"Die kommunale Handlungsfähigkeit steht auf dem Spiel"

Präsident Prof. Dr. Christoph Landscheidt im Gespräch mit der Rheinischen Post über die Haushaltskrise im Bund, den Umgang mit der Schuldenbremse und den drohenden Systemkollaps auf kommunaler Ebene.

Das Verfassungsgerichtsurteil zum Haushalt dürfte auch die Spielräume für die NRW-Kommunen einengen. Wie laut schrillen bei Ihnen die Alarmglocken?

Landscheidt Spielräume waren schon vor dem Urteil schlicht nicht vorhanden. Nie zuvor hatten wir eine derartige Häufung von Krisen, die sich alle massiv auf die kommunalen Haushalte auswirken. Bislang konnten wir über das Isolierungsgesetz des Landes zumindest die Kosten der Pandemie und des Ukrainekriegs herausrechnen. Das fällt aber 2024 weg. Wenn das Land das nicht schnell korrigiert, rutschen bis zu 60 Prozent der NRW-Kommunen in die Haushaltssicherung. Eine Katastrophe.

Müsste der Bund die Schuldenbremse reformieren?

Landscheidt Ein Aussetzen in diesem und womöglich im kommenden Jahr wird nicht reichen. In diesen Zeiten zu sparen, hieße für uns Kommunen, dass wir unseren Pflichtaufgaben nicht mehr nachkommen könnten. Schon jetzt werden diese in vielen Kommunen nur noch mit Hilfe von immer neuen Krediten erfüllt. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Deswegen brauchen wir hier eine völlig neue Grundlage in Sachen Schuldenbremse.  

Ist das Konsens bei Ihnen im Städte- und Gemeindebund?

Landscheidt Das würde ich so nicht sagen, weil das Thema Schuldenbremse natürlich hochpolitisch ist.  Aber die Probleme haben wir parteiübergreifend. Ohne eine stärkere Finanzierung durch das Land und letztlich durch den Bund stehen wir vor einem Systemkollaps.

Ist die Altschuldenlösung für die NRW-Kommunen durch das Urteil gefährdet?

Landscheidt Leider ja. Und das treibt uns um. Zugleich bekommen wir immer mehr Aufgaben zugewiesen, aber nicht das dafür nötige Geld. Das verschärft die Probleme von Jahr zu Jahr. Die Kommunen können aber nicht aus eigener Kraft den Karren aus dem Dreck ziehen, denn die einzige von uns direkt beeinflussbare Einnahmequelle ist die Grundsteuer, und dort sind die Spielräume in vielen Städten längst ausgereizt. Um einen Ausgleich nur für ein Haushaltsjahr zu bekommen, wären in vielen Gemeinden Anhebungen um 1000 Punkte und mehr nötig. Wenn man so etwas als Bürgermeister dem Rat vorschlägt, dann stehen am nächsten Tag Bürger mit Unterschriftenlisten zur Abwahl vorm Rathaus.

Und die Berliner Politik kann sich trotzdem auf die Fahnen schreiben, dass sie keine Steuern erhöht hat.

Landscheidt Herr Lindner sorgt mit seinen Steuererleichterungen für Unternehmen über das Wachstumschancengesetz ja noch für zusätzliche Einnahmeausfälle bei den Kommunen. Das alles mit der vagen Hoffnung darauf, dass die Wirtschaft irgendwann wieder anspringt. Ich halte das für hochgradig gefährlich, denn am Ende steht die kommunale Handlungsfähigkeit auf dem Spiel. Und damit das Vertrauen der Menschen in Demokratie und Staat.

Auf welche Pflichtaufgaben könnten Sie denn am ehesten verzichten?

Landscheidt Beim Ganztagsanspruch hat die Berliner Politik uns ein sinnvolles Projekt vor die Füße geworfen und es nicht ausreichend mit Mitteln hinterlegt. Alle wissen, dass uns der Rechtsanspruch in einer Zeit der Überforderung noch mehr überfordern wird – finanziell und organisatorisch. So wie es jetzt angelegt ist, wird das Projekt nicht zum Erfolg. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Heißt aber, jemand anders müsste finanziell beim Ganztag einspringen. Wer soll das sein? Das Land?

Landscheidt Wir müssen ganz grundsätzlich über die OGS- und auch die Schulfinanzierung im Allgemeinen reden. Wir haben da ein völlig überaltertes System – und zwar zulasten der Kommunen. Das geht auf Dauer nicht gut, die Kosten laufen schon heute aus dem Ruder. Nehmen Sie allein das Thema Digitalisierung: Mit Förderprogrammen Tablets für den Unterricht anzuschaffen macht erstmal einen guten Eindruck, doch deckt das nicht Wartung oder Ersatzanschaffungen ab. Da wurden jetzt große Erwartungen bei Eltern und Schülern geweckt, und die Schulträger, also die Kommunen, werden mit den Folgekosten allein gelassen.

Die kleinteilige Förderpolitik des Landes steht ja schon länger in der Kritik. Wäre es Ihnen lieber, die Mittel für die Kommune würden pauschal erhöht und dafür alle Förderprogramme gestrichen?

Landscheidt Es gibt auch sinnvolle Förderprogramme. Insofern würde ich das nicht in der Schärfe verlangen. Aber klar ist: Förderprogramme sind immer mit bürokratischem Aufwand verbunden. Dann muss das Personal sich mit Anträgen, Konzepten und Abrechnung herumschlagen, anstatt sich um die eigentlichen Aufgaben zu kümmern. Vor allem kleinere Kommunen können das gar nicht leisten. Das konterkariert so manch gut gemeintes Programm. Wir sind in einer Situation mit zu vielen Aufgaben, zu wenig Geld und einem falschen Finanzierungssystem. Diese Mahnungen sind ja nicht neu.

Fühlen Sie sich ausreichend ernst genommen?

Landscheidt Wir haben schon das Gefühl, dass wir gehört werden. Aber es fehlen handfeste Ergebnisse. Vielmehr werden unsere Instrumente beschnitten - wie eben bei den Isolierungsmöglichkeiten für die Kriegskosten im Haushalt. Letztlich haben wir vom Land bis heute keine Lösung dafür, wie wir mit den Kommunalhaushalten 2024 verfahren sollen. Es ist zwar gut, dass die Kommunen für die Aufstellung Zeit bis zum Frühjahr eingeräumt bekommen haben. Aber es ist schon mehr als ärgerlich, dass sich Schwarz-Grün mit der Gesetzgebung derart lange Zeit lässt.

Moment. Ministerin Scharrenbach will doch eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg bringen.

Landscheidt Ankündigungen helfen uns nicht. Und nach allem, was wir hören, wird es kein frisches Geld geben. Und auch Isolierungsmöglichkeiten oder Abschreibungsmöglichkeiten sollen nicht enthalten sein. Stattdessen wird es wohl eher auf ein Bündel kleinteiliger Maßnahmen hinauslaufen, die hinten und vorne nicht ausreichen, um die Probleme der Kommunen abzufedern.

Müssen Sie sich nicht stärker die freiwilligen Ausgaben in den Kommunalhaushalten anschauen – die Schwimmhalle, die Bibliothek?

Landscheidt Für mich ist weder das Eine, noch das Andere eine freiwillige Aufgabe. Wenn wir schon darüber reden, dass bei uns populistische Parteien im Aufwind sind und die Demokratie erodiert, dann müssen wir doch vor Ort handlungsfähig bleiben und Teilhabe ermöglichen. Das gehört für mich beides ganz klar dazu.

Bei der Flüchtlingsfinanzierung haben Sie jetzt ein atmendes System bekommen. Hilft das nicht weiter?

Landscheidt Das stimmt. Und wir haben die Zusage des Ministerpräsidenten, dass alle Bundesmittel für das laufende Jahr eins zu eins an die Kommunen weitergeleitet werden – ein kleiner Erfolg. Aber auch dann zahlen wir noch drauf. Das Flüchtlingsaufnahmegesetz für NRW sieht vor, dass das Land uns für Versorgung und Unterbringung 10.500 Euro je Flüchtling im Jahr zahlt. Die Pauschale ist völlig veraltet und erfasst weder die Preissteigerungen noch die Vorhaltekosten für Unterkünfte. Wir erwarten hier ganz klar vom Land, dass nachgebessert wird.

Helfen Ihnen die zugesagten weiteren Kapazitäten in den Landesunterkünften?

Landscheidt Am Ende bleiben die Menschen doch nicht in den Landesunterkünften, sondern kommen zu uns in die Gemeinden. Landesplätze verschaffen uns eine Atempause auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Situation am Wohnungsmarkt ist nun mal, wie sie ist und wir hangeln uns von Notlösung zu Notlösung. Wir sind aber an dem Punkt, wo wir zunehmend auch wieder Turnhallen aktivieren müssen, weil alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Und da geht es nur ums Wohnen. Wir müssen ja davon ausgehen, dass die Menschen langfristig bei uns bleiben und wir über Integration reden, also Sprachangebote, Ausbildung, Kita- und Schulplätze. Auch hier sind die Kapazitäten erschöpft, das ist die Realität vor Ort. Für die Städte und Gemeinden ist darum klar: Die Grenzen der Zuwanderung müssen den Grenzen der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft entsprechen – auch im Interesse der zu uns kommenden Menschen.

Das Interview mit Präsident Prof. Dr. Christoph Landscheidt veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post.

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