Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 19/2022 vom 10.01.2022

EU-Taxonomie und Investitionen in neue Kraftwerke

Die Europäische Kommission hat am 31.12.2021 einen Vorschlag vorgelegt, wie Investitionen in Erdgas- und Kernkraftwerke im Rahmen der EU-Taxonomie behandelt werden sollen. Der Vorschlag wird seitdem in Deutschland politisch sehr kontrovers diskutiert. Die Meinungsbildung der Bundesregierung dauert noch an. Hintergrund der Diskussion ist die Einschätzung der Kommission, dass neben Erdgas auch die Kernenergie die Transformation zu einem kohlenstoffarmen Energiesystem erleichtert. Zuvor hatte sich insbesondere Deutschland dafür eingesetzt, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden, andere Mitgliedstaaten hatten sich dagegen dafür ausgesprochen, die Atomkraft als nachhaltigen Energieträger zu behandeln.

Im Rahmen der europäischen Vorgaben zur Taxonomie wird geregelt, welche Investitionen im Bereich der Energieerzeugung klima- und umweltfreundlich sind. Der grundlegende Rechtsakt hierfür, die Europäische Taxonomie-Verordnung, ist bereits am 12. Juli 2020 in Kraft getreten. Über sog. delegierte Rechtsakte zur Taxonomie-Verordnung wird bestimmt, welche Investitionen zukünftig als nachhaltig gelten dürfen. Ein solcher Rechtsakt wird aktuell von der Kommission vorbereitet.

Die Vorgaben dieses Rechtsaktes haben maßgeblichen Einfluss auf die Finanzierungsbedingungen von Kraftwerksinvestitionen an den Finanzmärkten. Insofern ist das Thema nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes von hoher politischer Relevanz. Vielmehr geht es auch um die Fragen, wie und zu welchen Kosten die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet werden kann. Dies spielt für Kommunen und ihre Stadtwerke bei Investitionen in erforderliche, neue Erzeugungsanlagen eine wesentliche Rolle.

Anmerkung

Für Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa ist die Frage einer verlässlichen Stromversorgung existenziell. Energieerzeugung durch Erdgas wird dabei zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit in der laufenden Transformationsphase des Energiesystems eine essentielle Rolle spielen. Deshalb spricht vieles im Rahmen der Diskussion um den delegierten Rechtsakt zur Klimataxonomie dafür, dass Investitionen in gasbasierte Kraftwerke als nachhaltig eingestuft werden. Das gilt besonders, wenn der Ausstieg aus der Kohleverstromung auf das Jahr 2030 vorgezogen werden soll, wie dies seit einiger Zeit politisch diskutiert wird. Denn es ist absehbar, dass die erneuerbaren Energien nicht die in Deutschland wegfallenden Erzeugungskapazitäten aus Atomkraft und Kohle ersetzen können.

Nach aktuellen Zahlen des BDEW und des Umweltbundesamtes (UBA) ist der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch im soeben abgelaufenen Jahr 2021 sogar von 46 Prozent auf 42 Prozent geschrumpft. Es spricht vieles dafür, dass Gaskraftwerke zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit auf absehbare Zeit erforderlich sein werden. Um eine Stromlücke zu vermeiden, müssen bis zum Jahr 2030 Gaskraftwerke in erheblichem Umfang neu gebaut werden. Dabei schwanken die Zahlen, wie viele zusätzliche Kapazitäten bis 2030 benötigt werden, zwischen 15 Gigawatt (Deutsche Energieagentur) und 43 Gigawatt (Boston Consulting Group). Ausgehend von einer Leistung von 300 Megawatt werden bis zu 140 Gaskraftwerke für erforderlich gehalten.

Gaskraftwerke – idealerweise in KWK betrieben – sollten deshalb besonders in den Fokus genommen werden, da diese nicht nur als energieeffiziente Brückentechnologie dienen, sondern auch durch den Einsatz von grünem Wasserstoff (sog. H2-Readiness) in einer Epoche der Klimaneutralität benötigt werden. Insofern kann damit auch den Bedenken entgegengetreten werden, dass mit der Anerkennung der Gaskraftwerke ein klimaschädlicher Energieträger langfristig abgesichert wird.

Mithin gibt es auch aus dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes gute Gründe dafür, dass die EU-Taxonomie-Verordnung gasbasierte Kraftwerke als nachhaltig berücksichtigt, wenn diese mittel- und langfristig auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Es wird in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorgaben, wann ein Gaskraftwerk als nachhaltig eingestuft wird, auch erreichbar sein müssen. Dies kann nach Angaben des VKU am besten sichergestellt werden, wenn es keinen starren CO2-Emission-Grenzwert pro Kilowatt und Jahr installierter Leistung gibt, sondern ein über einen längeren Zeitraum ausgestaltetes CO2-Budget. So kann der Betreiber eines Kraftwerks frühzeitig eine Strategie zur Dekarbonisierung verfolgen und erhält einen Anreiz, das Kraftwerk auf grünen Wasserstoff umzustellen. Dadurch wird zugleich langfristig die Nachhaltigkeit der Investition abgesichert.

Wie geht es weiter?

Nach der Konsultation soll die ergänzende Rechtsverordnung noch im Januar von der Kommission angenommen werden. Ähnlich wie beim ersten delegierten Rechtsakt zur Klimataxonomie haben das Europäische Parlament und der Rat vier Monate Zeit, das Dokument eingehend zu analysieren und gegebenenfalls Einwände dagegen zu erheben. Im Einklang mit der Taxonomie-Verordnung können beide Organe eine Verlängerung der Frist um zwei weitere Monate beantragen.

Der Rat kann mit umgekehrter verstärkter qualifizierter Mehrheit Einwände erheben (das bedeutet, dass mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten, also mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, nötig sind, um Einwände gegen den delegierten Rechtsakt zu erheben). Das Europäische Parlament seinerseits kann mit einfacher Mehrheit Einwände erheben.

Sofern keines der beiden gesetzgebenden Organe innerhalb des Prüfungszeitraums Einwände erhebt, wird der (ergänzende) delegierte Rechtsakt nach Ablauf des Prüfungszeitraums in Kraft treten und anwendbar sein.

Hintergrundinformationen

Hintergrundinformationen finden sich im Internetauftritt der Europäischen Kommission unter:

https://germany.representation.ec.europa.eu/news/kommission-legt-vorschlag-zu-erdgas-und-kernenergieaktivitaten-der-eu-taxonomie-vor-2022-01-03_de

Az.: 28.6.1-004/006 we

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search