringung der Tiere bemüht habe und bemühe. Denn sie halte die Schweine trotz der angeordneten und vollziehbaren Nutzungsuntersagung auch nach mehr als einem halben Jahr noch immer auf ihrem Grundstück. Der Beschluss ist unanfechtbar.

 

Wettbüros in der Nähe von Schulen

Wie das VG Köln mit drei Urteilen zu dem seit vergangenem Jahr geltenden Glücksspielrecht entschieden hat, sind Wettbüros in der Nähe von Schulen unzulässig. Das VG hat damit Klagen von Wettbürobetreibern und einer Veranstalterin von Sportwetten abgewiesen.

VG Köln, Urteile vom 05.10.2022
- Az.:
24 K 1472/21, 24 K 1475/21, 24 K 4215/21 -

Bis zum Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 war es nicht möglich, für den Betrieb eines Wettbüros eine Erlaubnis zu erlangen, weil das deutsche Verfahren zur Erteilung entsprechender Konzessionen gegen Unionsrecht verstieß. Vorhandene Wettbüros wurden gelduldet. Nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 ist nunmehr eine Erlaubnis für den Betrieb eines Wettbüros erforderlich. Das nordrhein-westfälische Gesetz zur Umsetzung der Vorgaben des Staatsvertrags sieht vor, dass ein Wettbüro nicht in räumlicher Nähe zu öffentlichen Schulen betrieben werden darf, wobei regelmäßig ein Mindestabstand von 350 Metern Luftlinie zugrunde gelegt werden soll. Unter Berufung auf diese Vorschrift lehnte die Bezirksregierung Köln Anträge auf Erteilung von Betriebserlaubnissen ab. Dagegen wendeten sich die Kläger. Sie machten geltend, eine Erlaubnis dürfe schon nicht gefordert werden. Denn auch das aktuelle Glücksspielrecht verstoße gegen Unionsrecht. Jedenfalls aber sei das Erfordernis eines Mindestabstands zu Schulen rechtswidrig. Ein Mindestabstand sei für die Suchtprävention sowie den Kinder- und Jugendschutz weder geeignet noch erforderlich.

Dem ist das Gericht im Ergebnis nicht gefolgt. Weder Verfassungsrecht noch die unionsrechtliche Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit würden es ausschließen, eine Erlaubnis für den Betrieb eines Wettbüros zu verlangen und Mindestabstände zu Schulen festzulegen. Auch seien die neuen glücksspielrechtlichen Regelungen nicht in sich widersprüchlich. Dass etwa für Geldspielgeräte und Lottoannahmestellen, zu denen Kinder freien Zugang haben, die gleichen oder günstigere Abstandsregelungen gelten, sei nicht zu beanstanden. Es handele sich um jeweils unterschiedliche Glücksspielarten. Deren Gefährdungspotenzial dürfe der Gesetzgeber im Rahmen seines Einschätzungsspielraums unterschiedlich bewerten. Die Annahme des Gesetzgebers, durch den grundsätzlich erforderlichen Abstand von Wettbüros zu Schulen könnten Anreize zum Glücksspiel gegenüber Kindern und Jugendlichen verringert werden, sei plausibel.

Gegen die Urteile können die Kläger jeweils Berufung einlegen, über die das OVG NRW in Münster entscheiden würde.

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