Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 156/2010 vom 24.02.2010

Zusätzliche EU-Rechtsakte im Vergaberecht

Gegenwärtig wird auf EU-Ebene sowohl durch die neue EU-Kommission als auch durch das EU-Parlament eines diskutiert: Bedarf es zusätzlicher EU-Rechtsakte für die Spannungsfelder „Vergaberecht und öffentlich-öffentliche Kooperationen (interkommunale Zusammenarbeit)“ sowie „institutionalisierte öffentlich-private Kooperationen (IÖPP)“? Darüber hinaus ist die Frage, ob der vom EU-Vergaberecht nicht erfasste Bereich der EU-Dienstleistungskonzessionen einer Spezifizierung durch EU-Regelungen bedarf.

I. Hintergrund

Hintergrund ist insbesondere, dass die deutsche Europaabgeordnete Heide Rühle (Grüne) einen Initiativbericht für das EU-Parlament erarbeitet, der sich auch mit der Frage des Erfordernisses weiterer Regelungen in den genannten Bereichen befasst. Im Gesamtzusammenhang dieser Diskussion ist darauf hinzuweisen, dass der am 01. Dezember 2009 in Kraft getretene EU-Vertrag von Lissabon das in Deutschland schon lange geltende Recht auf kommunale Selbstverwaltung erstmalig auch in Art. 4 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) festschreibt. Daneben stellt der Vertrag von Lissabon das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) deutlich heraus. Auch betont er (Art. 3 Abs. 3 EUV) die Bedeutung des Prinzips des Allgemeinwohls und relativiert damit die bisher vorrangige Wettbewerbsausrichtung der EU-Politik.

II. Positionen der kommunalen Spitzenverbände

Am 27. Januar 2010 hat in Brüssel vor dem zuständigen Binnenmarkt-Ausschuss (IMCO) eine öffentliche Anhörung von Experten aus verschiedenen Ländern zu dem von Frau MdEP Heide Rühle zu verfassenden Initiativbericht zur Fortentwicklung des Vergabewesens stattgefunden. Dabei wurde (als einziger deutscher Vertreter) die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände mit ihrem Repräsentanten, Beigeordneten Norbert Portz vom DStGB, angehört. Die von den kommunalen Spitzenverbänden in der Anhörung dargelegten Auffassungen zu den Themenbereichen Vergaberecht und Öffentlich-öffentliche Partnerschaften, Vergaberecht und institutionalisierte Öffentlich-private Partnerschaften sowie zum Komplex EU-Dienstleistungskonzessionen, die bei der Berichterstatterin, Frau MdEP Rühle, auf positive Resonanz stießen, sind im Folgenden stark zusammengefasst wiedergegeben:

1. Öffentlich-öffentliche Partnerschaften: Keine Beschaffung auf dem Markt

 

Die interkommunale Zusammenarbeit beinhaltet einen wachsenden Zukunftsbereich (Wasserversorgung, Informationstechnologie, Bildung etc.). Mit ihrer Bürgernähe ist sie Ausfluss des Subsidiaritätsprinzips.

Der EuGH hat über die bisherige „In-House-Freistellung“ hinaus am 09. Juni 2009 in dem durch die Große Kammer des EuGH gefällten Grundsatzurteil „Stadtreinigung Hamburg“ auch die horizontale Kooperation zwischen Kommunen für vergaberechtsfrei erklärt. Die der Kooperation zugrunde liegende Rechtsform ist danach im Falle einer Zusammenarbeit von Kommunen bei einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe für die Nichtanwendung des Vergaberechts nicht entscheidend.

Das Vergaberecht findet damit dort keine Anwendung, wo Kommunen ohne Beteiligung Privater im Rahmen ihrer nationalen Verwaltungsorganisation zusammenarbeiten. In diesen Fällen eines rein internen Organisationsaktes liegt keine Beschaffung auf dem — externen — Markt und damit auch kein vom Vergaberecht vorausgesetzter Wirtschaftsteilnehmer vor. Einer ergänzenden Regelung in EU-Rechtsakten bedarf es nicht.

2. Institutionalisierte öffentlich-private Partnerschaft (IÖPP): Klarheit gegeben

Das Verhältnis der institutionalisierten öffentlich-privaten Partnerschaften zum Vergaberecht hat der EuGH geklärt. So hat dieser insbesondere entschieden, dass

 

-            das Vergaberecht stets bei der Beauftragung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens mit privatem Minderheitsanteil anzuwenden ist (EuGH „Stadt Halle“).

 

-            für die Übertragung von Aufgaben an eine neu gegründete gemischtwirtschaftliche Gesellschaft keine doppelte Ausschreibung erforderlich ist (EuGH „Acoset“).

 

-            die reine Möglichkeit der Öffnung des Kapitals einer öffentlichen Gesellschaft für private Investoren noch nicht zu einer Vergaberechtspflicht führt (EuGH „Sea“).


Die EuGH-Entscheidungen geben für die Praxis hinreichende Leitlinien zur Anwendung des EU-Vergaberechts vor. Weiterer EU-Rechtakte bedarf es daher nicht.

3. EU-Dienstleistungskonzessionen: Keine zusätzlichen Rechtsakte nötig

Das den EU-Dienstleistungskonzessionen zugrundeliegende Dreiecksverhältnis zwischen öffentlicher Hand, Konzessionär und privatem Nutzer erfordert eine große Flexibilität. Dem entspricht zu Recht, dass die Vergabe einer EU-Dienstleistungskonzession nicht unter das Vergaberecht fällt.

Das EG-Primärrecht und die EuGH-Rechtsprechung geben in der Praxis genügend Orientierung für die Anforderungen an eine Konzessionsvergabe. Danach ist

 

(1)               stets ein angemessener Grad an Öffentlichkeit (Bekanntmachung) einzuhalten

(2)               der Gleichbehandlungs-, Transparenz- und Wettbewerbsgrundsatz zu wahren


Bei der Abgrenzung zum vergaberechtspflichtigen Dienstleistungsauftrag hat der EuGH (Rechtssache „WAZV Gotha“) entschieden, dass an das wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs bei Dienstleistungskonzessionen keine allzu großen Anforderungen zu stellen sind. Eine Dienstleistungskonzession liegt danach auch bei einem Anschluss- und Benutzungszwang, z. B. in der Wasserversorgung, vor.

Der Ermessenspielraum der nationalen und insbesondere der lokalen Stellen ist durch den Vertrag von Lissabon und durch das Protokoll über die Dienste von allgemeinem Interesse anerkannt und verstärkt worden. Dieser Spielraum ist mit einer vergabe- und verfahrensrechtlichen Eingrenzung der EU-Dienstleistungskonzessionen nicht vereinbar. Die Besonderheiten der Dienstleistungskonzessionen bedingen daher, dass es keiner weiteren EU-Regelungen bedarf.

III. Position der EU-Kommission

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die EU-Kommission die von den deutschen kommunalen Spitzenverbänden vertretene Position, wonach zusätzliche EU-Rechtakte in den genannten Bereichen überflüssig sind, teilt. Insoweit sind gewisse Tendenzen erkennbar, wonach die EU-Kommission eine Regelungsnotwendigkeit (interpretative Mitteilung?) im Bereich der EU-Dienstleistungskonzessionen sowie auch beim Themenbereich Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften sieht. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass gegenwärtig in Brüssel sich die Anzeichen für eine intensivere Diskussion um eine europäische Rahmenrichtlinie zur Daseinsvorsorge verdichten. Auch diese würde auf die hier dargestellten Regelungsbereiche Auswirkungen haben.

Az.: II/1 608-00

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