Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 72/2016 vom 06.01.2016

Verwaltungsgericht Hamburg zu Baustopp einer Flüchtlingsunterkunft

Vor dem VG Hamburg (Beschl. vom 28.10.2015, Az. 7 E 5333/15) haben mehrere Grundstückseigentümer erfolgreich den einstweiligen Baustopp einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt Hamburg erwirkt. Das Gericht hat sich damit als wohl bundesweit erstes mit dem erst wenige Tage zuvor in Kraft getretenen § 246 Abs. 14 BauGB befasst. Danach kann für Flüchtlingsunterkünfte bis zum 31. Dezember 2019 von den Vorschriften des BauGB im erforderlichen Umfang abgewichen werden, soweit auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gemeindegebiet nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.

Das streitgegenständliche Gebiet wird nach dem Bebauungsplan als reines Wohngebiet ausgewiesen. Auf einer an die Grundstücke der Antragsteller angrenzenden, als „Anzuchtgarten“ ausgewiesenen Fläche sollte eine Unterkunft für Asylsuchende bzw. Flüchtlinge sowie auch andere wohnungslose Personen entstehen. Dies geschah ohne Baugenehmigungsverfahren, sondern - gestützt auf die polizeirechtliche Generalklausel - im Wege eines schlichten Realaktes. Hiergegen machten die Antragsteller einen Unterlassungsanspruch geltend. Die Stadt berief sich unter anderem auf § 246 Abs. 14 BauGB.

Das Gericht bejaht den Unterlassungsanspruch der Nachbarn. Dieser richte sich auch ohne durchgeführtes Baugenehmigungsverfahren danach, ob das Bauvorhaben drittschützende Vorschriften des Bauplanungsrechtes bzw. des übrigen einfachgesetzlichen Baurechtes verletzt.

Es stellt sodann fest, dass das Vorhaben der drittenschützenden Gebietsfestsetzung bzw. der Festsetzung der Vorhabenfläche als besondere Grünfläche widerspreche. Dieser Verstoß werde auch nicht durch § 37 BauGB oder die Änderungen und Erweiterungen des § 246 BauGB beseitigt. § 37 BauGB sei außerhalb eines Genehmigungsverfahrens nicht anwendbar, zudem fehle es an einer besonderen öffentlichen Zweckbestimmung des Vorhabens, da das Vorhaben in einer Reihe von Baugebieten nach der Baunutzungsverordnung zugelassen werden könne und nicht auf einen bestimmten Standort angewiesen sei.

Die Stadt habe sich auch zu Unrecht auf § 246 Abs. 14 BauGB berufen. Wie bei § 37 BauGB könne die Norm schon nicht bei einem Realakt Anwendung finden, zudem habe die Antragsgegnerin das Ausscheiden von Möglichkeiten nach § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB nicht substantiiert dargelegt.

Auch seien die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 246 Abs. 14 BauGB nicht gegeben. Die Errichtung diene nicht einer „Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbegehrende“ im Sinne der Vorschrift, weil die Einrichtung auch obdachlosen Menschen zur Verfügung stehe. Während Flüchtlinge nach Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus häufig in privaten Wohnraum wechseln, seien obdachlose Menschen oftmals dauerhaft auf eine öffentlich-rechtliche Unterbringung angewiesen. Diese Unterscheidung liege auch den neuen Regelungen in § 246 BauGB zugrunde. Schließlich fehle es im Rahmen der nach § 246 Abs. 14 BauGB durchzuführenden Erforderlichkeitsprüfung auch an einer Abwägung der öffentlichen Belange mit den entgegenstehenden Rechten Dritter.

Das Gericht weist hinsichtlich der Vorschrift zudem auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hin. Der Gesetzgeber habe „dem ersten Anschein nach eine nahezu unbeschränkte Sonderermächtigung geschaffen, mit der in beispielloser Weise“ das „bodenrechtliche Regelungssystem für unbeachtlich erklärt“ werde. Durch die Verwendung einer Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe wie „dringend benötigt“, „rechtzeitig“ oder „in erforderlichem Umfang“ werde außerdem das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot in Frage gestellt. Das Schutzniveau nachbarschützender Vorschriften und Rechtsinstitute, insbesondere des Gebietserhaltungsanspruchs, werde drastisch gesenkt. Dies werfe die Frage der Verhältnismäßigkeit dieser neuen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf.

Anmerkungen

Die Norm des § 246 Abs. 14 BauGB gehört zu den Ausnahmevorschriften, welche im Zuge des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes im BauGB geschaffen wurden. Das AsylVerfBeschlG ist am 24.10.2015, also nur vier Tage vor dem VG-Beschluss in Kraft getreten. Die fragliche Norm war auch auf unsere Forderung hin eingeführt worden, um in den Kommunen dringende bauplanungsrechtliche Erleichterungen bei der Flüchtlingsunterbringung herbeizuführen. Zu beachten ist, dass die Norm im vorliegenden Fall eigentlich nicht anwendbar war, weil sich die beklagte Stadt mit den baurechtlichen Vorgaben gar nicht erst beschäftigt hatte.

Insofern lässt die Entscheidung keine direkten Rückschlüsse über die Grenzen des § 246 Abs. 14 BauGB zu. Die gleichwohl ausführliche Prüfung durch das VG zeigt aber, worauf es bei der Handhabung der Vorschrift ankommt: als weit reichende Abweichungsbefugnis dürfen andere Möglichkeiten nicht in Betracht kommen und hat über das Merkmal der Erforderlichkeit eine Abwägung mit den entgegenstehenden Rechten Dritter zu erfolgen.

Durchaus nachvollziehbar ist auch die Auffassung des Gerichts, dass eine „Mischnutzung“ der Unterkünfte für Flüchtlinge und Obdachlose mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, vorrangig die Unterbringungskrise zu entschärfen, nicht vereinbar wäre. Angesichts der genannten Restriktionen erstaunen aber die drastischen Formulierungen des Gerichts zur vermeintlichen Aushebelung des baurechtlichen Regelungssystems, zumal die Norm an § 37 BauGB angelehnt ist und letzteren bis zum 31.12.2019 verdrängt. Vollkommen neuartig und wesensfremd ist die Regelung damit nicht. Ob die verfassungsrechtlichen Bedenken in dieser Intensität auch von anderen Gerichten geteilt werden, bleibt daher abzuwarten.
Der Volltext des Beschlusses steht für StGB NRW-Mitgliedskommunen im Internet des Verbandes (Mitgliederbereich) unter der Rubrik Info-Service Flüchtlinge / Baurecht zur Verfügung.

Az.: II 20.1.1.1-002

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