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StGB NRW-Mitteilung 67/2001 vom 20.01.2001

Reform der gesetzlichen Rentenversicherung

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages im Vorfeld der Sachverständigenanhörung am 11. Dezember 2000 eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Vorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz - AVmG) abgegeben. Die Stellungnahme ist nachfolgend im Wortlaut abgedruckt:

"Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

haben Sie vielen Dank für die Einladung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zur Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Vorsorgevermögens durch den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages. Die kommunalen Spitzenverbände haben keinen Zweifel, dass angesichts der demographischen Entwicklung Änderungen im Rentenrecht erforderlich sind, um die Rente zukunfts- und armutssicher zu machen. Größere Gruppen von Rentnern auf die Sozialhilfe zu verweisen, ist jedoch der sozialpolitisch falsche Weg. Die Rentenreform bekämpft nicht die Altersarmut; sie führt vielmehr zwangsläufig zu mehr Altersarmut. Dies ist um so bedauerlicher, als auf Grund der Rentenentwicklung seit 1965 der Anteil der Sozialhilfeempfänger im Rentenalter von 28 % auf 6,5 % zurückgeführt werden konnte. Dieser Trend wird sich nun umkehren.

Bei den Regelungen in Artikel 8 des AVmG handelt es sich um den bisher folgenschwersten Eingriff in die systematischen Grundlagen der Sozialhilfe.

Die kommunalen Spitzenverbände lehnen eine sozialhilfefinanzierte Grundsicherung aus folgenden Gründen ab:

1. Der für das Fürsorgerecht unverzichtbare Nachranggrundsatz wird durch den generellen Verzicht auf die Heranziehung Unterhaltspflichtiger bei der Hilfe zum Lebensunterhalt an über 65-Jährige und an Erwerbsunfähige faktisch aufgehoben. Dies gilt nicht nur, wenn diese im eigenen Haushalt wohnen, sondern auch, wenn sie in einer Einrichtung (Pflegeheim oder Behindertenwohnheim) betreut werden.

Der Nachranggrundsatz wird weiter dadurch verletzt, dass die Anrechnung von Vermögen erheblich beschränkt wird und insbesondere die Erträge aus dem Vermögen, das der Alterssicherung dienen soll, und die die Absenkung des Rentenniveaus auffangen sollen, ebenfalls nicht sozialhilfemindernd angerechnet werden können. Dies ist ein Widerspruch zu Sinn und Zweck des Aufbaus eines kapitalgedeckten Vermögens zur Altersvorsorge.

Die weitgehende Pauschalierung der Sozialhilfe für Rentner und Renterinnen auf einein gehobenen Niveau widerspricht dein Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung.

Durch diese wesentlichen Eingriffe in die systematischen Grundlagen der Sozialhilfe wird wieder eine Gruppenfürsorge installiert, deren Abschaffung mit Einführung des BSHG als besondere Errungenschaft galt. Verbunden hiermit ist eine Abkehr vom Selbsthilfegedanken des BSHG und eine Relativierung des Charakters der Sozialhilfe als Hilfe für vorübergehende Notlagen.

Mit dem Verzicht auf die Heranziehung Unterhaltspflichtiger von Rentnern/Rentnerinnen und dauernd Erwerbsgeminderten wird das bürgerliche Unterhaltsrecht weitgehend ausgehöhlt. Die Schonung der Unterhaltspflichtigen kommt allein diesen zugute, nicht den Rentnerinnen und Rentnern. Die Einbeziehung der Erwerbsunfähigen in die Gesamtproblematik der sozialhilfefinanzierten Grundsicherung ist nicht nachvollziehbar. Die hier angesprochenen Fragen gehören in den Gesamtzusammenhang eines geplanten einheitlichen Rehabilitationsgesetzes.

Die vorgesehene Pauschalierung einmaliger Leistungen ist mit den Modellversuchen, die auf der Grundlage der Experimentierklausel des 101 a BSHG durchgeführt werden, nicht vereinbar. Die Regelung kollidiert nicht nur in Einzelfällen mit bereits bestehenden Pauschalierungsregelungen, sondern gefährdet insgesamt den mit den Modellversuchen angestrebten Zweck.

2. Durch die Absenkung des Rentenniveaus wird sich die Zahl der Rentner, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, mehr als verdoppeln. Uni eine Rente oberhalb der Sozialhilfeschwelle (1.300,-- DM) zu erhalten, muss der sogenannte Eckrentner/die Eckrentnerin 27 Jahre lang ein Entgelt in Höhe des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten (Monatseinkommen z. Z. 5.000,-- DM) bezogen haben. Auf Grund längerer Ausbildungszeiten, Teilzeitarbeit, Ausfallzeiten und qualifikationsabhängiger stärkerer Einkommensspreizungen (Niedriglöhnen) wird das Sozialhilfeniveau durch Altersrente immer häufiger nicht erreicht werden können. Der Hinweis auf private Vorsorge dürfte bei potentiell Sozialhilfebedürftigen, und das ist angesichts der Kumulation von Einkommen um und wenig über der Sozialhilfeschwelle eine erhebliche Zahl voll Personen, ins Leere gehen. Für diesen Personenkreis würde es auch zunehmend unattraktiver werden, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten, weil die zu erzielenden Rentenansprüche unter Sozialhilfeniveau liegen.

    1. Die mit einer sozialhilfefinanzierten Grundsicherung verbundenen Mehrkosten für die Sozialhilfe sind nicht kalkulierbar. Die in der Begründung zum Gesetzentwurfgenannten Mehrkosten von 600 Millionen DM können unsererseits nicht nachvollzogen werden. Ein schlüssiges Konzept zum Ausgleich der Mehrkosten liegt bisher noch nicht vor. Die heute zur Verfügung stehenden Daten weisen auf eine Verdoppelung der Zahl der Rentner und Rentnerinnen hin, die auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Welche Kosten hierdurch entstehen, kann nur nach dem Stand von heute geschätzt werden. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden diese Kosten überproportional steigen. Die Mehrkosten durch den Verzicht auf die Heranziehung Unterhaltspflichtiger, die beschränkte Anrechnung von Vermögen, die wegfallende Motivation für beitragspflichtige Beschäftigung sowie die Pauschalierung der einmaligen Leistungen entziehen sich einer seriösen Schätzung.
    2. Abgesehen von den systematischen und finanziellen Bedenken, die eine sozialhilfefinanzierte Grundsicherung auslösen, muss darauf hingewiesen werden, dass die Verweisung von Rentnern / Rentnerinnen auf Sozialhilfe der sozialpolitisch falsche Weg ist. Die Sozialhilfe darf nicht als Ausfallbürge für unzureichende Altersversorgungsleistungen und Leistungen bei Erwerbsunfähigkeit in Anspruch genommen werden. Die Rentner hätten sich zudem mit zwei Sozialverwaltungen, der Rentenversicherung und der Sozialhilfe, auseinander zu setzen. In einer Zeit, in der versucht wird, im Bereich der Arbeitsverwaltung Mehrfachzuständigkeiten zusammenzuführen, wird deutlich, dass der vorgesehene Weg einer sozialhilfefinanzierten Grundsicherung auch hinsichtlich des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes nicht Reformansprüchen genügen kann.
    3. Wie beim Familienleistungsausgleich sollen die Kommunen bei der Rentenreform erneut über erhebliche Steuerverluste zur Mitfinanzierung herangezogen werden, obwohl die Alterssicherung eine staatliche und keine kommunale Aufgabe ist. Mit dem AVmG sollen eine Grundzulage von 300,-/600,- DM für Alleinstehende/Verheiratete und eine Kinderzulage von 360,- DM je Kind für Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge von rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern, wahlweise ein Sonderausgabenabzug eingeführt werden. Das bedeutet für die Kommunen, dass sich ihre Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer nicht nur in Folge des Sonderausgabenabzugs, sondern auch in Folge der Verrechnung der Zulage mit der Lohn- und Einkommensteuer vermindern. Die Steuerausfälle der Kommunen wachsen bis zum Jahr 2008 auf über 2,2 Milliarden DM an. Hinzu kommen mittelbare Mindereinnahmen über den Steuerverbund im kommunalen Finanzausgleich in Folge der Steuerausfälle der Länder, für die das BMF bis auf über 6,2 Milliarden DM im Jahr 2008 wachsende Beträge schätzt.

Die Kommunen lehnen die Mitfinanzierung der zusätzlichen Altersvorsorge ab. Diese muss ausschließlich vorn Bund finanziert werden. "

Az.: III 878

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