Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 261/1996 vom 05.06.1996

Frühjahrsgutachten der sechs Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute

Mit ernüchternden Konjunkturdaten und einem Appell an die Politik, zusätzliche Konzepte zur Sanierung des Steuer- und Sozialsystems vorzulegen, haben sich der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung am 27.04.1996 und die sechs Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute am 29.04.1996 zu Wort gemeldet.

Die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute sagen in ihrem Frühjahrsgutachten für 1996 nur noch 0,75 % Wachstum voraus - nach 1,9 % im Jahr 1995. Der Sachverständigenrat der "Fünf Weisen" erwartet in seinem Sondergutachten demgegenüber nur 0,5 %. Sowohl der Sachverständigenrat als auch die Forschungsinstitute gehen nicht von einer Besserung am Arbeitsmarkt aus. 1996 werden die Arbeitslosenzahl im Mittel um 300.000 auf 3,9 Mio DM steigen und 1997 kaum sinken.

Sowohl in dem Frühjahrsgutachten der sechs Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute als auch in dem Gutachten des Sachverständigenrates wird die Finanzpolitik deutlich kritisiert. In dem Frühjahrsgutachten heißt es dazu:

"In dieser ohne Zweifel schwierigen Lage hat die Finanzpolitik Kurs verloren und wird ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Sie konzentriert sich auf die Begrenzung des Defizits in den öffentlichen Haushalten und entspricht dabei den konjunkturellen Erfordernissen nur begrenzt. Die hektischen Sparmaßnahmen von Bund und Ländern dienen vor allem dem Zweck, Fehlbeträge zu verringern; zielstrebigen Gestaltungswillen lassen sie vermissen. So ist es zwar besonders leicht, aber nicht sachgerecht, die staatlichen Investitionen nochmals zurückzunehmen. Neben der Verschärfung der Rezession in der Bauwirtschaft hat dies zur Folge, daß die Entwicklung der Wirtschaft mittelfristig gedämpft wird, weil produktive staatliche Vorhaben unterbleiben, die zu den privaten Investitionsprojekten komplementär sind. Den Herausforderungen kann die Finanzpolitik nur dann begegnen, wenn sie es sich zur Richtschnur macht, nur solche Maßnahmen zu ergreifen, die sich in ein Konzept zur Stärkung der Wachstumskräfte einfügen und andere, die ihm widersprechen, zu unterlassen. So können auch Maßnahmen mit Rücksicht auf die schwache konjunkturelle Entwicklung vorgezogen werden, die im Rahmen des Konzeptes ohnehin verwirklicht werden soll. Im Kern muß ein solches Konzept auf die gleichzeitige Rückführung der Beanspruchung der volkswirtschaftlichen Ressourcen durch den Staat und die Senkung des hohen Niveaus der Steuern und Abgaben abstellen....Die Finanzpolitik droht jedoch wegen ihrer Kurzatmigkeit das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten zu verlieren. Nur entschlossenes und für den einzelnen nachvollziehbares, weil in eine Gesamtstrategie eingebettetes Handeln kann hier eine Wende bewirken."

Hinsichtlich der Reform der Unternehmensbesteuerung wird in dem Frühjahrsgutachten folgendes ausgeführt:

"In diesem Zusammenhang ist auch die Reform der Unternehmensbesteuerung zu sehen, die aus dem Jahrssteuergesetz 1996 herausgenommen wurde und endlich - wie schon im Herbstgutachten des vergangenen Jahres gefordert - umgesetzt werden sollte. Allerdings müßte die Struktur dieser Maßnahmen überdacht werden. Die vorgesehene Finanzierung der Mindereinnahmen aus der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der Reduzierung der Gewerbeertragsteuer durch eine Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen würde bedeuten, daß vorrangig Unternehmen betroffen werden, deren Investitionstätigkeit besonders hoch ist. Ein Investitionsathentismus solcher Unternehmen würde die Wachstumskräfte erheblich schwächen. Aus wachstumspolitischer Sicht wäre es besser, die Gewerbesteuersenkung über eine Reduzierung von spezifischen Steuervergünstigungen im Unternehmensbereich zu finanzieren."

Unter der Überschrift "Finanzpolitik: Zeit zu entschlossenem Handeln" führen die Fünf Weisen aus:

"Vor dem Hintergrund konjunkturell bedingter Steuerausfälle und der wider Erwarten schwachen gesamtwirtschaftlichen Enwicklung ist diese Aufgabe noch schwieriger, allerdings auch noch drängender geworden. Erforderlich wäre jetzt eine mittelfristig angelegte Konzeption für eine gesamtstaatliche Finanzpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden, wie sie vom Bundesminister der Finanzen als "nationaler Stabilitätspakt" angeregt worden ist...Ganz im Gegenteil: Ständig wird über eine Erhöhung der Steuern und Abgaben diskutiert, gerade verabschiedete Haushalte weisen bereits nach kurzer Zeit Deckungslücken auf, und beschlossene Maßnahmen werden zurückgenommen oder ihr Inkrafttreten wird verschoben. Kurzatmiges Agieren und die Vorlage von immer neuen, aber nur an den Symptomen kurierenden Vorschlägen zur Sanierung der Staatsfinanzen einerseits und für die Senkung der Steuer- und Abgabenlast andererseits haben Investoren und Konsumenten immer stärker verunsichert und die Rahmenbedingungen privaten Handelns verschlechtert. So hat die Finanzpolitik zu der Wachstumsschwäche, die ihr über Steuerausfälle und höhere Ausgaben für die Arbeitslosigkeit erheblich zu schaffen macht, zu einem nicht unerheblichen Teil selbst beigetragen. Die Finanzpolitik ist in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten."

Mit Blick auf die Reform der Unternehmensbesteuerung wird in dem Sachverständigengutachten auf folgendes hingewiesen:

"In der Steuerpolitik müssen die immer wieder angekündigten Maßnahmen nun endlich zügig umgesetzt werden...Was nunmehr aber nottut, ist nicht das Aufstellen weiterer Programme für Steuersenkungen, sondern die schnelle und verbindliche politische Umsetzung. Wir plädieren nochmals dafür, mit Wirkung vom 01.01.1997 die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer ersatzlos zu streichen und die Finanzierung über Ausgabenkürzungen zu regeln. Die dazu notwendigen Gesetzesänderungen einschließlich einer möglicherweise erforderlichen Grundgesetzänderung sollten noch vor der palamentarischen Sommerpause vorgenommen werden."

Nach Auffassung des Sachverständigenrates muß die Finanzpolitik über die Sofortmaßnahmen hinaus Perspektiven für die weitere Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben eröffnen. Dazu zählt eine grundlegende Reform der Einkommensteuer mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch die Streichung von Steuervergünstigungen, bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze. Da die Kompromisse zwischen Bundestag und Bundesrat ökonomisch unbefriedigend ausfielen, sollte nach Auffassung des Sachverständigenrates die Finanzverfassung revidiert werden. Hierzu führt der Sachverständigenrat aus:

"Dabei geht es um eine Stärkung der Autonomie der einzelnen Ebenen im Staatsaufbau und eine klare Festlegung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Insbesondere müßte das Konnexitätsprinzip konsequent durchgesetzt werden, d. h.: die Ebene, die für eine Aufgabe zuständig ist, muß die daraus resultierenden Ausgaben auch finanzieren. Kurzfristig wird eine solche Reform zwar nicht zu erreichen sein, die Arbeiten daran sollten jedoch unverzüglich aufgenommen werden.

Angesichts der Tatsache, daß durch die Absenkung des Solidaritätszuschlags der Bundeshaushalt, durch die Abschaffung oder Reform der Vermögensteuer bzw. Erbschaftsteuer die Länderhaushalte und durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die kommunalen Haushalte primär betroffen sind, wird noch in diesem Jahr eine Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen den einzelnen Ebenen erforderlich, die nur in einem "nationalen Stabilitätspakt" erreicht werden kann. Diesen halten wir auch für geboten, wenn eine mittelfristige Konzeption der Finanzpolitik gesichert und die Konvergenzkriterien des Maastrichter-Vertrages verwirklicht werden sollten."

Az.: V/1-901-00

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