Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 88/2012 vom 28.11.2011

Gutachten zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels

Die strittige Erweiterung des Euregio-Outletcenters in Ochtrup und die damit verbundenen Urteile des Verfassungsgerichtshofes und des Oberverwaltungsgerichtes NRW von 2009 haben dazu geführt, dass die landesplanerischen Regelungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels in § 24 a des Landesentwicklungsprogramms (LEPro) nur noch eingeschränkte Steuerungswirkung entfalten. Sie sind von den Kommunen nur noch als Grundsätze der Raumordnung in ihrer Abwägung zu berücksichtigen und nicht — wie vorher — als Ziele der Raumordnung strikt zu beachten.

Aus Sicht des Städte- und Gemeindebundes sind landesplanerische Zielvorgaben ein hilfreiches Instrument, um Stadt- und regionalentwicklungspolitisch unerwünschte großflächige Einzelhandelsvorhaben, die zu erheblichen Umsatzumverteilungen in benachbarten Kommunen führen können, zu vermeiden. Insoweit besteht ein weitreichender Konsens innerhalb des Landes zur Sinnhaftigkeit und Erforderlichkeit landesplanerischer Zielvorstellungen im Bereich der Steuerung des großflächigen Einzelhandels.

Zurzeit befasst sich die Landesregierung mit der Erarbeitung neuer landesplanerischer Regelungen und hat hierzu das Planungsbüro „Junker und Kruse“ aus Dortmund mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das auf der Grundlage empirisch erhobener Werte Empfehlungen für die Erarbeitung einer neuen landesplanerischen Regelung zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels machen sollte. Das Gutachten, das am 23.11.2011 in der Staatskanzlei vorgestellt wurde, spricht sich für die nachfolgenden drei Regelungen aus:

  1. Aufgrund der Analyse der Verteilung der sortimentsspezifischen Verkaufsflächen nach Lagen innerhalb und außerhalb der nordrhein-westfälischen Innenstädte, der Sortimentsstruktur in den untersuchten Gemeinden sowie der Auswertung vorliegender ortstypischer Sortimentslisten ist es möglich, Leitsortimente zu definieren. Die Gutachter schlagen folgende Leitsortimente für NRW vor:

a) Nachversorgungsrelevante und zentrenrelevante Leitsortimente

  • Nahrungs- und Genussmittel
  • Gesundheits- und Körperpflegeartikel

 b) Zentrenrelevante Leitsortimente

  • Papier, Bürobedarf, Schreibwaren

  • Bücher

  • Bekleidung

  • Schuhe, Lederwaren

  • medizinische, orthopädische, pharmazeutische Artikel

  • Haushaltswaren, Glas, Porzellan, Keramik

  • Spielwaren

  • Sportbekleidung, Sportschuhe, Sportartikel

  • Elektrogeräte, Medien (= Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik, Computer, Foto)

  • Uhren, Schmuck

  1. Um Funktionsverlusten in zentralen Versorgungsbereichen vorzubeugen ist aus Sicht der Gutachter eine planungsrechtliche Begrenzung zentrenrelevanter Randsortimente von Einzelhandelsbetrieben mit nicht-zentrenrelevanten Kernsortimenten aus städtebaulichen Gründen notwendig. Der bisher in § 24 a Abs. 3 LEPro vorgegebene Schwellenwert von 10 % findet sich nach der Untersuchung in der Sortimentsstruktur der Betriebe mit nicht-zentrenrelevantem Kernsortiment mehrheitlich wieder bzw. wird sogar unterstritten. Dieser relative Schwellenwert lässt sich insoweit aus der bestehenden Situation ableiten, während sich ein allgemeingültiger absoluter Schwellenwert auf der übergeordneten landesplanerischen Ebene, wie er bislang mit 2.500 qm vorgegeben ist, nicht definieren lässt. Das Eintreten raumordnerischer Auswirkungen in Folge absatzwirtschaftlicher Verdrängungseffekte hängt aufgrund der Heterogenität des Landes NRW stark von der jeweils konkreten örtlichen Angebotssituation ab. Von daher vertreten die Gutachter die Auffassung, dass eine quantitative Obergrenze einer Einzelfallprüfung vorbehalten werden muss.
  2. Schließlich sprechen sich die Gutachter für eine raumverträgliche Steuerung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben mit nicht-zentrenrelevanten Kernsortimenten aus. Diese Empfehlung wurde abgeleitet aus einer Modellrechnung, in der mögliche Auswirkungen von Erweiterungs- und Ansiedlungsvorhaben von Möbelmärkten in der Region Südwestfalen überprüft und bewertet wurden. Die Analyse verdeutlicht zunächst, dass aufgrund des großen Spektrums der zur Verfügung stehenden lokalen einzelhandelsrelevanten Kaufkraftpotenziale in den einzelnen Grund-, Mittel- und Oberzentren in NRW die Definition von allgemein gültigen Obergrenzen für Vorhaben mit nicht-zentrenrelevanten Kernsortimenten für die einzelnen Kategorien nicht praktikabel erscheint. Allerdings wird vorgeschlagen, Bestandsumsätze in die Ermittlung der Umsatz-, Kaufkraft-Relation eines Vorhabens einzubeziehen. Speziell im Möbelbereich ist hierbei unter Berücksichtigung des jeweils zugewiesenen landesplanerischen Versorgungsauftrages für die Mittel- und Oberzentren bei der Ermittlung der branchenspezifischen Umsatz-Kaufkraft-Relation eine Einbeziehung der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft zugeordneter Grundzentren als möglich und sinnvoll zu erachten. Dabei bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

a) Die Definition von pauschalen Umsatz-Kaufkraft-Relationen, z. B. von maximal 110 % für Mittelzentren und 130 % für Oberzentren oder

b) die Orientierung an den jeweiligen Verflechtungsbereichen, z. B. in Anlehnung an den LEP I/II.

Da die Variante b) eine einheitliche Grundlage mit klaren Zuweisungen sowie Vorgaben zur Kaufkraftgewichtung zwischen Mittel- und Oberzentren erfordert, der LEP selbst jedoch diesbezüglich keine angemessene und ausreichende Grundlage darstellt, ist sie eher als Hilfsgröße heranzuziehen. Dem gegenüber bietet die Variante a) nach Auffassung der Gutachter den Vorteil einer eindeutigen, transparenten und praktikablen Regelung, die allerdings die Realität der unterschiedlich ausgeprägten räumlichen Versorgungsbereiche der einzelnen Mittel- und Oberzentren nur unzureichend wiederspiegelt. In der Summe jedoch entsprechen die vorgeschlagenen Umsatz-Kaufkraft-Relationen in der Branche Möbel von maximal 110 % für Mittelzentren und 130 % für Oberzentren nach Auffassung der Gutachter einer anteiligen Zuordnung der lokalen einzelhandelsrelevanten Kaufkraft der Grundzentren auf die jeweils übergeordneten Mittel- und/oder Oberzentren im Verhältnis 40:60 bzw. 30:70, welches den jeweils zugewiesenen zentralörtlichen Versorgungsauftrag angemessen wiederspiegelt.

Abschließend stellen die Gutachter fest, dass regionale Einzelhandelskonzepte ein wichtiges informelles Instrument einer kooperativen Einzelhandelsentwicklung des großflächigen, nicht-zentrenrelevanten Einzelhandels darstellen. Das Gutachten „Grundlagen für die Erarbeitung einer neuen landesplanerischen Regelung zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels“ kann im Mitgliedsbereich des Internetangebotes des Städte- und Gemeindebundes unter Fachinfo/Service, Fachgebiete, Bauen und Vergabe, Städtebau und Wohnungswesen abgerufen werden.

In der Besprechung am 23.11.2011 haben sich die Vertreter der Staatskanzlei nicht festgelegt, in welchem Umfang die Empfehlungen des Gutachtens in die neuen landesplanerischen Regelungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels berücksichtigt werden. Das Gutachten müsse zunächst noch ausgewertet werden, solle dann im neuen LEP, mit dessen Aufstellungsverfahren Anfang nächsten Jahres zu rechnen ist, einfließen. Der neue LEP soll ein eigenes Kapitel „Einzelhandel“ erhalten, das die Funktion des bisherigen LEPro übernimmt. Angesichts der Befristung des LEPros zum 31.12.2011 wurde von Seiten der Geschäftsstelle eine zügige Neuregelung gefordert, die wirksame Instrumente für eine Steuerung des großflächigen Einzelhandels beinhalte.

Der LEP befindet sich nach Aussage der Staatskanzlei zurzeit in der internen Ressortabstimmung. Mit einem Kabinettbeschluss sei Anfang 2012 zu rechnen. Sobald der LEP-Entwurf beschlossen ist und das Beteiligungsverfahren eingeleitet ist, entfalten die dort vorgesehenen Ziele der Raumordnung die Wirkung von „Zielen in der Aufstellung“. Ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung kann insoweit einem Bauvorhaben als unbenannter öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegen stehen. Es hat die Qualität eines öffentlichen Belangs, wenn es inhaltlich hinreichend konkretisiert ist und zu erwarten ist, dass es sich zu einer verbindlichen, den Wirksamkeitsanforderungen genügenden Zielfestlegung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verfestigt. Dafür ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 27.01.2005 Az. 4 C 5/04) erforderlich, dass das zukünftige Ziel bereits so eindeutig bezeichnet ist, dass es möglich ist, das Bauvorhaben, das den Gegenstand eines bauordnungsrechtlichen Zulassungsverfahrens bildet, an ihm zu messen und zu beurteilen, ob es mit ihm vereinbar ist.

Die insoweit erforderliche Detailschärfe weist es nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes auf, wenn es zeichnerisch oder verbal so fest umrissen, dass es anderen Behörden und der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden kann. Dieses Stadion der Verlautbarungsreife sei regelmäßig erreicht, wenn es im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens zum Gegenstand der Erörterung gemacht werden könne. Der inhaltlich konkretisierte Entwurf der Zielfestlegung müsse —zweitens- die hinreichend sichere Erwartung rechtfertigen, dass er über das Entwurfsstadium hinaus zu einer verbindlichen Vorgabe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG erstarken werde.

Az.: II gr-ko

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