Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 78/2015 vom 07.01.2015

Vergabe von Krankentransportdiensten an Freiwilligenorganisationen

Dringende Krankentransportdienste dürfen vorrangig und im Wege der Direktvergabe an Freiwilligenorganisationen vergeben werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 11.12.2014 (C-113/13) in einem italienischen Fall entschieden. Allerdings müsse das System tatsächlich zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz, die eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen könnten, beitragen.

Das italienische Recht erkennt den Beitrag von Freiwilligenorganisationen zur Verwirklichung der Ziele des nationalen Gesundheitsdienstes an und regelt ihre Mitwirkung durch Rahmenabkommen und durch auf regionaler Ebene geschlossene Übereinkünfte. Im Jahr 2010 schloss die Region Ligurien ein Rahmenabkommen mit verschiedenen nationalen Vereinigungen für öffentliche Fürsorge als Vertretern der örtlichen Freiwilligenorganisationen, um die Beziehungen zwischen den Gesundheits- und Krankenhauseinrichtungen einerseits und den betreffenden Freiwilligenorganisationen andererseits zu regeln.

Gestützt auf dieses Rahmenabkommen schloss die Azienda Sanitaria Locale n. 5 mit den der ANPAS angeschlossenen Organisationen Übereinkünfte über dringende Krankentransporte und Notfallkrankentransporte ohne eine Ausschreibung vorzunehmen. Die Genossenschaften San Lorenzo und Croce Verde Cogema beantragten daraufhin, diese Übereinkünfte für nichtig zu erklären.

Der mit einem Rechtsmittel in dieser Sache befasste Staatsrat (Consiglio di Stato) fragte den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, ob die EU-rechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge und des Wettbewerbs eine nationale Regelung zulassen, nach der die örtlichen Behörden die Erbringung von Krankentransportdiensten vorrangig und im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an die unter Vertrag genommenen Freiwilligenorganisationen vergeben dürfen, denen lediglich die tatsächlich entstandenen Kosten sowie ein Teil der allgemeinen Kosten erstattet werden.

Vergaberichtlinie anwendbar

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass die Vergaberichtlinie auch für öffentliche Aufträge über die Erbringung von dringenden Krankentransport- und Notfallkrankentransportdiensten gilt. Das regionale Rahmenabkommen falle unter den Begriff des öffentlichen Auftrags, und zwar unabhängig davon, dass es im Namen von Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht geschlossen worden ist und dass die Vergütung auf den Ersatz der entstandenen Kosten beschränkt bleibt. Sei der Wert des regionalen Rahmenabkommens höher als der in der Richtlinie festgelegte Schwellenwert, kämen sämtliche in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahrensvorschriften zur Anwendung oder auch nicht, und zwar je nachdem, ob der Wert der Transportdienstleistungen den Wert der medizinischen Dienstleistungen überschreite oder nicht.

Falls der Wert des Rahmenabkommens höher sei als der in der Richtlinie festgelegte Schwellenwert und der Wert der Transportdienstleistungen den der medizinischen Dienstleistungen überschreite, lasse die Richtlinie es grundsätzlich nicht zu, dringende Krankentransportdienste vorrangig und im Wege der Direktvergabe an Freiwilligenorganisationen zu vergeben. Werde dieser Schwellenwert jedoch nicht erreicht oder sei der Wert der medizinischen Dienstleistungen höher als der Wert der Transportdienstleistungen, kämen nur die sich aus dem AEUV ergebenden allgemeinen Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung sowie das Transparenzgebot zur Anwendung. Voraussetzung sei allerdings, dass an diesem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehe.

Der EuGH weist aber darauf hin, dass das EU-Recht die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihres Gesundheitswesens und ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt. Das Gleiche gelte für die Grundsätze der Universalität, der Solidarität, der Erschwinglichkeit und der Geeignetheit, die der Art und Weise, wie die Krankentransportdienste der Region Ligurien organisiert seien, zugrunde lägen. Folglich könne das Ziel, aus Gründen der öffentlichen Gesundheit eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten und, so weit wie möglich, jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen zu verhindern, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen.

Die Mitgliedstaaten dürften ihrerseits die Ausübung der Grundfreiheiten im Bereich der Gesundheitsversorgung nicht ungerechtfertigt beschränken, so der EuGH weiter. Sie dürften auf private Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht zurückgreifen, ohne Ausschreibungen durchzuführen, sofern die Tätigkeit der Organisationen nur in dem Maße von Erwerbstätigen ausgeübt werde, wie es für ihren geregelten Betrieb erforderlich sei. Zudem dürften die nationalen Rechtsvorschriften keine missbräuchlichen Praktiken der Organisationen oder ihrer Mitglieder decken.

Unter diesen Bedingungen könne ein Mitgliedstaat die Auffassung vertreten, dass der Rückgriff auf Freiwilligenorganisationen dem sozialen Zweck der dringenden Krankentransportdienste entspricht und es ermöglicht, die mit diesen Diensten verbundenen Kosten zu beherrschen. Der EuGH kommt daher zu dem Ergebnis, dass der AEUV eine nationale Regelung zulässt, nach der die Erbringung von Krankentransportdiensten vorrangig und im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an die unter Vertrag genommenen Freiwilligenorganisationen vergeben wird, soweit der rechtliche und vertragliche Rahmen tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt.

Anmerkung

Die vorstehende EuGH-Entscheidung ist mit Blick auf die nationale Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien — hier zur vorgesehenen Bereichsausnahme für den Rettungsdienst im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) — von großer Bedeutung. Der EuGH bestätigt die auch von den kommunalen Spitzenverbänden vertretene Auffassung, wonach die nach den EU-Vergaberichtlinien 2014/23/EU und 2014/24/EU vorgesehene Bereichsausnahme für den Rettungsdienst im GWB mit einer Vorschrift umgesetzt werden soll, die eine Direktvergabe von Rettungsdiensten an gemeinnützige Organisationen erlaubt, ohne dass es einer Bekanntmachung im Sinne des primärrechtlichen Transparenzgebots bedarf. Die vom EuGH an eine derartige Direktvergabe geknüpfte Voraussetzung, dass der rechtliche und vertragliche Rahmen zu dem sozialen Zweck und den Zielen der Solidarität sowie der Haushaltseffizienz beitragen muss, dürfte auch für die Situation in Deutschland erfüllt sein.

Von besonderer Relevanz ist auch, dass der EuGH ausdrücklich Bezug auf die neue Bereichsausnahme genommen hat. Zwar sei die neue EU-Richtlinie 2014/24/EU noch nicht anwendbar, da bis zum 18.04.2016 weiterhin die „alte“ Richtlinie 2004/18/EG gelte. Der EuGH hat indes den 28. Erwägungsgrund der neuen Vergaberichtlinie, wonach der Unionsgesetzgeber mit der Bereichsausnahme dem speziellen Charakter von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen Rechnung tragen wollte, in Bezug genommen. Damit hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass nach der neuen Rechtslage im europäischen Sekundärrecht die mögliche Beschränkung des Primärrechts angelegt ist.

Der DStGB wird sich daher mit Blick auf die weitere Umsetzung der EU-Rechtsvorgaben in nationales Recht dafür einsetzen, dass im Bereich „Rettungsdienst“ die Möglichkeit einer Direktvergabe an Freiwilligenorganisationen in Deutschland tatsächlich ermöglicht wird.

Az.: II gr-ko

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