Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 93/2013 vom 10.01.2013

OVG NRW zur Bagatellregelung bei der Abwassergebühr

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat mit Urteil vom 03.12.2012 — Az.: 9 A 2646/11 — entschieden, dass es an seiner früheren Rechtsprechung, wonach eine Bagatellregelung von 20 m³ für den Nichtabzug von nachweislich nicht der öffentlichen Abwasseranlage zugeführte Wassermenge als zulässig angesehen wurde, nicht mehr festhält (so aber noch: zuletzt: OVG NRW, Beschluss vom 9.6.2009 — Az.: 9 A 3249/07 -; OVG NRW, Urteil vom 21.1997 — Az.: 9 A 1921/95 — NWVBl. 1997, S. 422 ). Zwischenzeitlich liegen auch die Urteilsgründe vor. Das komplette Urteil des OVG NRW vom 03.12.2012 (Az.: 9 A 2646/11) kann von StGB NRW-Mitgliedskommunen auf der Internetseite des StGB NRW (Mitgliederbereich) unter Fachgebiete≥Fachinfo/Service≥Umwelt, Abfall und Abwasser abgerufen werden.

Nach dem OVG NRW ist bei der Erhebung der Schmutzwassergebühr der so genannte Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser) nach wie vor ein zulässiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Allerdings muss nach dem OVG NRW die Abwassergebührensatzung vorsehen, dass nachweislich der Abwasseranlage nicht zugeführte Wassermengen — etwa im Falle gärtnerischer oder gewerblicher Nutzung — in Abzug gebracht werden. Der Nachweis dieser Mengen kann dem Gebührenpflichtigen auferlegt werden. Die mit der Absetzbarkeit von nicht in die öffentliche Abwasserkanalisation eingeleiteter Frischwassermengen bewirkte Verfeinerung des Frischwasser-Maßstabes (Frischwasser = Abwasser) darf nach dem OVG NRW nicht durch einen Grenzwert (die Bagatellgrenze) konterkariert werden, der wegen seiner Höhe im Regelfall einer Nichtberücksichtigung anderweitig verbrauchter Wassermengen gleichkommt.

Insoweit hilft auch — so das OVG NRW - der Verweis der beklagten Stadt auf § 13 Abs. 1 KAG NRW nicht weiter. Nach § 13 Abs. 1 KAG NRW könne zwar davon abgesehen werden, Abgaben und abgabenrechtliche Nebenleistungen festzusetzen, zu erheben, nachzufordern oder zu erstatten, wenn der Betrag niedriger als 10,- € sei. Diese Vorschrift betrifft aber lediglich das Verfahren und enthält keine allgemeine Aussage des Inhalts, dass Rechtsfehler eines Gebührenmaßstabs bis zu einem bestimmten Betrag rechtlich unerheblich wären.

Nach dem OVG NRW bestehen auch keine ausreichend gewichtigen verwaltungspraktischen Schwierigkeiten, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Nach den Angaben der beklagten Stadt dient die in der Satzung festgelegte Bagatellgrenze dem Zweck, die Anzahl der Absetzungsanträge möglichst gering zu halten und dadurch den mit der Bearbeitung einer Vielzahl von Absetzungsanträgen verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Auch wenn dem Ortsgesetzgeber ein weites Organisationsermessen zusteht, ist nach dem OVG NRW schon nicht erkennbar, dass die Bearbeitung der Absetzungsanträge tatsächlich einen nennenswerten zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursacht, der es rechtfertigen könnte, dass ein Gebührenschuldner, der zur Gartenbewässerung nachweislich bis zu 20 m3 Wasser verwendet, einen erheblichen Gebührenbetrag entrichten muss, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten.

Dabei sei nicht auf die bislang bei der beklagten Stadt übliche Verwaltungspraxis abzustellen. Maßgeblich sei vielmehr der bei sachgerechter Gestaltung des Erhebungsverfahrens unvermeidbare Verwaltungsaufwand. Der Nachweis der nicht eingeleiteten Wassermenge könne grundsätzlich — wie in der hierzu betrachtenden Satzung geschehen - dem Gebührenschuldner auferlegt werden. Die Kosten für Anschaffung, Installation und Unterhaltung der notwendigen Messeinrichtung fallen — so das OVG NRW — danach nicht der Gemeinde, sondern dem Gebührenschuldner zur Last. Der von der beklagten Stadt dargestellte Aufwand durch jährliche Anschreiben an die Gebührenschuldner, von denen bekannt sei, dass sie Wassermesseinrichtungen haben einbauen lassen, sei ohne weiteres vermeidbar. Es spricht nach dem OVG NRW nichts dagegen, dem Gebührenschuldnern durch entsprechende Satzungsbestimmungen die Obliegenheit aufzuerlegen, die Abzugsmengen — ggf. binnen einer bestimmten Frist — von sich aus mitzuteilen (vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.10.2006 — Az. 2 S 1256/06 — NVWZ-RR 2007, Seite 409).

In diesem Zusammenhang kann nach dem OVG NRW auch durch entsprechende satzungsrechtliche Regelungen sichergestellt werden, dass die Ablesezeiträume für den Frischwasserbezug und die separate Gartenbewässerung — zumindest nahezu — gleich gewählt werden. Damit entfalle auch die Notwendigkeit eines in vielen Gemeinden üblichen gesonderten Erstattungsverfahrens. Ebenso ist nach dem OVG NRW nicht mit einer unzumutbaren zusätzlichen Belastung zu rechnen. Denn es ist keineswegs zu erwarten, dass eine Vielzahl von Gebührenpflichtigen, die ähnlich geringe Wassermengen zur Gartenbewässerung verwenden wie der Kläger, von der Abzugsmöglichkeit Gebrauch machen wird.

Die streitige Bagatellgrenze lässt sich nach dem OVG NRW letztlich auch nicht als notwendiger Bestandteil eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes rechtfertigen, der zulässigerweise pauschalierende Bestandteile enthält. Ungenauigkeiten sind hinsichtlich der Gebührenbemessung in gewissem Umfang als notwendige Folge der Verwendung des Frischwassermaßstabs hinzunehmen, etwa soweit ein gewisser Teil des bezogenen Frischwassers wegen Verbrauchs in der Küche oder zum Trinken, wegen der Verdunstung oder wegen des Gießens von Balkonpflanzen, nicht mehr in das Kanalnetz als Abwasser eingeleitet wird. Die Verluste durch den Wasserverbrauch beim Kochen, Waschen, Trinken usw. bei normaler Wohnnutzung treffen typischerweise alle Grundstücke in etwa gleich und lassen sich zu dem — so das OVG NRW ausdrücklich - praktisch nicht korrekt nachweisen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.03.1995 — Az. 8 N 3.93 —).

Dieses trifft nach dem OVG NRW auf die in Rede stehenden konkret ermittelbaren Wassermengen zur Gartenbewässerung durch einen Wassermesser allerdings nicht zu. Die mit der Einführung der Bagatellgrenze verbundene Ungenauigkeit des Frischwassermaßstabs ist anders als im Falle der bei normaler Wohnnutzung üblichen Wasserverluste vermeidbar (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 13.02.1996 — Az. 9 K 1853/94). Ob es für den Gebührenpflichtigen bei nur geringen Abzugsmengen und demnach nur geringen Gebührenersparnissen wirtschaftlich sinnvoll ist, die Beschaffung, den Einbau und die turnusgemäße Eichung des Zählers zu finanzieren, ist allerdings für die Beurteilung der Wirksamkeit der Satzungsregelung nach dem OVG NRW unbeachtlich. Dem Grundstückseigentümer ist es zu belassen, aus welchen Gründen und mit welchen Opfern er sich für die entsprechenden Entnahmestellen einen Nebenzähler einrichten möchte. Der Gebührenpflichtige wird — so das OVG NRW - jedenfalls bei stetig steigenden Gebühren eher geneigt sein, entsprechende Investitionen zu tätigen.

Insgesamt rechtfertigt nach dem OVG NRW deshalb auch der abgabenrechtliche Grundsatz der Typengerechtigkeit keine Bagatellgrenze. Zwar sei es der Gemeinde als Normgeber nach diesem Grundsatz gestattet, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an den Regelfall eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben. Dieser Grundsatz vermag die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte in dessen nur solange zu rechtfertigen, als nicht mehr als 10 vom Hundert der von der Regelung betroffenen Fälle dem „Regeltyp“ widersprechen, auf den die Maßstabsregelung zugeschnitten ist, die Auswirkungen auf die Betroffenen nicht erheblich sind und Schwierigkeiten — insbesondere verwaltungspraktischer Art — bestehen, die Härten zu vermeiden. In Anwendung dieses Maßstabes ist eine Bagatellgrenze von 20 m3/Jahr nach dem OVG NRW nicht vereinbar mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und kann auch nicht sachlich gerechtfertigt werden. Der Bagatellwert führt dazu, dass der Gebührenpflichtige, die bis zu 20 m3 des bezogenen Frischwassers aufgrund einer besonderen Verwendung (hier: zur Gartenbewässerung) nicht in die öffentliche Abwasseranlage einleiten, schlechter gestellt werden als solche Personen, bei denen (fast) das gesamte bezogene Frischwasser als Abwasser der öffentlichen Abwassereinrichtung zugeführt wird.

Diese Ungleichbehandlung ist nach dem OVG NRW auch sachlich nicht gerechtfertigt. Ihre Folgen sind für die Gebührenschuldner nicht unerheblich. Die Mehrbelastung aufgrund des satzungsrechtlichen Abzugsverbots von Wasserschwundmengen bis zu 20 m3 beträgt nach dem OVG NRW bei Gebührensätzen für die Schmutzwassergebühr zwischen 2,72 €/m3 und 2,97 €/m3 zwischen 54,40 € und 59,40 €. Beträge dieser Höhe können — auch unter Berücksichtigung dessen, dass diesen Beträgen nachweislich keine Gegenleistung gegenübersteht — nach dem OVG NRW nicht als völlig unbedeutend angesehen werden. Auch niedrigere Beträge werden in der Rechtsordnung nach dem OVG NRW vielfach als nicht geringfügig bewertet. So geht etwa — so das OVG NRW - der Verordnungsgeber der Bußgeldkatalog-Verordnung davon aus, dass schon Bußgelder ab 5,- € eine erzieherische Wirkung auf Verkehrsteilnehmer haben können, die sich verkehrsordnungswidrig verhalten haben.

Ergänzend weist die Geschäftsstelle auf Folgendes hin:

In Anbetracht der ausdrücklichen Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung durch das OVG NRW in seinem Urteil vom 03.12.2012 (Az.: 9 A 2646/12) wird davon ausgegangen, dass eine satzungsrechtliche Bagatellgrenze für Wasserschwundmengen bei der Erhebung der Schmutzwassergebühr nicht mehr zulässig ist, weil das OVG NRW ausdrücklich darauf hinweist, dass durch einen Grenzwert der Abzug von nachweisbaren Wasserschwundmengen (Abzugsmengen) nicht konterkariert, d.h. zu nicht gemacht, werden darf. In Anbetracht dessen dürfte selbst eine Bagatellgrenze zwischen 1 m³ und 5 m³ dem Gebührenpflichtigen nicht mehr entgegengehalten werden, wenn dieser den Grund und die Höhe der Wasserschwundmengen gegenüber der Gemeinde schlüssig und nachvollziehbar nachweist.

Insoweit besteht ein nicht zu unterschätzendes Prozessrisiko. Auch das OVG NRW weist allerdings ausdrücklich darauf hin, dass Wasserschwundmengen durch den Gebührenpflichtigen auf seine Kosten nachgewiesen werden müssen. Dabei treffen Verluste durch den Wasserverbrauch beim Kochen, Waschen, Trinken, Blumen gießen usw. im Rahmen der normalen Wohnnutzung — so das OVG NRW - typischerweise alle Grundstücke und damit alle Gebührenpflichtigen in etwa gleich. Diese Wasserschwundmengen lassen sich nach dem OVG NRW zudem praktisch nicht korrekt nachweisen. Ein schlüssiger Nachweis kann durch den Gebührenpflichtigen dadurch geführt werden, dass er einen auf eigene Kosten einen Wassermesser (Wasseruhr) beschafft, einbaut und turnusgemäß eicht und mit diesem Wassermesser die Wasserschwundmengen nachweisbar festhält. Dabei kann nach dem OVG NRW durch die Stadt bzw. Gemeinde in der Satzung die Verwendung eines geeichten Wassermessers vorgeschrieben werden.

Az.: II/2 24-21 qu-ko

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