Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 15/2011 vom 04.01.2011

Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt haben einen gemeinsamen Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers veröffentlicht. Der Leitfaden enthält Stellungnahmen der Behörden zu zentralen Konzessionsvertrags- und abgabenrechtlichen Fragestellungen unter dem Blickwinkel des Kartell- und des Energiewirtschaftsrechts. Dies betrifft bspw. die Fragen, ob der Neukonzessionär einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums am Verteilnetz hat, anhand welcher Kriterien der Netzkaufpreis zu ermitteln ist, und welche netzspezifischen Daten der bisherige Konzessionär vor und nach der Neukonzessionierung herausgeben muss.

Aus kommunaler Sicht ist festzustellen, dass bei den Positionierungen bisweilen die wettbewerblich bzw. ökonomisch geprägte Sicht der Behörden auf Konzessionsvergabe und Netzbetrieb das Recht der kommunalen Selbstverwaltung zu stark zurückdrängt. Die hinter dem Netzbetrieb stehende Infrastrukturverantwortung macht es aber erforderlich, dass das Entscheidungsrecht der Städte und Gemeinden in diesen Fragen erhalten bleibt.

I. Bewertung

Ausgangspunkt des Leitfadens ist ein von Behörden gegenwärtig beobachteter Trend zur Rekommunalisierung, der sich darin niederschlage, dass Strom- und Gaskonzessionen vermehrt an kommunale Unternehmen vergeben würden. Zugleich würden sich nach den Erkenntnissen der Behörden regelmäßig überregional tätige Unternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet um die Strom- und Gaskonzessionen einer Gemeinde bewerben. Vor diesem Hintergrund diene der Leitfaden als Auslegungs- und Anwendungshilfe für die beteiligten Marktakteure.

Der Leitfaden gliedert sich dabei inhaltlich in zwei — zum Teil redundante — Teile: Im ersten Teil wird unter dem Gesichtspunkt des Kartell- und Vergaberechts die Thematik mit dem Ziel behandelt, eine wettbewerbliche Konzessionsvergabe sicherzustellen. Im zweiten Teil erfolgen Stellungnahmen zu der infolge der unklaren Fassung des § 46 Abs. 2 EnWG entstandenen Rechtslage.

Dabei wird der Leitfaden seinem selbst gesteckten Ziel, eine „Auslegungs- und Anwendungshilfe“ für die beteiligten Marktakteure zu sein, aus gemeindlicher Sicht nicht immer gerecht. So ist es wenig hilfreich, wenn die Behörden in der für die Gemeinden sehr zentralen Fragestellung, ob sich aus § 46 Abs. 2 EnWG ein Anspruch auf Übertragung des Eigentums am Netz ergibt, ihre Uneinigkeit dokumentieren. Dies kann angesichts der ohnehin schon komplizierten und zum Teil ungeklärten Rechtslage bei der Konzessionsvergabe zu zusätzlicher Rechtsunsicherheit in der kommunalen Praxis führen.

Hinzu kommen Stellungnahmen zu rechtlichen Fragestellungen wie der Bemessung der Konzessionsabgabe Gas oder der gemeindlichen Auswahlentscheidung bei der Konzessionsvergabe, die mit zum Teil sehr pauschalen Hinweisen auf „Wettbewerb“ und „Vertriebsmärkte“ einer ökonomischen Sichtweise auf Netzbetrieb und Versorgung und Bemessung von Konzessionsabgaben den Vorrang einräumen. Dagegen werden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung, die darin zum Ausdruck kommende Infrastrukturverantwortung der Gemeinden und deren Finanzhoheit nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt.

Die zahlreichen, von den Behörden thematisierten Probleme, die durch die unklare gesetzliche Regelung in § 46 Abs. 2 EnWG bedingt sind, machen indes einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich, für den die derzeit anstehende Novelle des EnWG der richtige Anknüpfungspunkt ist.

II. Bewertung im Einzelnen

1. Kartell- und Vergaberecht

Hervorzuheben sind insbesondere folgende Punkte:

  • Im Rahmen der Ausführungen zu den zulässigen Kriterien bei der Auswahl des Konzessionärs wird ausgeführt, dass die Gemeinde zu berücksichtigen habe, dass Verteilnetze unterhalb einer gewissen Größenordnung unter bestimmten Bedingungen Effizienznachteile beim Netzbetrieb und einen erhöhten Regulierungsaufwand nach sich ziehen können. Dies könne zu höheren Kosten für die Netznutzer führen und den Wettbewerb auf den Vertriebsmärkten hemmen (Rd-Nr. 21). Diese Ausführungen werden in Bezugnahme auf die in § 1 EnWG formulierten Ziele einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltfreundlichen Energieversorgung getroffen.

    Diese Einschätzung ist zu pauschal formuliert, als dass sie Gemeinden, deren Konzessionsvertrag ausläuft, eine wirkliche Hilfestellung bei ihrer Auswahlentscheidung bzw. der Abwägung des Für und Wider einer Kommunalisierung des Netzbetriebs geben könnte. Sie hält zudem einer kritischen Überprüfung nicht stand: Die Kosten für die Netznutzer werden durch zahlreiche netzspezifische Gegebenheiten, aber auch durch regulatorische Vorgaben maßgeblich beeinflusst. Aufschluss kann hierüber letztlich nur eine Machbarkeitsstudie geben, die unterschiedlichste Varianten eines Netzbetriebs reflektiert. Auch ist der Hinweis auf angebliche Wettbewerbshemmnisse auf den Vertriebsmärkten ebenfalls zu pauschal formuliert. Wettbewerbshemmnisse können unterschiedlichste Ursachen haben, so hat sich bspw. in der Vergangenheit gezeigt, dass eine zu hohe Konzentration bei den Verteilnetzen auf einige wenige Betreiber/Beteiligte ebenfalls ein Wettbewerbshemmnis auf den Vertriebsmärkten darstellen kann.

  • Mit Bezug auf die kartellrechtlichen Verfahren in Sachen GAG Ahrensburg, Stadtwerke Torgau, GGEW Bergstraße und Stadtwerke Völklingen wird noch einmal die Auffassung vertreten, dass die (höhere) Tarifkunden-Konzessionsabgabe für alle Durchleitungsfälle bei Gaslieferungen im Widerspruch zu §§ 1 Abs. 3 und 4, 2 Abs. 6 KAV stünden. Dabei wird aber auch in der dazugehörigen Fußnote auf die abweichende Auffassung der Landeskartellbehörde Baden-Württemberg hingewiesen.

    Die in dem Leitfaden zum Ausdruck kommende Mehrheitsmeinung ist rechtlich angreifbar, nachdem es zu dieser Frage abweichende gerichtliche Entscheidungen gibt [vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 23. April 2008, Az. 14 O 254/07; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 1. Dezember 2008, Az. 11 W 29/08 (Kart)] und eine letztendliche Klärung dieser Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof noch aussteht.

  • Hinsichtlich der gemeindlichen Auswahlentscheidung wird hervorgehoben, dass die Gemeinde die mit ihr verbundenen Unternehmen nicht einseitig bevorzugen darf, auch wenn sie mit dem Netzbetrieb Gewinne erzielen kann.

    Demgegenüber ist festzustellen, dass § 46 Abs. 3 EnWG der Gemeinde in dieser Frage einen Ermessenspielraum einräumt, weil die Vorschrift keine Kriterien zur Ermessenausübung vorgibt. Dies wird ausdrücklich durch die Gesetzesbegründung zur insoweit inhaltsgleichen Vorgängerregelung (§ 13 Abs. 3 S. 2 EnWG 1998) bestätigt, in der es heißt: „Nach welchen Kriterien die Gemeinde ihre Auswahlentscheidung zu treffen hat, wird nicht bestimmt.“ Dies ist ebenso wie die Vorfrage, ob die Gemeinde den Netzbetrieb selbst oder mittels eines Dritten wahrnehmen will, Ausfluss des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG).

  • Schließlich werden auf kartellrechtlicher Grundlage sehr ins Detail gehende Vorgaben dazu gemacht, welche netzspezifischen Daten im Fall von Strom- und Gasverteilnetzen den Bietern im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens zur Verfügung gestellt werden müssen.

    Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Behörden davon ausgehen, dass der Altkonzessionär verpflichtet ist, die Informationen der Gemeinde zur Verfügung zu stellen.

2. Energiewirtschaftsrecht

  • Beide Behörden setzen sich für eine gesetzgeberische Klarstellung des „Überlassens“ in § 46 Abs. 2 EnWG ein, mithin zu der Frage, ob das Verteilnetz zwingend übereignet werden muss oder ob dieser Anspruch auch durch Verpachtung erfüllt werden kann.

    Bemerkenswert ist dabei, dass das Bundeskartellamt anders als die Bundesnetzagentur eine Übereignung, mithin die Verschaffung des Eigentums am Netz für erforderlich hält.

  • Es erfolgt eine Stellungnahme zum Umfang des Anspruchs aus § 46 Abs. 2 EnWG, mithin zu der in vielen Praxisfällen umstrittenen Frage, wie die sog. gemischt genutzten Anlagen zu behandeln sind. Entscheidendes Kriterium soll dabei sein, ob eine Anlage nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Versorgung im Gemeindegebiet ausgeschlossen würde. Vor diesem Hintergrund kommen die Behörden übereinstimmend zu der Auslegung, dass „die Überlassung auf sämtliche im Konzessionsgebiet belegene Anlagen gerichtet ist, mit Ausnahme solcher, die überörtlichen Versorgungscharakter haben“ (vgl. hierzu i.Ü. auch den im Ergebnis ähnlichen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zu § 46 Abs. 2 GG vom 05.10.2010, BT-Drucks. 17/3182).

  • Die Bestimmung der angemessenen Vergütung für die Überlassung des Netzes i.S.v. § 46 Abs. 2 EnWG soll auch vor dem Hintergrund der derzeit geltenden Fassung des EnWG nach den in der Kaufering-Entscheidung des BGHs entwickelten Kriterien erfolgen. Folglich kann der Sachzeitwert nur insoweit als eine angemessene Vergütung für das Netz angesehen werden kann, soweit er den Ertragswert nicht unerheblich übersteigt.

    Bemerkenswert ist, dass die Behörden ausdrücklich darauf hinweisen, dass vertragliche Vereinbarungen in Endschaftsklauseln, die darauf abzielen, mit Auslaufen des Konzessionsvertrages unabhängig von der Ertragswerthöhe stets den Sachzeitwert als Bewertungsmaßstab festzuschreiben, unwirksam sind.

  • Abschließend wird auch aus energiewirtschaftlicher Sicht noch einmal sehr detailliert dazu Stellung genommen, wer zu welcher Phase des Konzessionierungsverfahrens wem welche netzbezogenen Daten zur Verfügung stellen muss.

    Leider wird im Folgenden aber nicht thematisiert, dass es für den Bewerber um eine Konzession essentiell ist, bereits im Bieterverfahren auch jene netzspezifischen Daten vom Altkonzessionär zu erhalten, die ihm genaue Rückschlüsse auf den Ertragswert des Netzes erlauben. Hierzu gehören die technischen und wirtschaftlichen Informationen, die für eine möglichst genaue Netzbewertung erforderlich sind, wie beispielsweise Informationen zur Aufteilung der Erlösobergrenze nach § 26 ARegV.

    Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang schließlich die Einschätzung der Bundesnetzagentur, wonach § 46 EnWG im Bieterverfahren letztlich kein Informationsrecht gegenüber dem Altkonzessionär vermittelt. Dies macht deutlich, dass auch in diesem Punkt ein dringender Novellierungsbedarf besteht.

Der Leitfaden ist für StGB NRW-Mitgliedskommunen im Mitgliederbereich des StGB NRW-Internetangebots unter Fachinfo/Service > Fachgebiete > Finanzen und Kommunalwirtschaft > Energiewirtschaft abrufbar.

Az.: II/3 811-00/1

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search