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StGB NRW-Mitteilung 469/1998 vom 20.08.1998

Kindergeld: Klagebefugnis und Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers

Das Finanzgericht Münster hat in seinem Urteil vom 8.6.1998 – Az.: 4 K 3534/97 Kg - zu den Fragen Stellung genommen, ob der Sozialhilfeträger im Hinblick auf die Festsetzung von Kindergeld gegenüber der Familienkasse klagebefugt ist, und ob Sozialhilfeleistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) anrechenbare Bezüge i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) sind. Für derartige Streitigkeiten ist nach Ansicht des Gerichts seit der Neuregelung des Kindergeldes als Steuervergütung die Zuständigkeit der Finanzgerichte eröffnet, da es sich bei der Neuregelung in § 31 Abs. 3 EStG um eine abgabenrechtliche Vorschrift handelt.

Die Klagebefugnis der Sozialhilfeträger gegen ablehnende Bescheide der Familienkassen wurde durch die jüngere finanzgerichtliche Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. In Fortsetzung seiner Rechtsprechung im Urteil vom 15.9.1997 (1 K 2187/97 Kg, EFG 1997, 1475) hat das Finanzgericht Münster die Klagebefugnis der Sozialhilfeträger, gestützt auf § 67 Abs. 1 Satz 2 EStG, ausdrücklich bejaht. Das dort geregelte Antragsrecht Dritter wäre gerade in Fällen, in denen der Anspruchsberechtigte selbst Sozialhilfeempfänger ist, ein substanzloses und leerlaufendes Recht, wenn der Sozialhilfeträger eine ablehnende Entscheidung der Kindergeldkasse nicht selbst im Wege des Einspruchs und ggf. finanzgerichtlich überlassen könnte. Schließlich habe der Anspruchsberechtigte regelmäßig kein eigenes Interesse an der Gewährung des Kindergeldes, wenn ihm das Kindergeld wegen der Erstattungsberechtigung des Sozialhilfeträgers ohnehin nicht ausgezahlt wird. Da der Sozialhilfeträger auch sonst keine Erstattungsansprüche auf Auszahlung des Kindergeldes gegen den Anspruchsberechtigten hätte, müsse dem Sozialhilfeträger wenigstens das Recht zustehen, durch Einspruch und Klage eine ablehnende Entscheidung über den Kindergeldantrag anzufechten.

In der Sache hatte die beklagte Familienkasse die Gewährung der Steuervergütung mit der Begründung verweigert, die dem Kind im Berücksichtigungszeitraum gewährten Gelder als Hilfe zum Lebensunterhalt seien anrechenbare Bezüge i.S.v. § 34 Abs. 4 Satz 2 EStG, so daß eine Berücksichtigung des Kindes an der Überschreitung der Einkommensgrenze scheitere. Diese Rechtsauffassung hat das Finanzgericht Münster mit seiner jetzigen Entscheidung ausdrücklich abgelehnt. Sozialhilfeleistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) seien nicht als Bezüge i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu bewerten und damit auch nicht anzurechnen. Dies folgt nach Ansicht des Gerichts nicht nur aus der Systematik des Einkommensteuergesetzes, sondern auch ganz entscheidend aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe. Da § 32 EStG und § 2 BSHG gleichrangige Bundesregelungen sind, sei für die Auslegung des Begriffs "Bezüge" wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung eine Gesamtbetrachtung beider Vorschriften geboten. Nach dieser Gesamtbetrachtung wäre der Grundsatz der Nachrangigkeit in § 2 BSHG mißachtet, wenn man die Hilfe zum Lebensunterhalt als Bezüge i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bewertet. Das Gericht führt hierzu aus:

"Nach den gesetzlichen Bestimmungen soll der Sozialhilfeträger jedoch bei Bestehen eines Kindergeldanspruches nicht endgültig die Leistung erbringen. Vielmehr hat nach den §§ 90 ff. BSHG und § 102 ff. SGB X und auch nach der in § 74 EStG insbesondere in § 74 Abs. 5 EStG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ein Ausgleich in Form der späteren Erstattung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger zu erfolgen. Tritt der Sozialhilfeträger aber – auch wenn er gegenüber dem Hilfebedürftigen endgültig leistet – im Verhältnis zum vorrangig Leistungsverpflichteten – hier der Familienkasse – in Vorleistung, kann der Kindergeldanspruch nicht dadurch entfallen, daß durch Anrechnung der (vorschußweise) geleisteten Sozialhilfe die Anspruchsvoraussetzungen für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verneint werden."

Hierdurch hat das Gericht ausdrücklich den Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gegenüber Kindergeldansprüchen auch für die Neuregelung des Kindergeldes als Steuervergütung bestätigt. Das Gericht hebt darüber hinaus hervor, daß die Familienkasse aus § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG verpflichtet sind, die Auszahlung des Kindergeldes direkt an den Sozialhilfeträger vorzunehmen, wenn der notwendige Bedarf nicht vom eigentlichen Anspruchsberechtigten sondern vom Sozialhilfeträger abgedeckt wurde. Zwar gewähre der Sozialhilfeträger keinen Unterhalt im Sinne der Vorschrift, er decke aber mit der von ihm gezahlten Hilfe zum Lebensunterhalt den notwendigen Lebensunterhalt des Kindes, der von dem Unterhaltsverpflichteten nicht geleistet wird oder nicht geleistet werden kann, ab. Darüber hinaus ergebe sich die Auszahlungsverpflichtung auch aus § 74 Abs. 5 EStG i.V.m. § 104 SGB X analog.

Az.: III/2 810 - 10

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