Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 398/2006 vom 10.05.2006

Schutz eines Mastbetriebs gegen herannahende Bebauung

Ist in einem Bebauungsplanverfahren die prognostische Abschätzung der zu erwartenden Immissionen durch vorhandene landwirtschaftliche Betriebe oder gewerbliche Mastbetriebe erforderlich, ist bei der Immissionsberechnung der durch die Baugenehmigung oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung legalisierte (Tier)Bestand zu Grunde zu legen.

[OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.12.2005 - 10 B 1668/05]

Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Kälbermastbetriebs mit einem legalisierten Tierbestand von 276 Mastkälbern. Der Betrieb befindet sich etwa 140 m nordwestlich des Planbereichs des streitgegenständlichen Bebauungsplans. Im Plangebiet werden bislang landwirtschaftlich genutzte Flächen als allgemeine Wohngebiete festgesetzt. Dem Antrag, den Vollzug des Bebauungsplans vorläufig auszusetzen, gab das OVG statt.

Gründe:

… Nach diesen Maßstäben ist es dringend geboten, die Vollziehung des angegriffenen Bebauungsplans bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren auszusetzen, um schwere Nachteile zu Lasten der Antragstellerin abzuwehren.

Es besteht die Gefahr, dass ohne die einstweilige Anordnung - auch wenn der Normenkontrollantrag in der Hauptsache Erfolg hätte - der Betrieb der Antragstellerin betrieblichen Einschränkungen unterworfen würde. Zu derartigen Beschränkungen könnte es kommen, wenn die durch die Planung ermöglichte Wohnbebauung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Normenkontrollhauptsacheverfahrens weitgehend fertiggestellt würde und insbesondere die den Betriebsgebäuden am nächsten gelegenen Wohnhäuser im nordwestlichen Planbereich entgegen der Annahmen des Rates der Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren Geruchsemissionen des Betriebs ausgesetzt wären, die den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG erfüllen. In einem solchen Fall könnte die zuständige Behörde - unabhängig davon, ob es sich um einen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Betrieb handelt oder nicht - entweder nach § 17 Abs. 1 BImSchG oder nach § 24 Satz 1 BImSchG die erforderlichen Anordnungen nachträglich treffen und den Betrieb einschränken.

Als planbedingte Behinderungen der gegenwärtigen Betriebsausübung kommen hier (nachträgliche) zusätzliche behördliche Auflagen und Anordnungen zum Schutz der geplanten neuen Wohnbebauung in Betracht.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund der von der Antragsgegnerin im Rahmen des Aufstellungsverfahrens in Auftrag gegebenen Immissionsprognose vom 04.04.2005. Ist in einem Bebauungsplanverfahren eine prognostische Abschätzung von zu erwartenden Immissionen erforderlich, kann diese zwar - je nach den Umständen des Falles - mehr oder weniger grob sein, doch muss sie im Ergebnis hinreichend aussagekräftig sein, um die Wahrung der Zumutbarkeitsschwelle abwägungsgerecht beurteilen zu können. Diesen Anforderungen entspricht die von der Antragstellerin angegriffene Geruchsimmissionsprognose nicht. Sie lässt nicht ausreichend sicher vermuten, dass das Plangebiet durch die bestehenden (landwirtschaftlichen) Betriebe keinen unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sein wird und deshalb nachteilige Eingriffe in die vorhandenen Betriebe auszuschließen sind.

Der Geruchsimmissionsprognose fehlt es bereits an einer zutreffenden Prognosebasis, denn der ihr zu Grunde gelegte Sachverhalt erfasst das tatsächlich zu berücksichtigende Emissionspotenzial nur unvollkommen.

Das Geruchsgutachten gelangt zu dem Ergebnis, der in der Tabelle 1 der Nr. 3.1 GIRL genannte Immissionswert von 0,10 für Wohngebiete werde im überwiegenden Bereich des Plangebiets nicht überschritten. Lediglich für eine kleine Teilfläche im Westen unmittelbar an der C.-Straße wurde ein Immissionswert von 0,11 errechnet. Die Immissionswerte beschreiben die Geruchshäufigkeit, indem sie prozentual die Zahl der Jahresstunden angeben, in denen es zu Geruchswahrnehmungen auf den jeweiligen Beurteilungsflächen kommt. Das Gutachten berücksichtigt zwei in der Umgebung des Plangebiets angesiedelte (landwirtschaftliche) Betriebe. In die Berechnung geht neben dem etwa 140 m westlich bzw. nordwestlich des Plangebiets gelegenen Betrieb der Antragstellerin mit 200 Mastkälbern und einem Güllehochbehälter auch die landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle "C." mit 30 Sauen, 10 Abferkelplätzen, 50 Mastschweinen und 1.000 Legehennen ein.

Maßgeblich für die im Plangebiet zu erwartenden Immissionen ist der durch Genehmigung legalisierte (Tier-)Bestand. Bei dieser kann es sich um eine Baugenehmigung - bzw. wie hier eine Bauanzeige mit Zustimmung der Bauaufsichtsbehörde - oder um eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung handeln. Hinsichtlich des Betriebs der Antragstellerin wird unter Ziffer 2. des Gutachtens ausgeführt, die Angaben über die "vorhandenen bzw. genehmigten" Tierbestände seien vom Ehemann der Antragstellerin auf dem Vor-Ort-Termin am 15.01.2001 mitgeteilt worden. Die Zahlen seien auch im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens noch aktuell. Im damaligen Termin hatte der Ehemann der Antragstellerin eine Zahl von 276 Mastkälbern angegeben. In die Immissionsprognose wird jedoch nur eine Zahl von 200 Kälbern eingestellt. Unter Ziffer 1. des Gutachtens wird dazu ausgeführt, der Betrieb der Antragstellerin könne bei einem genehmigten Tierbestand von 276 Kälbern aufgrund der geänderten Tierhaltungsverordnung derzeit in dem bestehenden Gebäude nur 200 Kälber halten. Für die seinerzeit genehmigten 276 Kälbermastplätze seien bauliche Erweiterungen über ein Genehmigungsverfahren zu beantragen. Diese dem Gutachten zu Grunde liegende Annahme ist unzutreffend.

Die Antragstellerin kann sich auf die Bauanzeige aus dem Jahr 1983 zur Errichtung eines Kälbermaststalls mit 267 Kälbern berufen, der der Oberkreisdirektor am 28.02.1984 die Zustimmung erteilt hat. Bei der Immissionsberechnung ist der danach erlaubte Tierbestand von 276 Kälbern zu Grunde zu legen. Eine verwertbare Immissionsprognose kann nur aufgrund des tatsächlich zulässigen Emissionspotenzials erstellt werden, wie es sich aus den erteilten Baugenehmigungen bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen ergibt. Nur auf dieser Grundlage ist die Prognose hinreichend aussagekräftig, um die in die Abwägung einzustellenden widerstreitenden Belange von Wohnnutzung und Landwirtschaft richtig gewichten und zu einem gerechten Ausgleich bringen zu können.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Bestandsschutz für den Kälbermastbetrieb mit 267 Kälbern nicht durch die Kälberhaltungsverordnung vom 22.12.1997 entfallen, weil die Antragstellerin danach in ihrem Stallgebäude nur noch höchstens 198 Kälber ohne genehmigungspflichtige Änderungen legal halten dürfte. Damit verkennt die Antragsgegnerin die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung bzw. - wie hier - der Bauanzeige nach Ablauf der Untersagungsfrist oder Erteilung der Zustimmung. Zur Errichtung des Kälbermaststalls ist Ende 1983/Anfang 1984 das seinerzeit nach § 89 BauO NRW 1970 vorgesehene Anzeigeverfahren durchgeführt worden. Das damalige Anzeigeverfahren beinhaltete eine vollständige bauaufsichtliche Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und führte nach Ablauf der Monatsfrist des § 89 Abs. 3 BauO NW 1970 ("fingierte Bauerlaubnis") oder - wie hier - bei förmlicher Zustimmung zur formellen Legalisierung des Vorhabens.

Dies hat zur Folge, dass im Umfang der Baugenehmigung bzw. Bauanzeige die Legalität des Vorhabens nicht in Frage steht, solange die erteilte Genehmigung bzw. Zustimmung nicht aufgehoben oder eine förmliche Untersagung des anzeigepflichtigen Vorhabens nicht erfolgt ist.

Ein anderer als der legalisierte Tierbestand könnte allenfalls dann in die Immissionsprognose eingestellt werden, wenn in dem Stall, der Gegenstand der Bauanzeige war, unter keinem Gesichtspunkt eine den Tierschutzanforderungen genügende Unterbringung einer größeren Tierzahl möglich wäre.

Az.: II/1 620-01

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