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StGB NRW-Mitteilung 494/1996 vom 20.10.1996

Verfassungsbeschwerde gegen das Ausführungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz und andere Gesetze

Am 01.10.1996 hat der Verfassungsgerichtshof im o.g. verfassungsgerichtlichen Verfahren mündlich verhandelt. In der mündlichen Verhandlung wurden insgesamt 6 Verfassungsbeschwerden, die sich allesamt gegen die Kostenerstattungsregelungen im Flüchtlingsaufnahmegesetz und dem Landesaufnahmegesetz wenden, miteinander verbunden. Es handelt sich hierbei um die Verfassungsbeschwerden der Städte Baesweiler, Balve und weiterer 30 Städte, Düren, Wuppertal und der vom Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebund unterstützten Verfassungsbeschwerde der Stadt Arnsberg und weiterer 10 Städte.

Alle Beschwerdeführerinnen wurden von ihren Prozeßbevollmächtigten vertreten. Für die vom Städte- und Gemeindebund unterstützte Verfassungsbeschwerde traten die Professoren Schoch und Wieland auf. Das Land Nordrhein-Westfalen wurde von Prof. Rüfner, Köln, vertreten. Vom Innenministerium NW waren als Prozeßvertreter anwesend Staatssekretär Riotte, Ministerialrätin Lechtenböhmer und Oberregierungsrätin Farinkel-Istel.

Nach Einführung in die rechtliche Problematik gab der Präsident des VGH, Dr. Bertrams, eine Gliederung der Themen vor, zu denen der VGH die Verfahrensbeteiligten anhören wollte.

Zuerst ging es um die Auslegung des Artikel 78 Abs. 3 Landesverfassung (LV) vor dem Hintergrund der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Den VGH interessierte die Auffassung der Verfahrensbeteiligten zur konkreten Auslegung des Konnexitätsprinzips. Hierzu trug Prof. Schoch vor, daß Artikel 78 Abs. 3 LV einen eigenständigen normativen Gehalt habe. Es gehe bei dieser Vorschrift um die Übertragung von staatlichen Aufgaben auf die Gemeinden, für deren Durchführung und Übernahme den Gemeinden eine volle Kostenerstattung zukommen müsse. Ansonsten würde in der Landesverfassung ein Anreiz geschaffen, Aufgaben durchweg auf die Gemeinden abzuwälzen.

Alsdann wurden die einzelnen Fallgruppen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes betrachtet. Zuerst ging es um die Kostenpauschalen nach § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG für die Personengruppe des § 2 Nr. 1 FlüAG (Asylbewerber). Der VGH wollte wissen, ob die für diese Personengruppe ermittelte monatliche Pauschale in Höhe von 675,-- DM (inkl. der Betreuungspauschale) ausreichend sei. Hier wurde darauf hingewiesen, daß seitens des Städte- und Gemeindebundes im laufenden Gesetzgebungsverfahren immer ein Betrag in Höhe von ca. 850,-- DM gefordert worden war. Dem Einwand der Beschwerdeführerinnen, das Land habe keine reale Ermittlung der Kosten vorgenommen, wandte Staatssekretär Riotte ein, daß vom Land eine etwa 85 %ige Kostenerstattung der Leistungen angestrebt worden sei. Dabei habe man sich an den nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgegebenen Geldleistungen orientiert. Insoweit handele es sich bei dem festgesetzten Vierteljahresbetrag von 1.935,-- DM um einen politischen Kompromiß. Letztlich war in der Frage, ob die Landesregierung die Kosten für die Versorgung von Asylbewerbern seriös ermittelt habe zwischen den Parteien keine Einigung zu finden, wobei der Präsident des VGH andeutete, der Auffassung des Landes zu folgen.

Des weiteren wurden die Kostenpauschalen nach § 6 Abs. 1 FlüAG für die Personengruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG (vor allem bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge) behandelt. Hier wurde seitens der Beschwerdeführer dargelegt, daß das Willkürverbot auch eine Systemgerechtigkeit fordere. Dies bedeuete, daß das Land für jeden Flüchtling, unabhängig davon welchem Personenkreis er zuzuordnen sei, die Kostenpauschale in gleicher Höhe gewähren müsse. Der Auffassung der Landesregierung, es handele sich bei den Kostenpauschalen für diese Gruppe um freiwillige Leistungen des Landes, so daß eine Kostenerstattungspflicht nicht bestehe und die Landesregierung mit dieser Regelung lediglich einen politischen Beitrag leisten wollte, widersprachen die Beschwerdeführer u.a. mit dem Wortlaut des FlüAG, wonach es sich bei der Versorgung der Bürgerkriegsflüchtlinge gemäß § 7 FlüAG um eine Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Wiesung handelt. Der Präsident des VGH stellte fest, daß aus den Beratungsunterlagen zum Gesetzgebungsverfahren als einziger Differenzierungsgrund für die unterschiedliche Kostenerstattung die Argumentation des Landes herangezogen werden könne, daß der Bund für diesen Personenkreis mit verantwortlich sei und daher die Hälfte der Kosten zu zahlen habe. Seitens der Beschwerdeführerinnen wurde dazu ausgeführt, daß dies kein tragfähiger Differenzierungsgrund sei, da es für eine finanzielle Beteiligung des Bundes an einer grundgesetzlichen Regelung fehle, wie Artikel 104 a GG zeige. Daher habe das Land von Anfang an nicht mit einer Kostenbeteiligung des Bundes rechnen können. Vielmehr war es alleine für die Erbringung der Leistung verantwortlich. Hinsichtlich des Umstandes, daß für die Personengruppe des § 2 Nr. 4 - 6 FlüAG keine Betreuungspauschale gezahlt werde wurde kritisiert, daß ein Betreuungsaufwand unabhängig davon entstehe, aus welchem Land ein Flüchtling komme. Auch die Regelung in § 6 Abs. 1 FlüAG, daß eine Zahlung der Vierteljahrespauschale in Höhe von 960,-- DM nur dann erfolge, wenn die Landesregierung die Zahlung unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung beschließe, wurde angegriffen. Diese Regelung entspreche nicht den Anforderungen des Artikels 78 Abs. 3 LV. Aus dem Gesetzesvorbehalt sei ein Regierungsvorbehalt geworden, der nicht einmal den Voraussetzungen für eine Verordnungsermächtigung genüge. Schließlich wurde darauf hingewiesen, daß die Gemeinden keinen Einfluß auf die Zuweisung der unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen haben. So käme es zu völlig zufälligen und damit verfassungsrechtlich willkürlichen Verteilungsentscheidungen, nach denen Gemeinden mitunter vorwiegend solche Flüchtlinge zugewiesen würden, für die es nur die hälftige Erstattung gäbe.

Wieterhin wurde die zeitliche Beschränkung der Kostenerstattung thematisiert. Der Verfassungsgerichtshof wies darauf hin, daß er bereits ausdrücklich dazu Stellung genommen habe, daß die 3-Jahres-Regelung in § 3 FlüAG verfassungsgemäß sei. Bei der sich daran anschließenden Erörterung der 4-monatigen Kostenerstattungsregelung für Asylbewerber, deren Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, stellten die Beschwerdeführerinnen klar, daß diese gesetzliche Vorgabe bei weitem nicht der tatsächlichen Verweildauer abgelehnter Asylbewerber entspreche. Diese hielten sich in der Regel etwa 12 bis 30 Monate in der Bundesrepublik auf. Ab dem 5. Monat aber hätten die Gemeinden alleine die Kosten für die 4-Monats-Fälle zu tragen. Es wurden hierzu konkrete Beispiele aus Städten und Gemeinden unterschiedlicher Größe vorgetragen, so aus Bad Salzuflen und Ascheberg. Es wurde allgemein kritisiert, daß das Land sich von der Kostentragungspflicht verabschiedet, obwohl die Pflicht bestehen bliebe, die Asylbewerber weiter unterzubringen. Diese Regelung entspreche sicher nicht dem Kostendeckungsprinzip des Artikel 78 Abs. 3 LV, insbesondere auch deshalb, weil die meisten Gemeinden und Städte keinen Einfluß auf die Abschiebung der abgelehnten Asylbewerber hätten. Auch in den Fällen, in denen die Städte Ausländerbehörden unterhielten, lägen regelmäßig Abschiebungshindernisse vor, die sie nicht zu vertreten hätten.

Abschließend wurde nochmals die angespannte finanzielle Situation der Städte und Gemeinden auch anhand konkreter Beispiele dargelegt. Diese wurden ins Verhältnis zu den Pflichtaufgaben gesetzt. Danach ergibt sich für viele Gemeinden und Städte eine freie Spitze von lediglich 2 bis 5 % für freiwillige Aufgaben. Dieses Finanzvolumen wird häufig von den Kreditverpflichtungen der Städte um ein Vielfaches übertroffen.

Nachdem den Beschwerdeführerinnen und der Verfahrensgegnerin Gelegenheit zu einer letzten Stellungnahme gegeben worden war, kündigte der Präsident des VGH an, alle 6 Verfassungsbeschwerden zu einer gemeinsamen Entscheidung zu verbinden. Als Verkündungstermin für die Entscheidung wurde der 09.12.1996, 15.15 Uhr, festgelegt.

Az.: I/3-857-3-1

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