Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 400/2011 vom 16.08.2011

Intensivtierhaltung im Außenbereich

Nachdem im Zuge der „Energiewende“ der energie- und klimapolitische Teil der Bauplanungsrechtsnovelle 2011 vorgezogen worden ist, steht für die zweite Hälfte dieses Jahres die weitere Novellierung des BauGB im Bereich des Bundesstädtebaurechts an. Dies hat die Geschäftsstelle zum Anlass genommen, für die Problematik der Intensivtierhaltung im Außenbereich eine gesetzliche Klarstellung in § 35 BauGB zu fordern. Nachfolgend geben wir den Wortlaut des Schreibens der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände an das Bundesbauministerium zur Kenntnisnahme wieder. Die Geschäftsstelle wird — insbesondere nach Vorlage des Referentenentwurfs zur „Zweiten Novelle“ des BauGB — über die weitere Entwicklung informieren.

„Andrede,

im Zuge der „Energiewende“ ist der energie- und klimapolitische Teil der Bauplanungsrechtsnovelle 2011 vorgezogen worden. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat angekündigt, weitere gesetzgeberische Maßnahmen im

Bundesstädtebaurecht, unter anderem zur Stärkung der Innenentwicklung, zum Umgang mit „Schrottimmobilien“ sowie gegebenenfalls auch zur Intensivtierhaltung, umzusetzen.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände möchte die diesbezüglichen Überlegungen des BMVBS zum Anlass nehmen, noch einmal auf das Problem der Intensivtierhaltung im Außenbereich aufmerksam zu machen und regt eine gesetzgeberische Klarstellung in § 35 BauGB an.

Seit mehreren Jahren werden die Städte, Kreise und Gemeinden mit einer stark wachsenden Anzahl von Ansiedlungswünschen für Tierhaltungsbetriebe im Außenbereich konfrontiert. Diese Entwicklung hält, insbesondere in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, unvermindert an. Im Vordergrund stehen hierbei Großanlagen der nichtlandwirtschaftlichen, also der gewerblichen Tierhaltung. Praxis und Rechtsprechung behandeln die baulichen Anlagen für landwirtschaftliche und gewerbliche Tierhaltungsbetriebe gleichermaßen als im Außenbereich privilegiert zulässige Vorhaben.

Die Rechtsprechung stützt sich nach wie vor auf die grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 27.06.1983. Das BVerwG hat seinerzeit ausgeführt, dass die Frage, ob eine Intensivtierhaltungsanlage als privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu beurteilen ist, weil es nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, nach den örtlichen Gegebenheiten und nicht generell zu beantworten ist. Es komme darauf an, ob das Vorhaben in der jeweiligen Gemeinde nicht auch im Innenbereich ausgeführt werden könne.

Es sei daher „den Gemeinden Mut zu machen“, die einschränkenden Hinweise des Gerichts ernst zu nehmen und durch Bebauungspläne Standorte für Intensivtierhaltung auszuweisen, um damit eine Berufung auf den Zulässigkeitstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB generell in der Gemeinde auszuschließen.

Wegen einer rasant wachsenden Anzahl von Ansiedlungsbegehren — insbesondere von europaweit agierenden Fleischproduzenten — zeigt sich mit Blick auf die kommunale Bauleitplanung allerdings die schwache Position der Kommunen, welche in erster Linie aus der Privilegierung der gewerblichen Betriebe in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB resultiert. Angesichts der Komplexität der Steuerung über die Bauleitplanung fällt es den Kommunen und insbesondere kleineren Städten und Gemeinden daher immer schwerer, eine gerichtsfeste Planung vorzulegen. Die erforderlichen betriebsbezogenen Recherchen (Tierbestand, Erweiterungsprognosen etc.) sowie die Ermittlung und Bewertung der Kriterien zur konkreten Standortauswahl sind sehr personal- und kostenintensiv. Fragen zu möglichen schädlichen Umwelteinwirkungen (Geruch, Staub und Lärm) erfordern zudem aufwendige Gutachten. Im Übrigen sind gewerbliche Tierhaltungsbetriebe regelmäßig vom herkömmlichen Bild der Landwirtschaft mit überschaubarer Hofstelle weit entfernt, was zu weiteren Problemen führt.

Es ist weiter zu beobachten, dass die Ansiedlung derartiger Betriebe immer häufiger mit erheblichen Konflikten vor Ort einhergeht. In vielen betroffenen Städten, Kreisen und Gemeinden haben sich bereits Bürgerinitiativen gegen Ansiedlungsbegehren gebildet. Im Zentrum der Diskussionen stehen regelmäßig die mit den Anlagen verbundene Immissionsbelastungen sowie die Befürchtung gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch bakteriell belastete Feinstäube. Das Immissionsschutzrecht und die entsprechenden Abstandsgebote werden oftmals als unzureichend empfunden. Darüber hinaus können Großstallungen das Orts- und Landschaftsbild massiv beeinträchtigen und die Eigenart ländlicher Räume als Erholungs- und Tourismusgebiete in Frage stellen. Schließlich muss auch die zukünftige Siedlungsentwicklung vor Ort betrachtet werden, welche durch Großansiedlungen beeinträchtigt werden kann.

Mit Blick auf das weitere Gesetzgebungsvorhaben zum BauGB regen wir daher eine spezifische Regelung zu gewerblichen Tierhaltungsbetrieben im BauGB an und machen dazu folgenden Vorschlag:

Nach Auffassung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände bietet sich eine Präzisierung dahingehend an, dass gemäß § 35 Abs. 1 BauGB öffentliche Belange immer dann beeinträchtigt werden (Regelvermutung), wenn ein Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB der UVP-Pflicht nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG — Anlage 1 — Nr. 7) unterliegt. Die Verknüpfung der Privilegierung mit der UVP-Pflichtigkeit bietet dabei die entscheidende Möglichkeit, Beeinträchtigungen nicht nur anlagenbezogen zu beurteilen, sondern die kumulierende Wirkung bereits bestehender Anlagen mit einzubeziehen (vgl. § 3b Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 3b Abs. 2 UVPG), um besonderen „regionalen Vorbelastungen“ Rechnung zu tragen. Eine entsprechende Regelung hätte dabei den Vorteil, dass der Privilegierungstatbestand nicht gänzlich in Frage gestellt würde, sondern nur Vorhaben (bzw. ihre Kumulation) oberhalb einer klar definierten Erheblichkeitsschwelle betroffen wären. Zudem bliebe die individuelle bauleitplanerische Steuerung der Kommune im Einzelfall möglich.

Aufgrund der erheblichen Konflikte, die die ungesteuerte Ansiedelung von Intensivtierhaltungen im Außenbereich infolge der Privilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in bestimmten Regionen bereits zeitigt, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie den vorstehenden Vorschlag im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsvorhabens aufgreifen könnten.

Es muss verhindert werden, dass der Außenbereich seinen Charakter dadurch verliert, dass er flächendeckend mit stark emittierenden und umweltschädlichen Großvorhaben weiter belastet wird. Es erscheint uns daher geboten, die Verträglichkeit der im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierten Vorhaben sicherzustellen und einem unkontrollierten Wildwuchs bereits auf der Ebene dieser bundesgesetzlichen „Ersatzplanung“ entgegenzutreten. Wir möchten abschließend darauf hinweisen, dass bezüglich des Themas „Intensivtierhaltung“ entsprechende Präzisierungen des § 35 BauGB auch im Rahmen der „Berliner Gespräche zum Städtebaurecht“  konstruktiv diskutiert wurden.

Nur äußerst subsidiär regen wir als Alternative an, durch eine entsprechende Änderung von § 246 BauGB zumindest den Ländern die Möglichkeit einzuräumen, durch landesspezifische Sonderregelungen Einschränkungen von § 35 Abs. 1 BauGB vorzusehen.

Gerne stehen wir Ihnen für Rückfragen und  für weitere Erörterungen zur Verfügung.“

Az.: II gr-ko

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