Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 823/2003 vom 16.10.2003

Problemstände im Beitrags- und Gebührenrecht bei der Kanalnetzübernahme

Die Geschäftsstelle weist mit Blick auf die Angebote sondergesetzlicher Wasserverbände zur Kanalnetzübernahme auf folgende beitrags- und gebührenrechtliche Probleme hin:

Der Geschäftsstelle ist zur Kenntnis gegeben worden, dass bei Kanalnetzübernahme-Angeboten mit einer Senkung der Abwassergebühren geworben oder diese zugesagt wird. Wird eine solche Senkung durch eine Streckung der Abschreibungszeiträume bei Abwasser-kanälen herbeigeführt, so entstehen hierdurch erhebliche Refinanzierungsrisiken. Nach der Rechtsprechung des OVG NRW ( Urteil vom 6.6.1997 – Az.: 9 A 5899/95, NWVBl. 1998, S. 65) ist eine Abschreibung von Kanälen nicht mehr zulässig, wenn ein Kanal vor Ablauf der mutmaßlich angesetzten Nutzungsdauer kaputt ist. Dieses bedeutet: Wird ein Kanal auf 60 Jahre abgeschrieben und ist er nach 50 Jahren kaputt, so darf die Gemeinde nach dem OVG NRW die Abschreibung im 51. Jahr nicht mehr fortsetzen, d.h. der Gemeinde gehen 10 Jahre Refinanzierungszeit verloren. Mithin bekommt sie den Kanal nicht mehr zu 100 % refinanziert und sie bleibt buchstäblich auf den nicht zurückgezahlten Krediten für den kaputten Abwasserkanal sitzen, d.h. muss diesen Kredit für den kaputten Kanal mit allgemeinen Haushaltsmitteln weiter bedienen. Deshalb geht die Empfehlung dahin, möglichst wirklichkeitsgetreue Abschreibungszeiträume zu wählen. Würden hiernach Kanalnetze mit der Zusage der Senkung der Abwassergebühren übernommen und werden in diesem Zusammenhang die Abschreibungszeitraum für Kanäle verlängert z.B. von 60 Jahren auf 90 Jahre, so liegt hierin ein erhebliches Refinanzierungsrisiko, wenn der Kanal vorzeitig abgängig ist. Eine solche Verfahrensweise kann deshalb nicht empfohlen werden.
Auch die von einigen Städten und Gemeinde durch eine Kanalnetz-Übernahme erwartete Gebührenkonstanz (z.B. für 10 Jahre) ist nicht erreichbar bzw. darstellbar, zumal sie sich bereits dann nicht mehr halten läßt, wenn unvorhergesehene Kanalsanierungen auftreten und sanierte Kanäle zusätzlich über die sog. gesonderten B-Beiträge der sondergesetzlichen Wasserverbände zu refinanzieren sind. Auch der Neubau von Kanälen z.B. in einem Neubaugebiet oder neuem Gewerbegebiet wirkt sich durch die kalkulatorische Abschreibung und Verzinsung der Kanäle stets auf die Höhe der Abwassergebühren aus. Vor diesem Hintergrund ist es auch nachvollziehbar, dass sog. Mehrkosten-Klauseln in Vertragsentwürfen der sondergesetzlichen Wasserverbände zur Kanalnetzübernahme enthalten sind. Hierzu gehören z.B. Mehrkosten-Klauseln zu Lasten der Gemeinde bei unvorhersehbaren Kostensteigerungen oder bei einer Änderung des Steuerrechts.
Ein im Vertrag zur Kanalnetzübernahme durch die Gemeinde bereits erklärter Verzicht auf Widerspruch und Klage gegen den sog. gesonderten B-Beitrag, mit welchem der sog. Ausgleichsbetrag für die Kanalnetzübernahme durch den Wasserverband refinanziert wird, ist nicht akzeptabel und führt dazu, dass die Gemeinde ein erhebliches Streitpotenzial mit ihren gebührenpflichtigen Benutzern in der Zukunft eröffnet, wenn sie die Rechtmäßigkeit der sog. B-Beiträge gerichtlich nicht mehr überprüfen lassen kann.

Eine Gebührensenkung durch Übernahme des Kanalnetzes zum Anschaffungs-Restbuchwert tritt regelmäßig dann ein, wenn die Gemeinde zuvor die Kanäle nach dem Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben hat. Eine solche Gebührensenkung kann die Gemeinde jederzeit auch selbst durch eine Umstellung der Abschreibung auf den Anschaffungswert unter gleichzeitigen Einnahmeverlusten für den allgemeinen Haushalt erreichen. Eine solche Umstellung führt aber dazu, dass der allgemeine Haushalt mittel- bis langfristig erhebliche Einnahmeverluste zu verzeichnen hat und ist deshalb unter dem Gesichtspunkt einer auf Langfristigkeit angelegten kommunalen Finanzpolitik problema-tisch. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass eine Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert nach der ständigen Rechtsprechung des OVG NRW rechtlich zulässig ist (vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.8.1994 Az.: 9 A 1248/92, NWVBl. 1994,.S. 428f.; OVG NRW, Urteile vom 1.9.1999, Az.: 9 A 5715/98 und 9 A 3342/98).

Es kann nicht empfohlen werden, ein Kanalnetz durch einen Wasserverband übernehmen zu lassen, ohne dass eine detaillierte Prüfung über den Zustand des Kanalnetzes und dessen Refinanzierungsstand durchgeführt worden ist. Eine solche Überprüfung ist allein wegen des Rechtsprechung des OVG NRW (Urteil vom 15.12.1994 , Az.: 9 A 2251/93, NWVBl. 1995, S. 175f., 176) zum sog. Veräußerungsgewinn unverzichtbar. Ein solcher Veräußerungsgewinn liegt dann vor, wenn ein Kanal z.B. bereits zu 100 % über die Abwassergebühren refinanziert worden ist und nunmehr die Gemeinde für diesen Kanal noch einen finanziellen Geldbetrag, den sog. Veräußerungsgewinn, erhält. Wird demnach durch den Wasserverband für die Kanalnetzübernahme ein sog. Ausgleichsbetrag gezahlt, der sich nicht mit dem Anschaffungsrestbuchwert deckt bzw. sind in diesem Geldbetrag bereits vollständig abgeschriebene Kanäle beinhaltet, so stehen die Geldmittel nach dem OVG NRW insoweit dem gebührenpflichtigen Benutzer und nicht dem allgemeinen Haushalt zu. Wird den gebührenpflichtigen Benutzern durch nicht durchgeführte detaillierte Kanalzustands- und Refinanzierungsprüfung damit ein sog. Veräußerungsgewinn vorenthalten, so ist die in Zukunft erhobene Abwassergebühr im Zweifelsfall rechtswidrig. Der Geschäftsstelle ist außerdem zur Kenntnis gelangt, dass den Kommunen von Abwasserverbänden zusätzliche Einmal-Zahlungen angeboten werden, die über die Anschaffungsrestbuchwerte des Kanalnetzes hinausgehen. Sollte es sich dabei um Wertansätze für vollständig abgeschriebene Teile der Kanalisation handeln, stehen diese Gelder, wie gesagt, nicht dem allgemeinen Haushalt zur Verfügung, sondern müssen im Gebührenhaushalt verrechnet werden und zur Gebührensenkung verwendet werden. Wenn solche Einmal-Zahlungen allgemein damit gerechtfertigt werden, dass der kaufmännische Wert des Kanalisationsnetzes höher ist der Anschaffungsrestbuchwert, dann ist nach Ansicht der Geschäftsstelle ebenfalls das Urteil des OVG NRW vom 15.12.1994 anzuwenden, weil ein solcher „Mehrwert“ aus einer von den gebühren-zahlenden Bürgern finanzierten Anlage entstanden ist. Wenn es solche Angebote von Einmal-Zahlungen gibt, müssen nach Ansicht der Geschäftsstelle die Wasserverbände diese Einmal-Zahlungen, die ja für die Übernahme des Kanalnetzes getätigt werden sollen, über die Umlage finanziert werden, die ein Wasserverband von der Gemeinde für die Bewirt-schaftung des Kanalnetzes berechnet (sog. B-Beitrag). Dann würde diese Einmal-Zahlung zu einem höheren B-Beitrag führen und damit auch zu einer entsprechend höheren Abwassergebühr. Eine Sonderzahlung eines Wasserverbands an eine Kommune, die dem allgemeinen Haushalt zugute kommt, halten wir aufgrund der OVG-Rechtsprechung nicht für zulässig. Dieses bedarf der Klärung mit dem sondergesetzlichen Wasserverband.

Eine Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen ist nach § 8 KAG NRW nur zulässig, wenn die Gemeinde einen eigenen Herstellungsaufwand hat. Baut zukünftig der Wasserverband nach einer Übernahme des Kanalnetzes die neuen Kanäle, so ist eine Beitragserhebung nicht mehr zulässig, weil die Gemeinde keinen eigenen Herstellungsaufwand mehr hat. Die nunmehr vorgeschlagene Verfahrensweise, dass die Gemeinde die neuen Kanäle baut und erst nach einer Beitragserhebung die neuen Kanäle durch den Wasserverband übernehmen lässt, ermöglicht zwar einen eigenen Herstellungsaufwand der Gemeinde. Dennoch erscheint ein beitragsrechtliches Prozessrisiko unter dem Gesichtspunkt der dauerhaften rechtlichen Absicherung des wirtschaftlichen Vorteils nicht ausgeschlossen, weil die Gemeinde den Kanal nicht selbst weiter betreibt, sondern an den Wasserverband überant-wortet. Dabei ist zu berücksichtigten, dass die zivilgerichtliche Rechtsprechung in der Vergangenheit auch unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB) die Rückerstattung von Beiträgen zugestanden hat (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 25.7.2001 - Az.: 1 U 1025/00). Weiterhin ist ungeklärt, ob die Gemeinde für die neu gebauten Kanäle die Abwasserbeseitigungspflicht nach § 53 Abs. 1 LWG NRW inne hat, weil es sich um ihren Kanal (z.B. in einem Neubaugebiet) handelt, d.h. ob zwischenzeitlich eine aufgespaltene Abwasserbeseitigungspflicht für alte und neue Kanäle zwischen Wasserverband und Gemeinde besteht. Auch diese Frage ist durch das Umweltministerium NRW eine genauen Klärung zuzuführen.

Az.: II/2 24-30 qu/g

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