Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 425/1996 vom 05.09.1996

Entwicklung der öffentlichen Haushalte im Jahre 1996

Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht von Juni 1996 über die Gesamtentwicklung der öffentlichen Finanzen einen längeren Bericht abgegeben. Neben einer Darstellung der Entwicklung seit Jahresbeginn, der Darstellung der Steuereinnahmen auf der Grundlage der letzten Steuerschätzungen sowie dem Verhalten der Gebietskörperschaften am Kreditmarkt, wird die Haushaltsentwicklung im Gesamtjahr 1996 und das finanzpolitische Programm für die nächsten Jahre dargestellt. Hierzu führt die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht folgendes aus:

Konjunkturbedingte Verschlechterung der Haushaltlage

Insbesondere infolge der im ersten Quartal dieses Jahres anhaltenden Konjunkturschwäche sind die öffentlichen Haushalte unter starken Druck geraten. Zur offiziellen Steuerschätzung vom Mai wurden die gesamtwirtschaftlichen Annahmen weiter nach unten revidiert. Für das ganze Jahr 1996 wird jetzt nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts um nominal 2 % und real ¾ % gerechnet, nachdem im Jahreswirtschaftsbericht noch von nominal 3 ½ % beziehungsweise real 1 ½ % und in der den Haushaltsplänen zugrunde gelegten Prognose vom Oktober 1995 von 4 ½ % beziehungweise 2 ½ % ausgegangen worden war. Auch die jetzt angenommenen Wachstumsraten setzen eine Belebung im weiteren Jahresverlauf voraus, auf die angesichts in mancher Hinsicht verbesserter außen- und binnenwirtschaftlicher Rahmenbedingungen Aussicht besteht. Im Vergleich zur Oktoberschätzung zeichnen sich nunmehr im laufenden Jahr Steuerausfälle von 22 Mrd. DM ab. Das Steueraufkommen würde dann hinter dem Vorjahresergebnis um 1% zurückbleiben.

Auch wenn der schon geschilderte "Umbuchungseffekt" durch die Neuordnung des Familienleistungsausgleichs ausgeklammert wird, bliebe nur ein Plus von etwa 1 ½ %. Einnahmenschmälernd wirken sich zum einen die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Besserstellung der Familien mit Kindern, zum anderen neben der bislang ungünstigen Konjunktur auch weiterhin hohe Steuererstattungen offenbar vor allem im Zusammenhang mit der ostdeutschen Investitionsförderung aus. Zudem werden die Ausgabenbelastungen vom Arbeitsmarkt her höher ausfallen als zunächst veranschlagt.

Weitere Handlungszwänge

Demzufolge sehen sich die Gebietskörperschaften mit zusätzlichen Anpassungszwängen konfrontiert, nachdem sie schon im Verlauf von 1995 bemüht waren, die aufbrechenden weiteren Haushaltslücken zu schließen oder wenigstens zu verringern. Die bereits erreichte, weit über das mittelfristig vertretbare Maß hinausgehende Höhe der Defizite und die drückende Schuldenlast lassen keine andere Wahl. Angesichts der ungünstigen Ausgangslage und der grundlegenden Konsolidierungserfordernisse erscheint es nicht als vertretbar, die konjunkturbedingten Mehrbelastungen der Haushalte voll auf das Defizit durchschlagen zu lassen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß nicht etwa davon ausgegangen werden kann, die Einnahmeverluste würden in der Folge wieder "aufgeholt"; so wird auch für die nächsten Jahre das erreichbare Wirtschaftswachstum jetzt von der Bundesregierung vorsichtiger veranschlagt als vor einem Jahr. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gilt es, Vertrauensverluste zu vermeiden, die sich ergeben könnten, wenn der Eindruck entstünde, die Finanzpolitik lasse "den Dingen ihren Lauf" und könne die notwendige Konsolidierung nicht durchsetzen. Angesichts der Bedeutung der finanzpolitischen Perspektiven für das Wirtschaftsklima - nicht zuletzt für unternehmerische Entscheidungen, bei denen es auf die Einschätzung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit ankommt - kann die Sichtweise nicht auf die kurzfristige Nachfragewirkung "eingebauter Stabilisatoren" verengt werden.

Begrenzung des Defizitanstiegs 1996

Die Gebietskörperschaften zeigen sich denn auch bestrebt, im laufenden Jahr einem starken Anstieg der Defizite gegenüber der Planung entgegenzuwirken. So hat der Bundesfinanzminister bereits im März eine "Haushaltssperre" verhängt; danach dürfen ins Gewicht fallende Ausgaben in einzelnen Bereichen nur mit seiner Einwilligung getätigt werden. Im Mai wurden für mehrere Ressorts Kürzungsbeträge festgelegt. Auch Länder und Gemeinden sind um weitere Einsparungen bemüht; die meisten Länder haben ebenfalls "Haushaltssperren" verfügt, und in mehreren Ländern sind Nachtragshaushalte geplant. Freilich dürften damit die konjunkturbedingten Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte letztlich nur zum Teil ausgeglichen werden, und das Staatsdefizit insgesamt könnte sich nach der neuerlichen Korrektur der Wirtschaftsprognose in diesem Jahr auf annähernd 4 % des Bruttoinlandsprodukts ausweiten, nach 3,5 % im Jahre 1995. Die Defizitquote ginge damit noch mehr als im vorigen Jahr über die Obergrenze von Maastricht hinaus, und auch der Grenzwert für den Schuldenstand (60 % des BIP) könnte etwas überschritten werden.

Finanzpolitische Weichenstellung

Damit stellt sich die Konsolidierungsaufgabe für das Jahr 1997, dessen Ergebnisse der Prüfung für den Eintritt in die dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zugrunde zu legen sind, und darüber hinaus mittelfristig um so nachdrücklicher. Dies gilt auch unabhängig von den notwendigen stabilitätspolitischen Voraussetzungen für die Schaffung eines gemeinsamen Währungsraumes allein schon aus nationalen haushaltpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen.

Die Regierungskoalition hat ihre Vorschläge für konkrete Maßnahmen Ende April mit dem "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" vorgelegt. Es bezweckt einen Einstieg in das mittelfristige Vorhaben, die Staatsausgabenquote bis zum Jahr 2000 auf 46 % des BIP zu senken und dabei sowohl das Defizit als auch die Abgabenlast zurückzuführen. Die Einsparungen sollen im konsumtiven Bereich ansetzen, und zwar vor allem beim Personalaufwand und bei einer Reihe von Transferleistungen sowohl der Gebietskörperschaften als auch der Sozialversicherungen. Die Unternehmen sollen außerdem durch die Kürzung der Lohnfortzahlung bei Krankheit von Lohnzusatzkosten entlastet werden; auch Änderungen im Kündigungsschutz sind beabsichtigt. Im Bundeshaushalt 1997 sollen ferner durch noch nicht spezifizierte Maßnahmen in allen Einzelheiten insgesamt 7 Mrd DM eingespart werden. Die bisherigen steuerpolitischen Vorhaben (Beginn des Abbaus des Solidaritätszuschlags, "aufkommensneutrale" Weiterführung der Unternehmenssteuerreform, Abschaffung der Vermögenssteuer verbunden mit einer Neuregelung der Erbschaftssteuer) wurden bekräftigt; außerdem soll eine grundlegende Reform der Einkommensteuer bereits Anfang 1999 in Kraft treten. Die Beiträge zur Sozialversicherung sollen bis zum Jahr 2000 auf unter 40 % des versicherungspflichtigen Einkommens gesenkt werden.

Auch mittelfristig deutliche Korrektur der Steuerschätzung

Für die demnächst zu erstellenden Haushalts- und Finanzplanungen ist zudem von Gewicht, daß in der Steuerschätzung vom Mai mittelfristig mit einem geringeren nominalen und realen Wirtschaftswachstum gerechntet wird als ein Jahr zuvor. Daraus folgt ein schwächerer Anstieg des Steueraufkommens in den kommenden Jahren. In der Tat gilt es, hinsichtlich der Einnahmenerwartungen eher das Prinzip der Vorsicht walten zu lassen, um den Konsolidierungsbedarf nicht zu unterschätzen. Die neue Steuerprognose unterstreicht den Zwang zu einem strikten Sparkurs auf allen Haushaltsebenen.

Mittelfristige Zielsetzungen

Seine mittelfristigen finanzpolitischen Zielvorstellungen hat das Bundesfinanzministerium bereits im März in der Studie "Finanzpolitik 2000"dargelegt. An den Leitgedanken der vorangegangenen Studie vom März 1995 "Finanzpolitik 2000 - Neue Symmetrie zwischen einem leistungsfähigen Staat und einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft" wird damit festgehalten, und die Perspektive wird in einer Modellrechnung bis zum Jahr 2005 verlängert. Die Staatsausgabenquote soll von 50 % des BIP im Jahre 1996 auf 46 % im Jahre 2000 (und 44 % im Jahre 2005) gesenkt werden. Im Sinne einer "symmetrischen Finanzpolitik" soll der damit entstehende Spielraum genutzt werden, um die Defizitquote auf 1 % im Jahre 2000 (und ½ % im Jahre 2005) sowie die Abgabenquote von 43 % im Jahre 1996 auf 42 % im Jahre 2000 (und 40 ½ % im Jahre 2005) zu senken.

Dies ist ein ehrgeiziges Konzept, das zum einen den Anforderungen entspricht, welche im Rahmen der Europäischen Währungsunion an eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik - besonders im Hinblick auf die Begrenzung der Staatsverschuldung - zu stellen sind, und das zum anderen der gebotenen Verbesserung der Standortbedingungen für die deutsche Wirtschaft Rechnung trägt. Hiermit sind freilich zugleich die Risiken bezeichnet, die entstünden, falls sich in den bevorstehenden parlamentarischen Entscheidungsprozessen kein Konsens über eine durchgreifende Konsolidierungsstrategie erzielen ließe.

Az.: V/1-905-01

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