Mitteilungen - Jugend, Soziales, Gesundheit

StGB NRW-Mitteilung 449/2006 vom 01.06.2006

Präsidentenerklärung zur Reform des SGB II

Mit einer persönlichen Erklärung zur Reform des Sozialgesetzbuches II haben die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene sowie führende Repräsentanten des Arbeiterwohlfahrt Bundesverbandes, der Diakonie und des Deutschen Roten Kreuzes auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Revision mit dem Ziel einer Zurückführung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen und einer Stärkung der Erfolge bei der Wiedereingliederung hingewiesen. Der Wortlaut der persönlichen Erklärung vom 16.05.2006 hat folgenden Wortlaut:

Alle sozialen Sicherungssysteme zeigen in Deutschland nach wie vor einen hohen Reformbedarf auf. Die Entwicklung bei der Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige (sog. Hartz IV-Reform) seit ihrer Einführung zum 1. Januar 2005 hat jedoch gezeigt, dass ihre gesetzlichen Grundlagen einer besonders dringenden Überarbeitung bedürfen. Die Zahl der leistungsberechtigten Bedarfsgemeinschaften aus Ehe- und Lebenspartnern sowie weiteren Familienangehörigen, ist seit der Einführung des Sozialgesetzbuches II (SGB II) um 25 % gestiegen. Im Januar 2005 bezogen 3,3 Mio. Bedarfsgemeinschaften Leistungen nach SGB II, im April 2006 bereits mindestens 3,92 Mio., wahrscheinlich jedoch 4,1 Mio..

Damit geht eine besorgniserregende Finanzentwicklung bei den passiven Leistungen im SGB II einher. Die Ausgabensteigerungen führen dazu, dass die einvernehmlichen Gesetzesziele in der Praxis verfehlt werden. Haushaltsrisiken, die durch den Aufwuchs passiver Leistungen für Bund und Kommunen bestehen, können durch die bisher beschlossenen Änderungen im SGB II nicht kompensiert werden und überfordern die öffentlichen Kassen.

Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe - sog. Hartz IV-Reform - sollte ein einheitliches, transparentes Leistungsrecht für erwerbsfähige hilfebedürftige Personen geschaffen werden, in dem die Angebote aller beschäftigungs- und sozialpolitischen Akteure zusammenfließen. Das SGB II steht unter dem Grundsatz des „Forderns und Förderns“. Damit gewinnt der Gedanke der „Hilfe zur Selbsthilfe“ durch die intensivere Betreuung langzeitarbeitsloser Personen und aktivierende Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen an Bedeutung.

Gleichzeitig wurde mit dem Wechsel von der Individualbetrachtung zur Einbeziehung der sog. Bedarfsgemeinschaft in die Bedürftigkeitsprüfung der Subsidiaritätsgedanke gestärkt. Die Solidargemeinschaft ergänzt die kleineren Gemeinschaften aus Ehe, Lebenspartnerschaft und Familie, durch die Übernahme von Aufgaben, wo diese überfordert sind.

Dazu wurden folgende Hauptziele formuliert:
• Stärkung des Subsidiaritätsgedankens, bzw. der Nachrangigkeit von Sozialleistungen;
• Ausrichtung am individuellen Hilfebedarf;
• früherer Einsatz und Beteiligung aller Hilfeempfänger an aktivierenden Leistungen;
• Stärkung der personellen und finanziellen Ressourcen zur Förderung;
• Konzentration der Hilfen auf Personengruppen mit besonderem Hilfebedarf, z.B. Jugendliche, ältere Arbeitslose, Migranten, Alleinerziehende.

Das Erreichen dieser Ziele könnte durch den dramatischen Anstieg der Fallzahlen und die Ausgabensteigerungen unterlaufen werden.

Die Gründe für den Aufwuchs der Bedarfsgemeinschaften im SGB II sind vielfältig:
• Schwierigkeiten beim Aufbau effizienter Verwaltungsstrukturen, bei denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen als gleichberechtigte Partner ihre Kompetenzen einbringen,
• anhaltend schwierige Situation am Arbeitsmarkt,
• die leistungsrechtlichen Ansprüche, bzw. Schonbeträge bei Einkommen und Vermögen im SGB II und die Eröffnung von Gestaltungsmöglichkeiten, die als Anreiz für die Inanspruchnahme passiver Leistungen wirken.

Die ab 1. Februar 2006 geltende kürzere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I wird den Zugangsdruck zum SGB II weiter erhöhen.

Eine grundlegende Revision des SGB II muss darauf ausgerichtet werden, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zurückzuführen und verstärkt Erfolge der Wiedereingliederung zu erzielen.

Besorgniserregend ist die zunehmende Entwicklung, dass Lohnersatzleistungen zusätzlich zu Erwerbseinkommen benötigt werden, um die Existenz der Arbeitnehmer und ihrer Familien zu sichern. Die dauerhaft bestehende Möglichkeit zur Kombination von Erwerbseinkommen und passiven Leistungen nach SGB II mit anrechnungsfreien Hinzuverdienstgrenzen kann genutzt werden, um die am Arbeitsmarkt zu erzielenden Löhne zu drücken oder Arbeitszeiten entsprechend zu gestalten.

Die Überarbeitung der gesetzlichen Grundlagen muss dem Ziel dienen, personelle und finanzielle Ressourcen für die notwendigen aktivierenden Hilfen zu sichern. Insbesondere die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren und über 50 Jahren sowie Migranten und Alleinerziehende bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit und Förderung. Während ältere Arbeitslose häufig aufgrund ihres Lebensalters sehr geringe individuelle Chancen auf eine Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt haben, verfügen viele jüngere Arbeitslose über eine zu geringe schulische und berufliche Qualifikation. Beide Gruppen sind daher dringend auf weitergehende Angebote der Aktivierung angewiesen. Für die über-50-Jährigen sind Möglichkeiten der dauerhaften geförderten Beschäftigung zu prüfen, jugendliche Arbeitslose müssen sowohl durch Beschäftigungsangebote verstärkt aktiviert als auch durch Qualifizierungsmaßnahmen gezielt gefördert werden.

Die Unterzeichner stimmen darin überein, dass neben diesen Maßnahmen eine Senkung passiver Leistungen notwendig ist, um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten. Es geht nicht darum, Regelsätze zu senken, sondern das Leistungsrecht so zu schärfen, dass Anreize für Arbeit im Mittelpunkt stehen und die Leistungen auf die tatsächlich Bedürftigen konzentriert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neben der Optimierung der Verwaltungstätigkeit die gegenwärtigen Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen im SGB II einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.

Az.: III 810-2

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