Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 499/2009 vom 14.09.2009

Privatisierung öffentlicher Einrichtungen durch die Gemeinde

Das Bundesverwaltungsgericht kommt in einer für die Kommunen sehr bedeutsamen Grundsatzentscheidung vom 27.05.2009 — 8 C 10.08 - zu dem Ergebnis, dass sich eine Gemeinde im Interesse der wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume entledigen darf. Der vom Gericht entschiedene Fall betrifft einen traditionell in einer Gemeinde durchgeführten Weihnachtsmarkt, den diese zunächst Jahrzehnte lang selbst veranstaltete und die Durchführung dann vollständig auf einen Privaten übertrug. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass es nicht im freien Ermessen der Gemeinde stehe, sich ihrer Aufgabenverantwortung für „freie Selbstverwaltungsangelegenheiten“ zu entziehen. Aus der grundgesetzlich garantierten  kommunalen Selbstverwaltung folgert das Gericht, dass der Gemeinde die Sicherung und Wahrung ihres Aufgabenbereichs obliegt. Deshalb müsse sich die Gemeinde Steuerungs- und Einwirkungsmöglichkeiten vorbehalten.
Das Urteil ist für Kommunen von hoher Relevanz. Die vollständige Reichweite und Auswirkungen der soeben erst veröffentlichten Entscheidung sind derzeit noch nicht absehbar. Zu erwarten ist allerdings, dass die Entscheidung Einfluss in folgenden Gebieten haben wird:

  • Verfassungsrechtlich: In dem das Schutzrecht der Kommunen aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als eine Schutzrecht der örtlichen Gemeinschaft interpretiert wird, werden kommunale Handlungsspielräume eingeengt. Dies betrifft die Handlungsspielräume für Entscheidungen des Rates, dem unter den beschriebenen Umständen die Option für eine materielle Aufgabenprivatisierung verwehrt ist. Diesbezüglich wirft das Urteil die Frage auf, was im Bereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft durch die demokratisch legitimierten Vertreter künftig noch entschieden werden kann und für was hingegen bereits der verfassungsrechtlich garantierte Aufgabenbestandsschutz der örtlichen Gemeinschaft gilt. Dies kann kommunale Handlungsspielräume gerade mit Blick auf die Übernahme neuer Aufgaben erheblich beschneiden und sich so im Ergebnis zulasten der örtlichen Gemeinschaft und der lokalen Demokratie auswirken.
  • Finanzpolitisch: In dem die Gemeinde sich der Aufgabenverantwortung in den jeweils geschützten Bereichen nicht durch eine materielle Privatisierung entledigen kann, bleibt die finanzielle Verantwortung für die Aufgabenwahrnehmung letztlich bei der Gemeinde.  Dies kann finanzielle Handlungsspielräume je nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Aufgaben z. T. erheblich einengen
  • Für die ordnungspolitische Diskussion liefert das Urteil neue Kriterien für die Abgrenzung privater und staatlicher Aufgabenverantwortung und -wahrnehmung. Neu ist dabei die Differenzierung zwischen der wirtschaftlichen Betätigung einer Gemeinde und Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Diese Differenzierung ist kritisch zu hinterfragen, da zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auch die Infrastrukturverantwortung gehört, die sich mit der wirtschaftlichen Betätigung überschneiden kann.
  • In rechtlicher Hinsicht müssen Kommunen damit rechnen, dass Privatisierungsentscheidungen wie im vorliegenden Fall von privaten Dritten gerichtlich angegriffen und letztlich verhindert werden können. Der Kläger kann damit nachträglich einen Anspruch auf Zulassung zur Nutzung (vormals) öffentlicher Einrichtungen verlangen.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Intranet des Verbandes unter Mitgliederbereich, Fachinfo/Service, Finanzen und Kommunalwirtschaft, Daseinsvorsorge abrufbar.

Az.: II/3 809-00

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