Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 579/2006 vom 09.08.2006

Reverse-Charge-Verfahren abgelehnt

Die Europäische Kommission hat das Ersuchen Deutschlands und Österreichs zur generellen Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges am 19. Juli 2006 abgelehnt. Damit scheiterte der Versuch der Bundesregierung, über den Art. 27 der 6. MwSt-Richtlinie eine Ausnahmeregelung von den harmonisierten allgemeinen Grundsätzen des Mehrwertsteuerrechts in der EU zu erlangen.

Der Umsatzsteuerbetrug und hier insbesondere der so genannte Karussellbetrug steht auf der Tagesordnung der Europäischen Kommission, da die Betrugstatbestände einen solch drastischen Umfang angenommen haben, dass eine gemeinschaftliche Bekämpfung auf EU-Ebene erforderlich erscheint. Allein für Deutschland werden die Steuerausfälle im zurückliegenden Jahr hierbei auf knapp 17 Mrd. € geschätzt: Davon entfallen schätzungsweise ca. 5 Mrd. € auf den professionellen Karussellbetrug. EU-weit geht man von 60 bis 100 Mrd. € an Steuerausfällen aus. In diesem Zusammenhang wurde sowohl von Österreich als auch von Deutschland in Anlehnung an Art. 27 der 6. MwSt-Richtlinie die Einführung des so genannten Reverse-Charge-Verfahrens gefordert. Die hierbei integrierte Umkehrung der Steuerschuldnerschaft sollte das Problem bekämpfen, dass Unternehmen die Mehrwertsteuer in Rechnung stellen und dann ohne sie selbst zu entrichten verschwinden.

Eine andere Variante des Umsatzsteuerbetrugs äußert sich in der Tatsache, dass Lieferungen über die EU-Binnengrenzen umsatzsteuerfrei sind und die Steuern erst im Bestimmungsland erhoben werden. Scheinunternehmer führen die Waren aus dem Ausland ein und verkaufen diese weiter, wobei die kassierte Umsatzsteuer dann nicht in das Finanzamt abgeführt wird. Begründet wird die Absage dieses im Übrigen auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition enthaltenen Verfahrens mit einer notwendigen Übereinstimmung des Gemeinschaftsrechts. Zwar sieht der für Steuerwesen zuständige Kommissar Laszlo Kovacs das Reverse-Charge-Verfahren als ein geeignetes Verfahren zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges an. Es muss aus seiner Sicht aber darauf geachtet werden, dass alle Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug verhältnismäßig sind und diese steuerehrliche Unternehmen nicht noch zusätzlich belasten.

Ihren Antrag auf Einführung des besagten Verfahrens begründeten Deutschland und Österreich mit dem Art. 27 der 6. MwSt-Richtlinie, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission ohne Anhörung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig jeden Mitgliedsstaat ermächtigen kann, von der MwSt-Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehung oder Umgehung zu verhindern. Diesem Weg hat die Kommission nun eine Abfuhr erteilt. Zwar hat sie in der Vergangenheit dem Rat bereits in mehreren Fällen vorgeschlagen, einzelnen Mitgliedsstaaten die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens zu gestatten. Der Unterschied zu den jetzt vorliegenden Anträgen Deutschlands und Österreichs liegt aber darin, dass diese sich nur auf einzelne Branchen (Baugewerbe, Schrotthandel, Holzwirtschaft usw.) beziehen und die Ermächtigung im Allgemeinen nur für Leistungen kleinerer Risikounternehmen an größere leicht zu kontrollierende Unternehmer gilt. Daraufhin haben Deutschland und Österreich nun die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens für alle Leistungen von Unternehmen an andere Unternehmen beantragt, deren Entgelt 5.000 bzw. 10.000 € überschreitet. Hierüber muss die Kommission erneut entscheiden.

Da sowohl das abgelehnte als auch das neue Verfahren zu weit reichenden Änderungen im bestehenden Mehrwertsteuersystem führen würde, kann nach Auffassung der Kommission die einzige Rechtsgrundlage für eine solch umfassende Maßnahme der Art. 93 des EG-Vertrages sein. Damit scheint die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens in Deutschland in naher Zukunft als sehr unwahrscheinlich. Denn obwohl auf der Grundlage von Art. 93 allen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gegeben wird, an der Veränderung des Mehrwertsteuersystems mitzuwirken, müsste ein Vorschlag in dieser Richtung von allen Mitgliedsstaaten nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig im Rat genehmigt werden.

In einer Reaktion des Bundesfinanzministers auf die Entscheidung der Kommission wird darauf verwiesen, dass diese lediglich beinhalte, dass der Weg einer Sondermaßnahme nicht mehr offen steht. Der nun zur Verfügung stehende Weg, über den Artikel 93 des EU-Vertrags eine Änderung des Gemeinschaftsrechts herbeizuführen, sollte lt. Bundesfinanzminister Steinbrück konsequent genutzt werden. Das BMF betont, dass von Anfang an zwei Wege zur Einführung des Reverse-Charge-Modells in Betracht gezogen wurden. Der zweite Weg, eine Änderung der 6. MwSt-Richtlinie über Artikel 93 des EG-Vertrages herbeizuführen, beinhaltete aber, dass nur die Kommission das Initiativrecht für Vorschläge zur Änderung der genannten Richtlinie innehat. Die Kommission sieht in dem vorgeschlagenen Reverse-Charge-Modell durchaus ein geeignetes Instrument zur Umsatzsteuerbekämpfung, sie möchte aber auf Grund der nicht hinreichend untersuchten Folgen eines solchen Systemwechsels auf Mittelstand und Handwerk vielmehr eine grundlegende Änderung weg vom Bestimmungslandprinzip hin zum Ursprungslandprinzip erreichen. Danach soll die Umsatzsteuer am Sitz des Herstellers nach den dort geltenden Sätzen erhoben werden, um diese dann an den Fiskus des Landes zu überweisen, in dem die Ware konsumiert wird.

Das BMF geht bezüglich der am 31.05.2006 von der Kommission abgegebenen Erklärung nur auf den Punkt ein, dass die Kommission das Modell des Reverse-Charge-Verfahrens sehr aufgeschlossen untersuche und als ein geeignetes Modell zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges ansieht. Die von der Kommission derzeit favorisierte grundlegende Änderung der Umsatzbesteuerung wird von Seiten des BMF nicht erwähnt. Stattdessen verweist das BMF darauf, dass die Kommission den Maßnahmen zur Bekämpfung des Steuerbetrugs außerordentlich hohe politische Bedeutung beimisst und zu Recht in ihrer Mitteilung darauf verweist, dass wirksame Maßnahmen gegen den Steuerbetrug ein wichtiges Ziel innerhalb der Lissabon-Strategie seien.

Az.: IV/1 922-00

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