Kommunen stehen vor dem finanziellen Kollaps - Überlebensfähigkeit der Kommunen sichern

StGB NRW-Pressemitteilung
Hattingen, 30.05.1996

I. Katastrophale Verschlechterung der Kommunalfinanzen

Die Städte und Gemeinden in NRW stehen vor der größten finanziellen Herausforderung in der Nachkriegsgeschichte, so der Präsident des NWStGB, Bürgermeister Albert Leifert, MdL. Nach der jüngsten Steuerschätzung haben sie in den nächsten Jahren mit Steuerausfällen in Milliardenhöhe zu rechnen. Dies ist dramatisch vor dem Hintergrund, daß das Finanzierungsdefizit im Jahr 1995 um rd. 2 Mrd DM auf insgesamt 4,4 Mrd DM angestiegen ist. Bereits heute kann jede zweite Gemeinde keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Innerhalb des kommunalen Gesamthaushalts hat sich besonders die Situation der kommunalen Verwaltungshaushalte 1995 dramatisch zugespitzt. Ihre Defizite haben sich mit knapp 3,9 Mrd DM (1994: 1,4 Mrd DM) fast verdreifacht.

Die besorgniserregende Finanzlage der Kommunen ist auf die deutliche Scherenentwicklung zwischen stark rückläufigen Steuereinnahmen, insbesondere bei der Gewerbesteuer, und den erheblichen Mehraufwendungen für soziale Leistungen zurückzuführen. So fehlen den Städten und Gemeinden allein bei der Gewerbesteuer rund 2,8 Mrd DM im Vergleich zu 1992, während gleichzeitig die Zahlungen der Gemeinden für die Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder auf 2,2 Mrd DM (1993: 1,1 Mrd DM) gestiegen sind und die sozialen Leistungen um 4,1 Mrd DM zugenommen haben. Selbst die völlige Einstellung aller freiwilligen Leistungen der Gemeinden für Sport, Bildung und Kultur kann diese Disparitäten nicht ausgleichen. Eingeleitete Konsolidierungsmaßnahmen gingen bisher in erster Linie zu Lasten der kommunalen Sachinvestitionen. Dennoch hat sich die Nettokreditaufnahme von knapp 900 Mio DM im Jahr 1994 auf rd. 2,1 Mrd DM im Jahr 1995 mehr als verdoppelt.

In diesem Jahr müssen 99 Gemeinden Haushaltssicherungskonzepte aufstellen. “Daß schon ein Viertel aller Gemeinden unter finanziellem Kuratel stehen, zeigt die ganze Dramatik der Situation,” so Leifert.


II. Sicherung der Überlebensfähigkeit der Kommunen

Aufgrund der alarmierenden Finanzlage der Kommunen und der Tatsache, daß die Zahl der Kommunen ohne Haushaltsausgleich trotz Ausschöpfung aller Einsparpotentiale in den nächsten Jahren weiter drastisch zunehmen wird, sind nach Auffassung von Leifert folgende Maßnahmen dringend notwendig:

1. Keine Leistungsgesetze ohne solide Finanzvorschläge und ausreichenden Kostenersatz

Circa 80 % der Bundesgesetze sowie fast 90 % der Landesgesetze werden auf der kommunalen Ebene ausgeführt. Die Kostenerstattung durch Bund und Land ist in der Regel unzureichend, wie z.B. bei:

- der Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen

- dem Landespflegegesetz

- dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz

- den geplanten Veränderungen bei der Arbeitslosenhilfe

Die Kostenverlagerungen vom Bund und Land auf die Gemeinden müssen unverzüglich gestoppt werden. Sie zerstören die Finanzautonomie der Gemeinden und machen den Erfolg ihrer langjährigen Konsolidierungsbemühungen zunichte. In Übereinstimmung mit dem Bundespräsidenten muß das Motto gelten: Wer die Musik bestellt, muß sie auch bezahlen.”

2. Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände

Höchst ärgerlich ist in diesem Zusammenhang die nach wie vor völlig unzureichende Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Gesetzgebung des Landes. Seit Jahren weigert sich der Landtag beharrlich, in seiner Geschäftsordnung die Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände festzuschreiben, die im Bund und anderen Länderparlamenten längst Selbstverständlichkeit ist. Durch eine derartige Blockadehaltung wird das Verhältnis zwischen Landtag und kommunalem Bereich nachhaltig gestört, kann der für die Sache notwendige Vertrauensbildungsprozeß nicht in Gang kommen. Der Städte- und Gemeindebund fordert, daß bei allen Gesetz- und Verordnungsentwürfen, die kommunale Interessen berühren, die kommunalen Verbände zwingend zu beteiligen sind, u.a. durch ein Anhörungsrecht sowie ein Mitberatungs- und Rederecht in den Ausschüssen des Landtages auch in nichtöffentlichen Beratungen.

3. Gemeindefinanzierungsgesetz 1997/ifo-Gutachten

Nach dem Ergebnis der jüngsten Steuerschätzung hat das Land Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr mit Einnahmeausfällen von voraussichtlich rd. 5 Mrd DM zu rechnen. Der Städte- und Gemeindebund warnt die Landesregierung davor, diese Steuerausfälle überproportional auf die Kommunen abzuwälzen. Angesichts der alarmierenden Finanzlage der Kommunen und der sich abzeichnenden dramatisch verschlechternden Eckdaten des 97er Finanzausgleichs fordern die Städte und Gemeinden:

- Die im Zuge des GFG 1996 vorgenommene Befrachtung der Zweckzuweisungen bzw. Entfrachtung des Landesetats in Höhe von 290 Mio DM, die im Rahmen des 98er GFG auslaufen sollte, muß bereits im GFG 1997 zurückgenommen werden.

- Die weitere Umsetzung der Empfehlungen des ifo-Gutachtens, die bekanntlich zu einer massiven Umverteilung von Finanzmitteln führt, die einseitig zu Lasten des kreisangehörigen Raums geht, muß verhindert, die bisherige Umsetzung muß reformiert werden. Es ist unverantwortlich, die kreisangehörigen Städte und Gemeinden für die Finanzprobleme der Großstädte haftbar zu machen.

4. Abbau und Reduzierung von Standards

Eine stringente Konsolidierungs- und Sparpolitik der Kommunen stößt an vielfältige rechtliche Grenzen. Das Land muß den Kommunen endlich erlauben, mit weniger Bürokratie und weniger Gesetzen die notwendige Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Die Gemeinden sind nicht mehr länger bereit hinzunehmen, daß durch Vorgaben und Entscheidungen des Landes die Gebühren- und Steuerbelastungen für unsere Bürgerinnen und Bürger steigen. Deswegen müssen sämtliche landesrechtliche Vorgaben, Standards und Richtlinien auf den Prüfstand. Um sicherzustellen, daß künftig keine weiteren kostentreibenden Standards in die Welt gesetzt werden, sollten sich Landtag und Landesregierung verpflichten, neue Standards nur noch im Einvernehmen mit den Vertretern der Kommunen zu schaffen. Bei allen künftigen Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtssetzungen, die Kommunen betreffen, sollten substantiierte Kostenfolgennachweise vorgelegt werden.

5. Solidarpaktfolgen

Das Land Nordrhein-Westfalen zieht die Kommunen zu 43 % zur Mitfinanzierung der Solidarpaktlasten heran. Da sich eine kommunale Überfinanzierung des Solidarpakts in Nordrhein-Westfalen abzeichnet, wird das Land aufgefordert, in jedem Jahr nachvollziehbare Neuberechnungen der Solidarpaktfolgen auf der Basis aktueller Steuer- und Finanzkraftzahlen vorzulegen.

6. Verwaltungsstrukturreform

Die Verwaltungsstrukturreform im Rahmen einer umfassenden Aufgabenkritik ist auf allen Ebenen weiter engagiert voranzutreiben. Bestehende Strukturen müssen vorurteilslos auf den Prüfstand gestellt werden. Hiervon ausgehend sind die Verwaltungsstrukturen insbesondere in der sog. Mittelebene in Frage zu stellen. Die dort derzeit herrschende Vielfalt der Aufgabenträger verhindert eine effektive und effiziente Aufgabenerfüllung.

Zur Verwaltungsstrukturreform gehört auch die Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung in eine Hand. Die Städte und Gemeinden fordern insbesondere, daß

- die Zuständigkeiten im Bereich der überörtlichen Sozialhilfe auf die jeweiligen kreisfreien Städte und Kreise übertragen werden und das Land durch eine Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes die Möglichkeit des § 100 Abs. 1 Nr. 1 nutzt, indem insbesondere die sachliche Zuständigkeit für die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen von den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe auf die örtlichen Träger der Sozialhilfe verlagert und

- schrittweise die Kostenträgerschaft für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie

- die Verantwortung für Kindergärten und ähnliche Einrichtungen auf die kreisangehörigen Gemeinden übertragen werden.

7. Wahrnehmung der kommunalen Interessen durch das Land gegenüber dem Bund

Die Städte und Gemeinden erwarten vom Land Nordrhein-Westfalen, sich im Bundesrat gegenüber dem Bund aktiv für die kommunalen Interessen einzusetzen, eine Gesetzgebung zu Lasten der Kommunen zu verhindern und vorgesehenen Entlastungen der Kommunen, wie z.B. bei den geplanten Reformen des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Sozialhilfe, zuzustimmen.

8. Sparprogramm der Bundesregierung

Die Städte und Gemeinden vermissen im Sparprogramm der Bundesregierung und in den Vorschlägen der Ministerpräsidenten die erforderlichen Überlegungen für die dringend notwendige umfassende Gemeindefinanzreform. Sie unterstützen in diesem Zusammenhang den Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz, wonach die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nur in Frage kommen kann, wenn die verbleibende Gewerbesteuer im Grundgesetz verankert und z. B. durch die Einbeziehung der Freiberufler revitalisiert wird. Eine volle Kompensation für die Kommunen ist zwingend erforderlich. Eine Umsatzsteuerbeteiligung muß ferner zur Stärkung der Steuerkraft strukturschwacher Gebiete beitragen.

Des weiteren können die Städte und Gemeinden Verschlechterungen bei der Arbeitslosenhilfe nicht hinnehmen, da sie zu einem weiteren nicht mehr verkraftbaren Anstieg der Sozialhilfe führen würden.

Die Verwirklichung der Vorstellungen der Bundesregierung zur Unternehmensbesteuerung, zur Reform der Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie die geplante Rückführung des Solidaritätszuschlages durch Rückforderung von Umsatzsteueranteilen der Länder dürfen nicht zu einer weiteren quantitativen und strukturellen Schwächung der Finanzausstattung der Städte und Gemeinden führen.

V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw      
=> Datenschutz-Hinweise für Empfänger/innen der Benachrichtigungs-Mail

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search