Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 213/2005 vom 02.02.2005

Urteile des EuGH zur Vergabe von Dienstleistungsaufträgen

Mit seinem Urteil vom 11. Januar 2005 in der Rechtssache - C-26/03 - hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) - Erste Kammer - über zwei bislang nicht definitiv geregelte Fragen zur Anwendbarkeit der EU-Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge entschieden. Die Entscheidung betrifft Vergaben durch öffentliche Auftraggeber an gemischtwirtschaftliche Unternehmen, an denen sowohl sie als auch private Firmen Anteile halten.

Mit dem Urteil vom 13.01.2005 - C-84/03 - hat sich der EuGH - Zweite Kammer - in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich Spanien über Kooperationen öffentlich-rechtlicher Körperschaften untereinander - auch auf allein öffentlich-rechtlicher Ebene - geäußert.

1. Die Rechtssache, über die der EuGH mit Urteil vom 11.01.2005 zu befinden hatte, betraf ein Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Naumburg. Gegenstand des Verfahrens war eine seitens der Stadt Halle an der Saale beabsichtigte Beauftragung. Diese wollte eine privatrechtliche GmbH, an der die Stadtwerke Halle 75,1 % und eine private Entsorgungsgesellschaft 24,9 % halten, ohne vorherige förmliche Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens zu der Vorbehandlung, Verwertung, Beseitigung und Entsorgung von Abfällen hinzuziehen. Gegen diese „Beauftragung“ strengte ein Wettbewerber ein Nachprüfungsverfahren an. Die Vergabekammer gab diesem Antrag statt. Sie vertritt die Auffassung, dass Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers auch dann der Nachprüfung zugänglich sein müssten, wenn kein Vergabeverfahren durchgeführt worden sei. Die Vergabekammer stellt in ihrer Entscheidung ferner fest, dass im vorliegenden Fall keine Rede von einem In-House-Geschäft sein könne, weil die private Minderheitsbeteiligung die Schwelle von 10 % überschreite, ab der nach den deutschen Vorschriften über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung eine Minderheit vorliege, die bestimmte Rechte habe. Auf die Beschwerde der Stadt Halle setzte das Oberlandesgericht Naumburg das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die offenen Fragen zur Vorabentscheidung vor.

2. Gegenstand der Entscheidung des EuGH vom 13.01.2005 ist ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen das Königreich Spanien wegen Verletzungen, die sich aus dem EG-Vertrag und den Richtlinien 93/36/EWG des Rates vom 14.06.1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge sowie 93/37/EWG des Rates vom 14.06.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge ergeben. Das Königreich Spanien hatte mit dem Gesetz über öffentliche Aufträge vom 16.06.2000 u.a. festgelegt, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den übrigen öffentlichen Einrichtungen und damit auch solche Vereinbarungen, die öffentliche Aufträge i.S. der zuvor genannten Richtlinien sind, vom Anwendungsbereich des Gesetzes über öffentliche Aufträge vollkommen auszuschließen sind.

3. Mit dem Urteil des EuGH vom 11.01.2005 wird die Möglichkeit zur Nachprüfung von vergaberechtsrelevanten Entscheidungen sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch bezüglich ihres Zeitpunktes ausgeweitet. Zunächst stellt der EuGH fest, dass Nachprüfungsanträge auch dann gestellt werden können, wenn es überhaupt kein Vergabeverfahren gegeben hat. Folglich ist der Beschluss eines öffentlichen Auftraggebers, kein Vergabeverfahren einzuleiten, weil der Auftrag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften fällt, die „erste Entscheidung“ des öffentlichen Auftraggebers, die „gerichtlich“ überprüfbar ist. Der EuGH sieht in jeder Maßnahme eines öffentlichen Auftraggebers, die im Zusammenhang mit einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag getroffen wird, der in den sachlichen Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien fällt, und die „Rechtswirkungen entfalten kann“, eine nachprüfbare Entscheidung im Sinne des europäischen Vergaberechts. Hiervon ausgenommen sind bloße Vorstudien des Marktes oder andere Handlungen, die rein vorbereitend sind und sich im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags abspielen. Legt man diese Urteilsausführungen zugrunde, dürfte die Fertigstellung einer Verwaltungsvorlage, die einen Vergabevorschlag enthält, als eine Maßnahme angesehen werden, die „Rechtswirkungen entfalten kann“. Der EuGH räumt mit seinem Urteil vom 11.01.2005 allen Personen die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, ein, die „ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag haben oder hatten und denen durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Die formale Bieter- oder Bewerbereigenschaft ist daher nicht erforderlich.

4. Das Urteil des EuGH vom 11.01.2005 hat vor allem folgende Konsequenz: Liegen die sonstigen Voraussetzungen (u.a. Überschreitung des EU-Schwellenwertes in Höhe von 200.000,-- Euro) vor, ist bei Dienstleistungsaufträgen ein Vergabeverfahren stets durchzuführen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber mit einer Gesellschaft, die sich zwar rechtlich von ihm unterscheidet (z.B. einer AG, GmbH o.ä.), an deren Kapital er aber - gemeinsam mit einem oder mehreren privaten Unternehmen - beteiligt ist, einen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen schließen will, die in den sachlichen Anwendungsbereich der EU-Dienstleistungs-Richtlinie fallen. Es spielt dabei keine Rolle, zu welchem prozentualen Anteil der Private an dem Unternehmen beteiligt ist. In jedem Fall liegt bei solchen Konstellationen kein sog. In-House-Verhältnis vor, das die öffentliche Hand von der Vergabepflicht befreien könnte.

5. Mit der Entscheidung vom 11.01.2005 knüpft der EuGH an sein Urteil vom 18.11.1999 - Rs. C 107/98 - „Teckal“ an. Dort hatte das Gericht eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht dann anerkannt, wenn der öffentliche Auftraggeber über die private Gesellschaft eine Kontrolle ausübe wie über seine eigenen Dienststellen und wenn die Gesellschaft zugleich im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber bzw. die öffentlichen Auftraggeber tätig werde, die ihre Anteile innehaben. Nach dem Urteil des EuGH vom 11.01.2005 ist nunmehr der Ausnahmefall eines sog. „In-House-Geschäfts“ generell bereits dann nicht mehr gegeben, wenn ein privates Unternehmen - und sei es auch nur minderheitlich zu einem noch so kleinen Anteil - am Kapital einer Gesellschaft beteiligt ist, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber Anteile hält. Bei einer derartigen gesellschaftsrechtlichen Konstruktion ist es nach Auffassung des EuGH „auf jeden Fall“ ausgeschlossen, „dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen“.

6. Darüber hinaus sieht der EuGH in der Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung „das Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten“ beeinträchtigt, „insbesondere weil ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde“.

7. Diese Rechtsprechung wird noch dadurch verschärft, dass der EuGH in dem nur zwei Tage später ergangenen Urteil seiner Zweiten Kammer vom 13.01.2005 auch für Kooperationen öffentlich-rechtlicher Körperschaften untereinander - auch auf allein öffentlich-rechtlicher Ebene - erneut nochmals engere Grenzen dahingehend gezogen hat, dass diese in der Regel nicht völlig ohne Anwendung vergaberechtlicher Vorschriften durchgeführt werden dürfen. Der EuGH beanstandete in dieser Entscheidung das spanische Gesetz über öffentliche Aufträge vom 16.06.2000 (s. 2.), mit dem vorgeschrieben worden war, dass eine Verpflichtung, Vergabeverfahren durchführen zu müssen, u.a. für „Kooperationsvereinbarungen, die die allgemeine Staatsverwaltung ... mit den Gebietskörperschaften, deren autonomen Einrichtungen und allen anderen öffentlichen Einrichtungen schließt oder die diese Einrichtungen untereinander schließen“ nicht gelten sollte. Der „Fluchtweg zurück in das öffentliche Recht“ - z.B. zu Vereinbarungen nach den Gesetzen über Kommunale Gemeinschaftsarbeit - wird damit gleichfalls immer mehr abgeschnitten.

8. Die Rechtsprechung mit den erwähnten Urteilen vom 11. und 13.01.2005 erfasst nicht die Gültigkeit von Alt-Verträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen - etwa im Zusammenhang mit Stadtwerken sowie im sonstigen Ver- und Entsorgungsbereich. Dieses Ergebnis gilt jedenfalls für langjährig laufende Verträge, die vor dem In-Kraft-Treten der Vergabeverordnung (VgV) in der Fassung vom 09.01.2001 (BGBl. I S. 110) - vor dem 01.02.2001 - zustande gekommen waren. Dabei ist jedoch entscheidend, dass diese Verträge seit dem 01.02.2001 nicht grundlegend geändert worden sind. Als grundlegende Änderungen sind z.B. Preisänderungen und geänderte Laufzeiten der Verträge anzusehen. Daher sind Rahmenverträge aus dieser Zeit, bei denen der durch den Vertrag gesetzte Rahmen kontinuierlich und in regelmäßigen Zeitabständen ohne wesentliche Vertragsmodifizierungen eingehalten wird, bislang definitiv nicht betroffen.

9. Dem heutigen Gemeinschaftsrecht kann im Übrigen keine zwingende zivilrechtliche Vorgabe dahingehend entnommen werden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, bestehende Verträge aufheben zu müssen, weil diese ggf. gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen. Diese können und müssen - wegen des Rechtsgrundsatzes „Pacta sunt servanda“ - erfüllt werden.

Az.: II/1 608-00

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