Mitteilungen - Schule, Kultur, Sport

StGB NRW-Mitteilung 254/1997 vom 20.05.1997

Ferienüberhang an Musikschulen

Ein Arbeitskreis, dem neben dem Geschäftsführenden Vorstand des Landesverbandes der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen auch Vertreter des Städtetages NRW, des Städte- und Gemeindebundes NRW, des Landkreistages NRW und des Kommunalen Arbeitgeberverbandes NRW angehörten, hat sich mit dem Thema "Ferienüberhang an Musikschulen" beschäftigt. Das gemeinsame Interesse der an dem Arbeitskreis Beteiligten ist, daß die Musikschulen auch in der derzeitigen finanziellen Situation der Träger erhalten bleiben müssen, wobei davon auszugehen ist, daß in der Regel eine zuschußerhöhende Ausweitung des Personalaufwandes unter den gegebenen Umständen derzeit nicht stattfinden kann.

I. Der Ferienüberhang (FÜ) nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Begriffsbestimmung:

Ferienüberhang ist der Zeitraum der Schulferien der allgemeinbildenden Schulen und Musikschulen, der nicht durch Urlaub oder anderweitigen Arbeitseinsatz ausgefüllt ist. Es entsteht ein Überhang an Freizeit.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in den Urteilen vom 26.01.95 - 2 AZR 371/94, 2 AZR 428/94 und 2 AZR 429/94 - ist grundsätzlich davon auszugehen, daß in den Musikschulferien ein Freizeitüberhang entsteht, der den tarifvertraglichen Urlaubsanspruch nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) übersteigt. Auf der Grundlage des ab März 1996 geltenden Jahresarbeitszeitraumes von 52 Wochen als Berechnungsgrundlage für die regelmäßige, durchschnittliche, wöchentliche Arbeitszeit nach § 15 BAT entsteht deshalb rechnerisch ein sog. Ferienüberhang.

Die entscheidende Frage, die aus prozeßtechnischen Gründen der Revisionsinstanz in den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts offenbleiben mußte, ist aber, ob dies auch arbeitsrechtlich bedeutet, daß dieser FÜ durch Erhöhung der durchschnittlichen, wöchentlichen Arbeitszeit im übrigen Kalenderjahr während der Unterrichtszeit umgelegt oder durch entsprechende Herabsetzung der Vergütung ausgeglichen werden kann.

Dafür ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts maßgebend, ob die auf der Grundlage der Jahresarbeitszeit geschuldete regelmäßige, durchschnittliche, wöchentliche Arbeitszeit nach § 15 BAT geleistet wird, insbesondere unter Berücksichtigung und Bewertung der Zusammenhangstätigkeiten nach dem Sondertarifvertrag für Musikschullehrer.

Das BAG hat nämlich anerkannt, daß bei Überschreiten der regelmäßigen, durchschnittlichen, wöchentlichen Arbeitszeit die Umlegung des sog. FÜ nicht oder nur teilweise erfolgen kann.

Hinsichtlich der Notwendigkeit einer Neubewertung der Zusammenhangstätigkeiten als Arbeitszeit im Sondertarifvertrag für Musikschullehrer werden von den Beteiligten unterschiedliche Auffassungen vertreten. Somit ist nach der Rechtsprechung des BAG in jedem Einzelfall eine Bewertung und Berechnung notwendig, um über die Existenz und arbeitsrechtliche Auswirkung des FÜ letztlich entscheiden zu können.

II. Die Behandlung des FÜ in der Praxis

In der Praxis sind vier Positionen zu beobachten, die hier ohne Wertung dargestellt werden:

1. Nach einer stillschweigenden Rechtspraxis, die bis zum Beginn der Rechtsprechung des BAG zur Jahresarbeitszeit nach § 15 BAT durchweg gegolten hat, ist der sog. FÜ durch die Tätigkeit der Musikschullehrerinnen bzw. Musikschullehrer während der Unterrichtszeit vollständig ausgeglichen und abgegolten. Dies bedeutet zugleich, daß während der Unterrichtszeit des Jahres eine Gesamtarbeitsleistung von Unterrichtstätigkeit, Zusammenhangstätigkeiten und anderen Arbeitszeitfaktoren (z.B. Teilnahme an Fortbildungen, Feiertage, Freitage, nicht verbrauchter Urlaubsanspruch wegen Krankheit im Urlaub, Wegezeiten bei Unterricht an verschiedenen Einsatzorten) anerkannt wird, die die regelmäßige, durchschnittliche, wöchentliche Arbeitszeit in diesem Zeitraum überschreiten, so daß letztlich Mehrarbeit entstehen würde, wenn nicht der Ausgleich durch den FÜ erfolgen würde.

2. Der FÜ wird grundsätzlich als Freizeitüberhang anerkannt, auch mit der Folge, daß er umgelegt werden kann. Da jedoch die Zusammenhangstätigkeiten in ihrer arbeitszeitrechtlichen Bewertung im BAT und dem Sondertarifvertrag für Musikschullehrer nicht ausdrücklich und abschließend geregelt sind, wird der FÜ wegen der daraus folgenden Unsicherheiten nicht in vollem Umfang als umsetzbar angesehen. Daher werden pauschalierte Regelungen getroffen, die zu einer Erhöhung des Unterrichtsdeputats, einer Gehaltsreduzierung oder einer Kombination von beiden Möglichkeiten führen.

3. Wegen der fehlenden tarifvertraglichen Arbeitszeitregelung der Zusammenhangstätigkeiten, die zudem nur beispielhaft aufgeführt und nicht vollständig erfaßt sind, muß bei der Umlegung des FÜ für jede einzelne Lehrkraft eine Berechnung angestellt werden, aus der sich dann ergibt, ob und in welchem Ausmaß der FÜ umgelegt werden kann.

4. Es wird davon ausgegangen, daß der FÜ in vollem Umfang ungeachtet der Berechnung der Arbeitszeit während der Zeit, in der unterrichtet wird, als Freizeitüberhang besteht und arbeitsrechtlich umgesetzt werden kann.

III. Gesichtspunkte, die bei der Behandlung des FÜ zu berücksichtigen sind:

1. Der bildungspolitische Auftrag an Musikschulen geht weit über die Erteilung von Unterricht hinaus. Die didaktische Eigenverantwortung der Lehrkraft ist sehr hoch (siehe Projektarbeit im Rahmen von "Musikschule 2000" oder Konzeptionierung und Umsetzung von Gruppen- und Klassenunterricht).

2. Die im BAT-Sondertarifvertrag für Musikschullehrer geregelten Zusammenhangstätigkeiten, die nur teilweise im einzelnen aufgeführt sind, stellen ein in der Praxis nicht gelöstes Problem der Arbeitszeitbewertung dar, das bei der Prüfung im Einzelfall zu erheblichen Bewertungsunsicherheiten sowie zu einem enormen Verwaltungsaufwand führt.

3. Ein weiteres Problem entsteht dann, wenn eine Lehrkraft in der unterrichtsfreien Zeit der Musikschulferien erkrankt. Geschieht dies in dem Zeitrum, der als BAT-Urlaub beantragt und gewährt wird, wird der Urlaubsanspruch nicht verbraucht, sondern bleibt erhalten.

Der Urlaub muß dann entweder in der Zeit der Unterrichtstätigkeit oder in dem übrigen Teil der Musikschulferien genommen oder durch Zahlung abgegolten werden. Im letzteren Fall ist fraglich, wie sich dies auf die Umsetzung des FÜ auswirkt.

4. Ein weiteres Arbeitszeitproblem entsteht durch die Fahrzeit von einem Unterrichtsort zu einem anderen während eines Arbeitstages. Nach der Regelung in § 17 BAT entsteht ein Anspruch auf Ausgleich für Mehrarbeit erst bei Überschreitung von mehr als 2 Stunden pro Tag. Eine darunter liegende Zeit gilt nicht als Arbeitszeit nach BAT und der dies bestätigenden Rechtsprechung des BAG. Die darüber liegende Arbeitszeit wird mit einer Stunde pro Tag anerkannt und kann bei der Umsetzung des FÜ als ein weiterer Arbeitszeitfaktor berücksichtigt werden.

5. Es ist häufige Musikschulpraxis, daß in den Musikschulferien Freizeiten stattfinden. Der Musikschullehrer ist ja auch nach dem BAT-Sondertarifvertrag für Musikschullehrer zur Arbeitsleistung in den Musikschulferien verpflichtet. Eine solche in den Musikschulferien entstehende Arbeitszeit kann bei der Berechnung und Umsetzung des FÜ berücksichtigt werden.

6. Wochenendfreizeiten und Wochenendveranstaltungen sind wesentliche Ergänzungen des Unterrichtsbetriebes. Bei einer spitzen Berechnung der regelmäßigen, durchschnittlichen, wöchentlichen Arbeitszeit auf der Grundlage der Arbeitszeitberechnung nach § 15 BAT zur Feststellung und Berechnung eines FÜ müssen die am Wochenende entstehenden Arbeitszeiten mitberücksichtigt werden. Gerade in diesem Bereich kann ein erheblicher Jahresarbeitszeitüberhang entstehen.

IV. Lösungsansätze

1. Der Arbeitgeber sieht die Realität der Zusammenhangstätigkeiten und übrigen Jahresarbeitszeitfaktoren und bewertet den FÜ bei jeder Lehrkraft individuell.

2. Im Sinne eines vereinfachten Verwaltungshandelns und der Anerkennung des Ausmaßes der Zusammenhangstätigkeiten wie auch der anderen Arbeitszeitfaktoren wird der FÜ mit einer pauschalierten Erhöhung des Wochenstundendeputats umgelegt.

Dabei gelten die Schulferien weiterhin als unterrichtsfreie Zeit; ein sich ergebender rechnerischer Rest von FÜ gilt als durch die Zusammenhangstätigkeiten und sonstigen Arbeitszeitfaktoren pauschal ausgeglichen und abgegolten.

3. Der Arbeitgeber bewertet pauschal Effektivität, Effizienz, Motivation und Innovationsbereitschaft und die daraus resultierende Leistung seines Musikschul-Personals in Verbindung mit den vorgenannten Jahresarbeitszeitfaktoren so hoch, daß er den FÜ als pauschal abgegolten bewertet.

V. Fazit

Individualregelungen zum FÜ sind arbeitsrechtlich richtig, bringen aber einen hohen verwaltungstechnischen Aufwand sowie damit verbundene Bewertungsunsicherheiten, die die Dispositionen der Arbeitszeit und Einsatzmöglichkeiten an der Musikschule enorm erschweren.

Bei pauschalierten Anrechnungen ist ein sorgfältiges Abwägen der gesamten Arbeitszeitfaktoren geboten, um eine angemessene und gerechte Regelung zu erreichen. Es ist die Aufgabe der Beteiligten vor Ort, im partnerschaftlichen Dialog angemessene Lösungen zu finden, die sowohl den vorgenannten Überlegungen als auch der jeweiligen wirtschaftlichen Situation der Kommune Rechnung tragen.

Der Schul-, Kultur- und Sportausschuß des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes hat die Thematik im Rahmen seiner Sitzung am 11. März 1997 in Rheine beraten und die vorstehend wiedergegebenen Empfehlungen zustimmend zur Kenntnis genommen.

Az.: II/1 450

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