Heft September 2016

Informationsrecht eines fraktions- und gruppenlosen Ratsmitglieds

Ein fraktions- und gruppenloses Ratsmitglied hat nach der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung kein allgemeines Recht darauf, dass ihm die Niederschriften der vorberatenden Ausschüsse zwingend im Vorfeld der Beratung und Beschlussfassung des Rates zugeleitet werden. (Amtlicher Leitsatz)

Es reicht aus, wenn der Bürgermeister in der Ratssitzung zu jedem Tagesordnungspunkt den Beschlussvorschlag des betreffenden Ausschusses erläutert und Gelegenheit zu weiteren Nachfragen und zur Erörterung gibt. (Orientierungssatz)

VG Münster, Urteil vom 08.12.2015
- Az. 1 K 1772/14 -

Der Kläger gehört dem Rat der beklagten NRW-Kommune als fraktions- und gruppenloses Ratsmitglied und dem Haupt- und Finanzausschuss als Mitglied mit beratender Stimme an. Mit seiner Klage macht er eine Verletzung seiner organschaftlichen Rechte durch Beschlüsse des Rates geltend. In der betreffenden Ratssitzung hatte er die Absetzung von Tagesordnungspunkten verlangt, da die Niederschrift über die Sitzung des Stadtentwicklungs- und Bauausschusses erst am Tage der Ratssitzung verteilt worden sei und ihm die Niederschrift über die Sitzung des Betriebsausschusses noch nicht vorliege.

Die Nichtvorlage bzw. verspätete Vorlage der Niederschriften der beiden Ausschusssitzungen verletze seine Informationsrechte. Diese Niederschriften zählten zu den Vorlagen, die nach der Geschäftsordnung des Beklagten drei Tage vor Beginn der Sitzung den Ratsmitgliedern vorliegen sollten. Als einziges fraktionsloses Ratsmitglied sei er zwingend auf die Niederschriften angewiesen, da ihm eine Teilnahme als Zuhörer an allen Ausschusssitzungen nicht zuzumuten sei.

Das Gericht ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt. Die organschaftlichen Rechte des Klägers seien vielmehr gewahrt worden. Insbesondere sei eine Verletzung des aus § 43 Abs. 1 GO NRW hergeleiteten allgemeinen Informationsanspruchs eines Ratsmitglieds in Bezug auf den Kläger nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen diesen Anspruch setzte voraus, dass das Ratsmitglied geltend macht, ihm seien vorhandene Unterlagen bzw. Informationen vorenthalten geblieben oder eine konkret bezeichnete Information sei vom Bürgermeister erfolglos erbeten worden.

Hier sieht der Kläger seine Rechte als Ratsmitglied aber allein dadurch verletzt, dass die Ratssitzung in einem so engen zeitlichen Zusammenhang mit den Ausschusssitzungen vom 15. und 20. Mai 2014 stand, dass die Niederschrift über die Sitzung des Stadtentwicklungs- und Bauausschusses erst zu Beginn der Ratssitzung verteilt werden konnte und die Niederschrift über die Sitzung des Betriebsausschusses noch nicht vorlag. Damit ziele der Einwand des Klägers nicht auf seinen allgemeinen Informationsanspruch als Ratsmitglied, sondern auf die Ausgestaltung des zeitlichen Ablaufs im Vorfeld der Ratssitzung und seine dadurch als eingeschränkt empfundene Möglichkeit der Einarbeitung. In Rede steht demnach die Pflicht des Bürgermeisters zur ordnungsgemäßen Vorbereitung der Ratsbeschlüsse.

Auch unter diesem Gesichtspunkt hält das Gericht die Klägerrechte jedoch für gewahrt. Zunächst bestehe die Pflicht des Bürgermeisters zur Vorbereitung von Ratsbeschlüssen gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 GO NRW nur gegenüber dem Rat, sodass Fraktionen oder Ratsmitglieder daraus keine organschaftlichen Rechte ableiten könnten. Ihnen gegenüber könne allenfalls der Rat verpflichtet sein, auf entsprechenden Antrag hin keinen Sachbeschluss zu treffen. Überdies sei vorliegend auch nicht ersichtlich, dass die in das Ermessen des Bürgermeisters gestellte Art der Vorbereitung der streitgegenständlichen Ratsbeschlüsse fehlerhaft erfolgt sei. Der Bürgermeister habe allen Ratsmitgliedern einschließlich des Klägers zu jedem der Tagesordnungspunkte schon im Vorfeld der Einladung zur Ratssitzung Sitzungsvorlagen zukommen lassen, die bereits den für die Einarbeitung in die Sachmaterien notwendigen Informationsgehalt aufgewiesen hätten. Mit Blick auf die Niederschriften sei ebenfalls nichts zu erinnern.

Denn der Bürgermeister habe in dieser Ratssitzung zu jedem Tagesordnungspunkt den Beschlussvorschlag des betreffenden Ausschusses erläutert und Gelegenheit zu weiteren Nachfragen und zur Erörterung gegeben. Dass die Niederschriften der Ausschusssitzungen zudem zwingende Vorlagen für die Ratssitzung darstellten, sehe die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung gerade nicht vor. Geregelt ist lediglich nach § 58 Abs. 1 Satz 4 1. Halbsatz GO NRW, dass alle Ratsmitglieder an nichtöffentlichen - und selbstverständlich auch an öffentlichen - Sitzungen eines Ausschusses als Zuhörer teilnehmen können.

Untersagung der Sportwetten-Vermittlung

Das Fehlen einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten kann einem Wettvermittler in Nordrhein-Westfalen nicht entgegengehalten werden, weil das europa-rechtswidrige Sportwettmonopol in tatsächlicher Hinsicht unverändert fortbesteht.

Eine Untersagungsverfügung betreffend die Vermittlung von Sportwetten kann bei dieser Rechtslage allenfalls noch darauf gestützt werden, dass die Vermittlungstätigkeit aus monopolunabhängigen Gründen materiell-rechtlich nicht zulässig ist. (Amtliche Leitsätze)

OVG NRW, Beschluss vom 09.06.2016
- Az. 4 B 860/15-

Der Antragsteller hat sich erfolgreich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Verfügung einer NRW-Kommune gewehrt, mit der ihm die Vermittlung von Sportwetten untersagt worden war.

Die untersagende Kommune könne sich - so das Gericht - insbesondere nicht auf die überkommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts berufen, wonach die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten durch private Wirtschaftsteilnehmer präventiv verboten werden könne, wenn ihre Erlaubnisfähigkeit nicht offensichtlich sei. Es sei höchstrichterlich geklärt, dass diese Rechtsprechung für Nordrhein-Westfalen nicht maßgeblich ist, solange die Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettmonopols fortbestehe.

Für die bis zum 30.11.2012 geltende Rechtslage habe das Bundesverwaltungsgericht selbst bereits sinngemäß ausgeführt, das Fehlen einer Erlaubnis könne einem Wettvermittler nur nach Prüfung der unionsrechtskonformen, monopolunabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen entgegengehalten werden. Diese Voraussetzung sei in Nordrhein-Westfalen aber schon deshalb nicht erfüllt, weil dort das Erlaubnisverfahren - anders als seinerzeit etwa für Bayern angenommen - nicht für Private geöffnet worden sei. Hier könne eine Untersagung nur darauf gestützt werden, dass die Vermittlungstätigkeit aus monopolunabhängigen Gründen materiell-rechtlich nicht erlaubnisfähig sei.

Das OVG NRW geht in seiner Entscheidung davon aus, dass auch angesichts der Neuregelung im Glücksspielstaatsvertrag 2012 das europarechtswidrige Sportwettmonopol in tatsächlicher Hinsicht unverändert fortbesteht.

Klage gegen verkaufsoffene Sonntage

Eine Gewerkschaft kann zulässigerweise gegen eine Rechtsverordnung gerichtlich vorgehen, die verkaufsoffene Sonntage in ihrem Tätigkeitsbereich freigibt, wenn sie geltend macht, dass die Verordnung mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht vereinbar ist.

Eine Freigabe von Sonntagen zur Öffnung von Verkaufsstellen aus Anlass von örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen nach § 6 LÖG NRW ist nur zulässig, wenn die öffentliche Wirkung der anlassgebenden Veranstaltungen gegenüber der Ladenöffnung im Vordergrund steht. Das setzt in der Regel voraus, dass die Ladenöffnung auf das Umfeld des Marktes begrenzt wird.

Darüber hinaus bleibt die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöste, die Zahl der Besucher überstiege, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen. (Auszug aus amtlichen Leitsätzen)

OVG NRW, Beschluss vom 10.06.2016
- Az. 4 B 504/16 -

In seiner auch vonseiten der Medien viel beachteten Entscheidung hat das OVG NRW neben der Frage, ob und wann eine Gewerkschaft gegen eine Rechtsverordnung vorgehen könne, die verkaufsoffene Sonntage in ihrem Tätigkeitsbereich freigibt, insbesondere auch Ausführungen zu der Frage gemacht, wann verkaufsoffene Sonntage nach § 6 LÖG zulässig sind.

Das Gericht verwirft in seinem Beschluss die angegriffene Rechtsverordnung mit der Begründung, diese werde dem in § 6 Abs. 1 und 4 LÖG NRW konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleistet und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert, nicht ansatzweise gerecht.

Vor dem Hintergrund entsprechender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei das Merkmal „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ in § 6 Abs. 1 LÖG NRW mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls geringen prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen muss. Die Ladenöffnung entfalte dann eine geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheint.

Das könne in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die Ladenöffnung auf das Umfeld des Marktes begrenzt werde, weil nur insoweit ihr Bezug zum Marktgeschehen erkennbar bleibt. Je größer die Ausstrahlungswirkung des Marktes wegen seines Umfangs oder seiner besonderen Attraktivität sei, desto weiter reiche der räumliche Bereich, in dem die Verkaufsstellenöffnung noch in Verbindung zum Marktgeschehen gebracht wird. Darüber hinaus bleibe die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöst, die Zahl der Besucher überstiege, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen. Zur Abschätzung der jeweiligen Besucherströme könne z. B. auf Befragungen zurückgegriffen werden.

Der Antragsgegnerin seien diese Maßstäbe aufgrund eines von ihr selbst im Verfahren vorgelegten Erlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW vom 20.11.2015 und der Beteiligung der Antragstellerin vor Erlass der Rechtsverordnung bekannt gewesen. Dennoch fehle es an einer nachvollziehbaren Prognose. Die vorliegend angeführte Prognose sei ohne eine nachvollziehbare Darlegung der Prognosegrundlagen jedenfalls viel zu pauschal und nicht geeignet, den erforderlichen Anlassbezug der Verkaufsstellenöffnung zu belegen. Abgesehen davon sei die Verkaufsstellenöffnung in 2016 schon wegen der breiten Werbung, vor allem aber wegen ihrer erheblichen räumlichen Ausdehnung auf ganze Stadtbezirke sowie der Einbeziehung aller Handelssparten und Warengruppen an keinem der vorgesehenen Sonntage als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung zu sehen.

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