Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 608/1998 vom 05.11.1998

Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer

Die Wissenschaftlichen Beiräte bei den Bundesministerien für Finanzen und Wirtschaft haben in einer gemeinsamen Stellungnahme Grundsätze für eine Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer verabschiedet. Die Stellungnahme hat folgenden Wortlaut:

"(1) Die Beiräte raten der neuen Bundesregierung, sich möglichst rasch mit dem Bundestag und dem Bundesrat auf eine durchgreifende Reform der Einkommen­ und Körperschaftsteuer zu verständigen. Beide Beiräte haben bereits vor zwei Jahren zur anstehenden Steuerreform in ausführlichen Gutachten Stellung genommen.

(2) Den bisherigen Reformstillstand kann sich Deutschland nicht länger leisten. Die hohe Arbeitslosigkeit und das unzureichende Wirtschaftswachstum sind kein unvermeidbares Schicksal, sondern Folge einer fehlenden Bereitschaft, die Herausforderungen des internationalen Standortwettbewerbs offensiv und flexibel anzunehmen. Mit dem Beginn der europäischen Währungsunion wird der Standortwettbewerb härter. Aber es eröffnen sich auch neue Chancen. Mehr Beschäftigung ist möglich. Dazu müssen die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens neu eingestellt werden. So gilt es, die Marktkräfte zu stärken, insbesondere auch auf den Arbeitsmärkten. Ebenso bedarf es grundlegender Reformen der Systeme der sozialen Sicherheit.

(3) Eine durchgreifende Steuerreform ist ein wichtiger Baustein einer Reformstrategie, die wieder stärker auf die Marktkräfte vertraut und die privaten Investoren weder fesselt noch gängelt. Genau dies ist nämlich die Voraussetzung für ein kräftiges Wirtschaftswachstum, von dem auch mehr Beschäftigung zu erwarten ist.

Die Reform der Einkommen­ und Körperschaftsteuer sollte von folgenden Leitlinien bestimmt sein:

- Leistungsfreundlichere Gestaltung des Steuertarifs,

- Verzicht auf Lenkungseffekte bei Senkung der durchschnittlichen Steuerbelastung,

- Transparenz und Vereinfachung.

(4) Leistungsfreundlich ist eine Besteuerung, die Arbeitnehmer und Selbständige dazu anreizt, nach neuen Erwerbsmöglichkeiten zu suchen, vorhandene Erwerbsmöglichkeiten weiter auszubauen und lohnpolitische Zurückhaltung zu üben, damit es zu dauerhaft mehr Beschäftigung kommt anstatt zu weiteren Arbeitsplatzverlusten. Dafür bedarf es einer möglichst drastischen Senkung der Steuersätze, und zwar über den gesamten Tarifverlauf.

(5) Die Kombination aus hohen Steuersätzen und großzügigen Bewertungsregeln für die Gewinnermittlung, die das heutige Steuersystem kennzeichnet, führt zur Fehllenkung privater Investitionen. Allzu häufig werden Projekte deshalb realisiert, weil sie eine Linderung des hohen Steuerdrucks versprechen. Eine Fehlstrukturierung des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks und eine Vergeudung wertvollen Sparkapitals sind die Folge. Eine mutige Steuerrefom, die auch vor drastischen Tarifsenkungen nicht zurückscheut, wird dafür sorgen, daß sich die Investitionsentscheidungen wieder an den Erträgen orientieren, statt von steuerlichen Effekten überlagert zu werden.

Besonders die Spitzenbelastung der Unternehmen, die in der Summe aus Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer bis zu 60 Prozent reichen kann, bedarf nicht nur einer kosmetischen, sondern einer kräftigen Korrektur. Eine Senkung des Spitzensatzes der Einkommensteuer von bisher 53 Prozent bzw. 47 Prozent bei gewerblichen Einkünften auf erheblich unter 40 Prozent läßt sich vertreten, wenn vielfältige Steuerbegünstigungen, die vor allem von Beziehern hoher Einkommen genutzt werden, entfallen.

Schon bisher bestand Einigkeit, daß der Körperschaftsteuersatz auf einbehaltene Gewinne 35 Prozent nicht überschreiten sollte. Auch der Spitzensatz der Einkommensteuer, und zwar für alle Einkunftsarten, sollte sich an dieser Marke orientieren. So ist es schon zur Vermeidung eines Anreizes zum Wechsel der Rechtsform erforderlich, auch Personengesellschaften nicht höher zu besteuern, und nicht nur die Gerechtigkeit verbietet es, Selbständigen wie abhängig Beschäftigten eine darüber hinausgehende Last aufzubürden. Wenn die Erträge der menschlichen Arbeitskraft steuerlich stärker als die Erträge des Kapitals belastet werden, wird die Bereitschaft schwinden, Zeit und Geld in die eigene Ausbildung zu investieren. Das würde die Entwicklung einer auf Wissen und technischen Fortschritt angewiesenen Volkswirtschaft und damit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen.

(6) Transparenter und einfacher wird die Besteuerung, wenn sie von zahlreichen und komplizierten Begünstigungen bereinigt und damit die Bemessungsgrundlage verbreitert wird. Es sind vornehmlich die Ausnahmetatbestände und Steuerbegünstigungen, die das Steuersystem komplizieren und am Ende die Bürger stärker als notwendig belasten. Die Steuerbegünstigungen verleiten zu individuell riskanten und gesamtwirtschaftlich oft unsinnigen Entscheidungen. Viele Begünstigungen werden zudem von den Bürgern für ungerecht gehalten.

Auch der Tarif sollte möglichst transparent sein. Käme es allein auf Transparenz an, so würde man einen Tarif wählen, der bei einem ausreichend hohen Grundfreibetrag mit nur einem Steuersatz auskommt. Auch ein solcher Tarif wäre progressiv. Er wird aber auf verteilungspolitische Bedenken stoßen. Daher wird es wohl bei einem Tarif mit steigenden Grenzsteuersätzen bleiben. Ob dieser Tarif nur wenige Stufen umfaßt oder wie bisher durch einen linearen Anstieg der Grenzsteuersätze geprägt ist, hat zwar Bedeutung, ist aber weniger gewichtig, wenn die Steuersätze über den gesamten Tarifverlauf kräftig gesenkt werden.

(7) Zu wenig wäre gewonnen mit einer Reform der Einkommensbesteuerung, die keine Nettoentlastung schafft, sondern die Steuerbelastung nur umverteilt. Aufkommensneutralität wäre ein schlechtes Signal für inländische wie ausländische Investoren. Es bedarf vielmehr einer deutlichen Senkung der Gesamtsteuerlast.

(8) Falsch wäre es also, eine Senkung der Einkommen­ und Körperschaftsteuer durch die Erhöhung anderer Steuern zu kompensieren, die ihrerseits negative Leistungsanreize auslösen und den Standort belasten. So ist von einer Wiederbelebung der Vermögensteuer abzuraten. Auch der Versuch, nur persönliche und besonders große Vermögen zu besteuern, muß daran scheitern, daß zwischen persönlicher und betrieblicher Sphäre nicht sauber zu trennen ist. Zudem sind die unverhältnismäßig hohen Verwaltungskosten zu bedenken und die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen zu beachten.

(9) Es herrscht weitgehend Einigkeit, daß die Reform der Einkommen­ und Körperschaftsteuer eine wesentliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen bringen muß. Damit entsteht bereits ein erheblicher Spielraum für die Senkung der Steuersätze. Darüber hinaus ist eine Nettoentlastung, die nicht zu einem neuerlichen Anstieg der Haushaltsdefizite führt, nur durch eine weitere Senkung der Staatsquote, also des Verhältnisses von gesamten Staatsausgaben zu Bruttoinlandsprodukt, zu bewirken. Diese Staatsquote liegt heute in der Nähe von 50 Prozent und ist damit eindeutig zu hoch. Daß eine Senkung auch in Deutschland möglich ist, zeigen die Erfahrungen der achtziger Jahre. Vor allem geht es darum, solche Ausgaben zu senken, die Kapitalfehllenkung begünstigen, überkommene Strukturen konservieren und die wirtschaftlichen Antriebskräfte schwächen.

(10) Beide Beiräte raten dazu, nicht kleinmütig zu sein und die Sätze der Einkommen­ und der Körperschaftsteuer kräftig zu senken. Deutschland gehört, jedenfalls was die direkten Steuern betrifft, zu den Hochsteuerländern. Das Ausmaß, in dem das deutsche Steuersystem zu Ausweichreaktionen der Besteuerten und damit zu einer Fehllenkung der volkswirtschaftlichen Ressourcen geführt hat, ist nicht länger hinzunehmen. Nur wenn die Bürger von der Einschnürung durch ein ausuferndes Steuersystem befreit werden, können sie die Leistung erbringen, die eine wirtschaftliche Gesundung ermöglicht und den allgemeinen Wohlstand sichert. Entgegen einer verbreiteten, am Status quo orientierten Betrachtung wird es auf mittlere Sicht dann auch wieder zu höheren Steuereinnahmen kommen.

(11) Viel Zeit ist vertan worden. Andere Länder sind in der Neuorientierung ihrer Steuersysteme vorangeschritten. Die Politik muß jetzt möglichst rasch mit einer durchgreifenden Einkommensteuerreform ein überzeugendes Zeichen dafür setzen, daß auch Deutschland reformfähig ist."

Az.: IV-920-03

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