Mitteilungen - Wirtschaft und Verkehr

StGB NRW-Mitteilung 370/2007 vom 08.05.2007

Kommunale Thesen zum Nahverkehr in der Region

Im Zusammenhang mit der Absicht der Europäischen Kommission, ein Grünbuch zum städtischen Nahverkehr als Grundlage für die Entwicklung einer zukünftigen europäischen Verkehrspolitik vorzulegen, haben die kommunalen Spitzenverbände die nachfolgenden „10 Thesen zum Nahverkehr in der Region“ formuliert. Sie sollen als lokaler Beitrag in das EU-Konsultationsverfahren eingespeist werden und sind in der jüngsten Sitzung des DStGB-Ausschusses für Wirtschaft, Tourismus und Verkehr nach Beteiligung der DStGB-Mitgliedsverbände verabschiedet worden.

1. Das Wirtschaftswachstum im europäischen Binnenmarkt führt zu steigendem Verkehrsaufkommen auch im kommunalen Nahbereich. Das Verkehrswachstum steht in Konflikt mit umweltpolitischen Zielsetzungen und energiepolitischen Erfordernissen. Das wichtigste Ziel der europäischen Verkehrspolitik müssen deswegen generelle Maßnahmen zur Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Verkehrswachstum sein. Zudem müssen die umweltpolitischen Nachteile des Verkehrs verringert werden. Beide Aufgaben stellen sich auch für den Verkehr im kommunalen Nahbereich.

2. Die kommunale Verkehrspolitik ist nach dem Subsidiaritätsprinzip Gegenstand der kommunalen Selbstverwaltung. Allerdings sind nicht alle Probleme einer Lösung vor Ort zugänglich. Das gilt für die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs ebenso wie für umwelt-, energie- und wettbewerbspolitische Implikationen des Verkehrs oder der Verkehrsträger. Bei der Finanzierung sind die Mitgliedstaaten gefordert. Probleme des Marktzugangs, des Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern und des Umweltschutzes sind vorrangig auf der europäischen Ebene zu regeln, weil dadurch die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen und die Standortbedingungen in der Europäischen Union beeinflusst werden. Das gleiche gilt für Maßnahmen zur Erhöhung der Umweltverträglichkeit, z. B. durch Emissionsbegrenzung.

3. Eine Vielzahl europäischer Vorschriften hat direkte Auswirkungen auf den Umfang und die Qualität des Verkehrs im kommunalen Nahbereich. Dazu gehören z.B. Vorschriften zur Emissionsbegrenzung von Fahrzeugen, für Lärmund Luftstandards und für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen bei der Erbringung des öffentlichen Personenverkehrs. Hinzu kommen europäische Fördermaßnahmen für Forschung und Regionalentwicklung, die erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur, Technologien und Dienstleistungen im kommunalen Nahverkehr haben. Auch bei global ausgerichteten Maßnahmen sind die verkehrspolitischen Auswirkungen auf lokaler Ebene in den Kommunen zu berücksichtigen. In vielen Fällen genügen Vorschriften und Fördermaßnahmen nicht den aus Sicht des Nahverkehrs in sie gesetzten Erwartungen und Anforderungen.

4. Soweit die EU mit ihren umweltpolitischen Vorstellungen direkt auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Kommunen abzielt, sollte sie die zu erreichenden Ziele festlegen, aber unter Beachtung der Subsidiarität keine Verwaltungsverfahren vorschreiben, deren Wirkung zweifelhaft sind und die die Kommunen belasten. So verlangt die Umgebungslärmrichtlinie die Erstellung von Lärmkarten und Aktionsplänen. Allerdings liegen die entscheidenden Ansätze zur wohnumfeldverträglichen Minderung von Verkehrslärm in der Kompetenz der EU und sind durch technische Maßnahmen an Flugzeugen, Schienenfahrzeugen und Kraftfahrzeugen zu erreichen. Das gilt auch für den Schadstoffausstoß des Verkehrs und der Industrie, der für die Luftqualität von ausschlaggebender Bedeutung ist. Kommunale Minderungsmaßnahmen mittels Verkehrsplanung, Verkehrsverboten, Raumordnung oder Schallschutz - um nur einige Beispiele zu nennen - sind hinsichtlich ihres Wirkungspotenzials nur nachrangig im Vergleich zu Maßnahmen, die bei den Verursachern von Luftverschmutzung und Lärmbelastung ansetzen – wie etwa der Automobilindustrie, der Kraftstoff- und Reifenindustrie.
Generell muss daher gelten, dass Maßnahmen, die bei den Verursachern der Luftverschmutzung und Lärmbelastung ansetzen, Vorrang genießen vor Regelungen, die die administrative Umsetzung von in ihrer Wirksamkeit begrenzten Begleitmaßnahmen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes zum Inhalt haben. Dies entspricht auch dem Subsidiaritätsprinzip, das der EU im Rahmen der Binnenmarktgesetzgebung die rechtlichen Instrumente zur Reglementierung und Harmonisierung der technischen Anforderungen an die Beschaffenheit der Güter und Dienstleistungen an die Hand gibt, während die Umsetzung von Maßnahmen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes den mitgliedstaatlichen Verwaltungskompetenzen und –traditionen unterliegen.

5. Die wichtigsten verkehrspolitischen Probleme im kommunalen Nahbereich liegen in der Bereitstellung und Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Sozial- und umweltverträgliche Preise für alle Formen von Verkehrsleistungen decken vielfach nicht die Gesamtkosten des Personen- und Gütertransports einschließlich der sog. Externen Kosten. Eine Ausweitung der öffentlichen Finanzierung ist nur begrenzt möglich. Deshalb, aber auch aus umwelt- und energiepolitischen Gründen ist Verkehrsvermeidung im kommunalen Nahbereich durch Funktionsmischung, Flächen-, Bauleit- und Verkehrsplanung unverzichtbar. Dies ist vorrangig eine Aufgabe der Kommunen.

6. Einer Ausweitung des motorisierten Individualverkehrs sind vor allem in Ballungsräumen enge Kapazitätsgrenzen gesetzt. Dort muss der öffentliche Personennahverkehr Vorrang erhalten. Dies muss sowohl durch Maßnahmen der Kommunen geschehen, aber auch durch eine generelle, stärkere Kostenanlastung für die verschiedenen Verkehrsträger auf europäischer Ebene. Damit könnten auch die Emissionen des Individualverkehrs eingedämmt werden. Über die Art und Weise und in welchem Umfang der Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs vor Ort erreicht wird, entscheiden die Kommunen in eigener Verantwortung. Aber auch in geringer besiedelten und durch den demographischen Wandel betroffenen Gebieten ist ein ausreichendes öffentliches Verkehrsangebot aufrechtzuerhalten. Das ist ebenfalls Aufgabe der Kommunen. Bei Sicherstellung des öffentlichen Personennahverkehrs bedürfen sie der finanziellen Unterstützung.

7. Zu den ökologisch nachhaltigen und zugleich kostengünstigen Verkehrsmitteln im kommunalen Nahbereich gehören der Fuß- und Radverkehr. In der Vergangenheit hat die Motorisierung zu einer Vernachlässigung der Verkehrsplanung und der Infrastruktur geführt, die für eine Benutzung dieser Fortbewegungsmittel förderlich ist. Inzwischen findet zumindest in den Kommunen ein Umdenken statt, dem eine Anpassung der Förderung durch die Mitgliedstaaten folgen muss.

8. Ein großer Teil des Verkehrs im kommunalen Nahbereich dient der Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Dieser Güterverkehr muss auch zukünftig sichergestellt sein. Allerdings muss nicht jeder Gütertransport mit dem LKW erfolgen. Gleisanschlüsse ermöglichen auch den wirtschaftlichen und ökologischen Gütertransport auf der Schiene. Bei der Versorgung im kommunalen Nahbereich werden vielfach Fahrzeuge eingesetzt, die unnötig dimensioniert sind und den umweltpolitischen Anforderungen nicht genügen. Die Entwicklung gemeinsamer Güterverkehrskonzepte der verladenden Wirtschaft könnte verkehrs- und schadstoffvermeidend wirken. Auch von einer ökologisch orientierten LKW-Maut auf kommunalen Straßen könnten verkehrs- und schadstoffvermeidende Wirkungen ausgehen.

9. Die meisten Verkehrsunfälle mit Todesfolgen ereignen sich innerorts. Die Kommunen versuchen die Unfallschwerpunkte durch technische und bauliche Veränderungen soweit wie möglich zu entschärfen. Polizeibehörden und Kommunen überwachen die Einhaltung der Verkehrsregeln, deren Übertretung zu den häufigsten Unfallursachen zählt, in eigener Verantwortung. Maßnahmen der EU sollten die Verfolgung von Verkehrsverstößen durch den Austausch von Halter- und Fahrzeugdaten und die grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrsverstößen ermöglichen. EU-weite Vorgaben zur Verkehrsüberwachung
sind nicht angezeigt.

10.Kommunale Verkehrsprobleme und Verkehrslösungen betreffen alle Bürger in ihren verschiedenen Funktionen als Verbraucher, Arbeitnehmer und Verkehrsteilnehmer. Sie sind deshalb zu Recht eine Angelegenheit von besonderem bürgerschaftlichem Interesse. Kommunen sind in Deutschland die demokratisch legitimierten Vertretungskörperschaften der Bürger auf örtlicher Ebene. Damit sind kommunale Verkehrsentscheidungen grundsätzlich bürgerschaftlich verantwortet und rückgekoppelt. Dennoch ist eine weitergehende Beteiligung zivilgesellschaftlicher Interessengruppen vorteilhaft, die allerdings nach bestimmten Regeln erfolgen sollte, um ungerechtfertigte Maßnahmen zugunsten einzelner Gruppen zu vermeiden. Die Verfahren einer Bürgerbeteiligung sind auf der Ebene der Mitgliedstaaten zu festzulegen.

Az.: III 640 - 00

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