Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 351/2006 vom 24.04.2006

Stellungnahme zum Großversuch "Gelb in Grau" bei der Müllentsorgung

In den Mitteilungen des StGB NRW 2005 Nr. 318 (S. 144) war darüber berichtet worden, dass die vom Umweltministerium NRW beauftragte Studie „Ökobilanzierung abfallwirtschaftlicher Sammelsysteme in NRW“ keine entscheidenden Vorteile für die Erfassung von gebrauchten Einwegverpackungen in der Restmülltonne („GiG = Gelb in Grau“ bzw. Zebra-Tonne) ergeben hatte. Es wurde zwar festgestellt, dass bei einer gemeinsamen Erfassung von Restmüll und Verpackungsmüll (heute erfasst: im gelben Sack bzw. in der gelben Tonne) Einsparungen bei der Abfuhr möglich seien. Diesen Einsparungen stünden jedoch Mehraufwendungen für die Sortierung gegenüber.

Unabhängig davon wurde vom Umweltministerium NRW weiterhin in einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände die weitere Durchführung eines Großversuchs diskutiert. Zur Frage der rechtlichen Machbarkeit eines solchen Großversuchs wurde ein Rechtsgutachten erstellt.

Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in NRW hat mit Schreiben vom 28.03.2006 an den Staatssekretär im Umweltministerium NRW zu dem beabsichtigten Großversuch „Gelb in Grau“ im Hinblick auf die europarechtlichen und abfallrechtlichen Fragestellungen nunmehr wie folgt Stellung genommen:

„Die kommunalen Spitzenverbände haben bereits am 1. März 2006 deutlich gemacht, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung eines Großversuches im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) keine ausreichende Rechtssicherheit erkennen lassen. Hinzu kommt, dass sich zwischenzeitlich durch Presse- und Medienberichte weitere Irritationen dahin ergeben haben, dass der Großversuch auf eine sofortige gemeinsame Erfassung von „Gelb in Grau“ ausgerichtet sein soll. Ein solcher Großversuch, der nach unserem Wissen gerade nicht beabsichtigt ist, wäre aber auf der Grundlage der zurzeit bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen schlichtweg unzulässig (so ausdrücklich: HessVGH NVwZ 2000, S. 92f.). Unabhängig davon birgt aber auch der bislang geplante Großversuch Prozess- und Rechtsrisiken in sich, die den öffentlichen-rechtlichen Entsorgungsträgern nicht zugemutet werden können. Im Einzelnen:

1. Keine Prüfung EU-rechtlicher Vorgaben

Die Durchführung derartiger Großversuche bei fünf örEn wirft u. a. die Frage auf, ob die durch das EU-Recht vorgegebenen Anforderungen an die DSD GmbH bezüglich der Ausschreibung und Mitbenutzung tangiert sind. Das Schreiben des Bundeskartellamtes an den BDE bezüglich der Freistellung von kartellrechtlichen Erfordernissen für einen Großversuch blendet leider diese Aspekte aus. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die von der DSD GmbH aufgestellten Kriterien für einen solchen Großversuch bei den örE zu zusätzlichen Kosten führen würde bzw. den Verlust von Nebenentgelten zur Folge hätte. Allein deshalb kann nicht von kostenneutralen Lösungen gesprochen werden, wie dies die Vertreter des BDE tun.

2. Keine Abklärung der Folgewirkungen für die Zukunft

Rechtsanwalt Dr. Gaßner setzt sich in seinem Gutachten mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Großversuch auseinander. Wir hatten allerdings bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass auch die Folgewirkungen für die zukünftigen rechtlichen Rahmenbedingungen insbesondere mit Blick auf vergabe- und kartellrechtlichen Auswirkungen für die kommunale Abfallentsorgung im Vorfeld des Großversuchs einer Betrachtung zugeführt werden müssen. Dieses steht nach wie vor aus. Herr RA Gaßner stellt auf Seite 11 und 12 des Gutachtens lediglich zutreffend fest, dass zurzeit die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Erfassung von Restmüll und Leichtstoffverpackungen - unabhängig von einem Großversuch „Gelb in Grau“ - nicht gegeben sind (so ausdrücklich: HessVGH, NVwZ 2000, S. 92f.). Wir stimmen mit Herrn Gaßner darin überein, dass die Aussagekraft des beabsichtigten Großversuchs mehr als begrenzt ist, zumal dann, wenn - wie beabsichtigt - gerade kein Echtversuch gefahren wird, sondern getrennt gesammelte Abfallfraktionen lediglich nachträglich miteinander vermischt werden sollen. Vor diesem Hintergrund werden sich etwa belastbare Aussagen über etwaige hygienischen Problemstände bei einer gemeinsamen Erfassung von Restmüll und dem Inhalt des gelben Sackes/der gelben Tonne in einem Abfallgefäß und die Auswirkungen auf eine schadlose sowie hochwertige Verwertung der aussortierten Materialien aus dem Großversuch nicht ergeben.

3. Rechtliche Stellung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger

Die Verpackungsverordnung sieht das Duale System zur Erfassung, Sortierung und Verwertung von gebrauchten Verkaufsverpackungen außerhalb der kommunalen Abfallentsorgung. Vor diesem Hintergrund ist den örE der Zugriff auf Einwegverpackungen aus Abfällen rechtlich nicht zugestanden. Ein örE ist deshalb nicht befugt, nach der getrennten Erfassung von Restmüll und Leichtstoffverpackungen „hinter den Kulissen“ die getrennt erfassten Fraktionen zusammenwerfen zu lassen und das daraus entstehende Abfallgemisch einer Sortierung zuführen, denn den Kommunen ist nach der Verpackungsverordnung eine Betreiberrolle für das Duale System in seiner Gesamtheit nicht zugewiesen (vgl. HessVGH, NVwZ 2000, S. 92f. zum Konkurrenzverbot für öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger; OVG NRW, NVwZ 1998, S. 1210; HessVGH, UPR 1995, S. 151 f.; VG Düsseldorf, Urt. v. 05.03.1997 - Az.: 16 K 8325/94; Schulte/Wiesemann in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblatt-Kommentar, § 6 Rz. 296, 310, 319). Der örE ist gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG vielmehr verpflichtet, seiner Abfallentsorgungspflicht für Abfälle zur Beseitigung nachzukommen. Aus dieser Beseitigungspflicht für Abfälle zur Beseitigung folgt zugleich, dass dem örE grundsätzlich keine Befugnis zuzuerkennen ist, Beseitigungsabfälle, die in einem Restmüllgefäß getrennt erfasst worden sind, mit Abfällen zur Verwertung nachträglich zu vermischen, zumal sich aus §§ 10ff. KrW-/AbfG zweifelsfrei ergibt, wie Abfälle zur Beseitigung durch den öffentlich-rechtlichen Pflichtenträger gemeinwohlverträglich zu behandeln und zu beseitigen sind. Insoweit folgt aus § 11 Abs. 2 KrW-/AbfG und aus § 5 Abs. 2 Satz 4 KrW-/AbfG grundsätzlich ein Vermischungsverbot dahin, getrennt angefallene und erfasste (eingesammelte) Abfälle zur Beseitigung mit ebenfalls getrennt angefallenen und eingesammelten Abfällen zur Verwertung nachträglich zu vermengen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.12.2005 - Az.: 10 C 4.04 - ; BVerwG, Urteile vom 17.2.2005 - Az.: 7 C 25.03 und 7 CN 6.04; BVerwG NVwZ 2000, S. 1178f. ; Kunig: in Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003 § 11 Rz. 11).“

4. Vergaberechtliche Risiken

Trotz der vergaberechtlichen Ausführungen in dem Gutachten von Rechtsanwalt Dr. Gaßner verbleiben Prozessrisiken. Bei abgeschlossenen Entsorgungsverträgen mit privaten Abfallunternehmen besteht eine Ausschreibungsverpflichtung grundsätzlich dann, wenn wesentliche Vertragsbestandteile geändert werden. Hierzu gehören insbesondere der Leistungsgegenstand und die Leistungsvergütung. Nach der Rechtssprechung fallen Abänderungen bestehender Verträge in den Anwendungsbereich des Vergaberechtes, wenn ihre wirtschaftlichen Auswirkungen bei wertender Betrachtung einer Neuvergabe von Leistungen gleichkommen. Eine solche Änderung kann - so das OLG Düsseldorf – insbesondere in einer erheblichen Entgeltänderung, Leistungserweiterung oder Laufzeitverlängerung liegen (vgl. OLG Düsseldorf, Vergaberecht 2001, S. 329 ff.; Vergaberecht 2001, S. 210 ff.; OLG Rostock, VergabeR 2003, S. 321ff.). Wenn der örE eine vertraglich vereinbarte Entsorgungsleistung für die Restmüllentsorgung vereinbart hat, so ist es nicht ohne Weiteres möglich, diese Leistung dahingehend zu ändern, dass die Restmüllfraktion nunmehr anderweitig entsorgt wird, weil hierin auch inzident die einvernehmliche Aufhebung des bislang geltenden Vertrages verstanden werden kann (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Vergaberecht 2002, S. 210 ff., S. 212), zumal auch geringfügige Änderungen in der Beschaffenheit des Leistungsgegenstandes nicht vergaberechtlich unproblematisch sind (vgl. OLG Rostock, VergabeR 2003, S. 321ff. - liegt zurzeit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Konkurrent die Abänderung des Vertrages im Hinblick auf die Beseitigung des Restmülls zum Anlass nimmt, ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren dahin einzuleiten, dass der bislang geltende Vertrag inzident einvernehmlich abgeändert worden ist, mit der Folge, dass eine Ausschreibungspflicht für den örE entsteht. Dieses vergaberechtliche Risiko kann einem örE, der seine Abfallentsorgungspflicht nach § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG nachzukommen hat, nicht ernsthaft aufgebürdet werden.

Hinzu kommt, dass die „umgeleiteten Restmüllmengen“ durch andere Abfallmengen auf der Grundlage des gleichen Entsorgungsvertrages zur Beseitigung von Abfällen ersetzt werden sollen und sich auch hieraus eine Ausschreibungspflicht ergeben könnte, wenn und soweit die ersatzweise gelieferten Abfallmengen nicht den „gleichen Qualitätsstand“ aufweisen, der vertraglich vereinbart worden ist, mit der Folge, dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine vergaberechtlich relevante Vertragsänderung angenommen werden könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Vergaberecht 2001, S. 329 ff.; Vergaberecht 2001, S. 210 ff.; OLG Rostock, VergabeR 2003, S. 321ff.). Schließlich bleibt ein vergaberechtliches Prozessrisiko, weil - mangels Vorlage konkreter Vertragstexte - lediglich theoretische Vertragskonstruktionen begutachtet werden konnten. Eine solche Begutachtung birgt grundsätzlich vergaberechtliche Prozessrisiken in sich, weil vergaberechtliche Sachverhalte bekanntermaßen nur auf der Grundlage des konkreten Einzelfalls und der konkret abgeschlossenen Verträge einer belastbaren Überprüfung unterzogen werden können.

5. Begleitende Vereinbarung

Rechtsanwalt Dr. Gaßner kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine begleitende Vereinbarung unter der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände nicht erforderlich ist. Die kommunalen Spitzenverbände sehen sich wegen der weiterhin bestehenden Prozessrisiken auch nicht in der Lage, an einer solchen begleitenden Vereinbarung mitzuwirken.

6. Empfehlung für unsere Mitglieder

Auf Basis dieser Ausführungen sehen sich die kommunalen Spitzenverbände nicht in der Lage, ihren Mitgliedern eine Teilnahme an einem solchen 1½jährigen Großversuch empfehlen zu können. Die mit dem flächendeckenden Versuch verbundenen Risiken überwiegen deutlich bei einer Gesamtabwägung.

Die Geschäftsstelle weist ergänzend auf folgendes hin:

Sowohl das Präsidium des StGB NRW als auch der Umweltausschuss des StGB NRW haben im März 2006 durch Beschluss deutlich gemacht, dass sie einen Großversuch „Gelb in Grau“ unter den zurzeit bekannten Rahmenbedingungen nicht befürworten, weil die begründete Besorgnis besteht, dass die Bereitschaft zur Sortierung von Abfällen bei den Bürgerinnen und Bürgern erheblichen Schaden nehmen könnte. Außerdem sei nicht erkennbar, dass mit einer gemeinsamen Erfassung von Restmüll und Leichtstoffverpackungen und der damit verbundenen Aufgabe des Prinzips der Mülltrennung ökologische bzw. ökonomische Vorteile verbunden seien. Zugleich haben das Präsidium des StGB NRW und der Umweltausschuss des StGB NRW festgestellt, dass die Vertragslage im Rahmen des Dualen Systems im komplexer wird. Bund und das Land wurden deshalb aufgefordert, eine Änderung der Verpackungsverordnung zu prüfen, mit der den Kommunen wieder die Pflicht zur Erfassung von gebrauchten Einwegverkaufsverpackungen im Rahmen ihrer kommunalen Abfallentsorgungspflicht gegen volle Kostenerstattung zugeordnet wird. In diese Richtung geht auch das Positionspapier der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vom 24.10.2005 zur Zukunft der Verpackungsentsorgung in Deutschland anlässlich der 65. Umweltministerkonferenz der Länder.

Die Geschäftsstelle wird über den weiteren Fortgang berichten.

Az.: II/2 32-16-4 qu/g

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