Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 365/1996 vom 20.07.1996

Energierechtsreform (Europäische Diskussion)

1. Sondersitzung des Energieministerrats am 20.06.1996

Im Rahmen einer Sondersitzung des Energieministerrates am 20.06.1996 in Luxemburg ist ein Kompromiß über eine stufenweise Öffnung der Elektrizitätsmärkte in der Europäischen Union erzielt worden. Bei dem einstimmigen Votum handelt es sich um eine sog. politische Übereinkunft zu einem zukünftigen formellen gemeinsamen Standpunkt, die noch eine formelle Beschlußfassung und damit eine endgültige Abstimmung im Ministerrat erfordert.

2. Kernpunkte des Luxemburger Kompromisses

Die Kernpunkte des Luxemburger Kompromisses und damit die Schwerpunkte des Stufenplans schrittweiser Marktöffnungen für große industrielle Stromkunden in der Europäischen Union lassen sich wie folgt umreißen:

- Die stufenweise Marktöffnung erfaßt in einer ersten Stufe Großkunden als Endverbraucher mit einem Elektrizitätsjahresverbrauch von mehr als 40 Gigawattstunden (40 Mio kWh) pro Jahr. Diese Stromgroßverbraucher können Stromlieferverträge mit Dritten abschließen und anschließend mit den Netzinhabern über die Durchleitung verhandeln. Insgesamt läge damit eine Marktöffnung in Höhe von 23 % des Stromverbrauchs der EU vor.

- Der Schwellenwert von 40 Gigawattstunden (GWh) sinkt automatisch nach 3 Jahren auf 20 GWh und nach weiteren 3 Jahren auf 9 GWh Jahresverbrauch, so daß nach 6 Jahren eine Marktöffnung in einer Größenordnung von 33 % europaweit erreicht sein wird.

- Sofern die Richtlinie - wie in Aussicht genommen - bereits Anfang 1997 in Kraft gesetzt werden sollte, besitzen die Länder eine nationale Umsetzungsfrist von 2 Jahren, so daß die dargestellte Liberalisierung des Energiebinnenmarktes für Strom ab dem 01.01.1999 in Kraft treten würde.

- Die Definition der zugelassenen Kunden obliegt den einelnen Mitgliedsstaaten.

- Verteilerunternehmen, also z. B. insbesondere Stadtwerke, werden nicht automatisch zu den zugelassenen Kunden gezählt, sondern werden nur in dem Umfang in die Marktöffnung einbezogen, der ihrer Lieferung an zugelassene Kunden entspricht.

- Vorgesehen sind besondere Verweigerungstatbestände einer Marktöffnung, insbesondere unter Hinweis auf öffentliche Dienstleistungspflichten (Service Public). Die national auszugestaltenden Kriterien sollen objektiv, transparent, nicht diskriminierend und kontrollierbar sein und im Ergebnis das Gemeinschaftsinteresse nicht verletzen.

- Eine sog. "Schutzklausel" (indirekte Öffnungsklausel) soll für einen Übergangszeitraum von 9 Jahren eine negative Reziprozität bewirken, d. h. Mitgliedsstaaten, die ihre Märkte über die Schwellenwerte hinausgehend stärker als bei der ausländischen Konkurrenz dem Wettbewerb öffnen, können sich insoweit gegen ausländische Wettbewerber schützen. Die Klausel soll nach 4 ½ Jahren überprüft werden.

3. Bewertung aus gemeindlicher Sicht

Aus gemeindlicher Sicht ist die dargestellte Öffnung des EU-Strommarktes für Großkunden mit negativen Konsequenzen verbunden. Die Aufhebung geschlossener Versorgungsgebiete und die hiermit verbundene Möglichkeit des sog. "Rosinenpickens" ist verfassungsrechtlich fragwürdig, gemeindebenachteiligend (Teilhabe der Stadtwerke, Konzessionsabgabe), die Haushalte und gewerblichen Kleinverbraucher belastend und auch ökologisch unverträglich; in bezug genommen werden können im Grunde diejenigen Erwägungen, die aus der Sicht der Städte und Gemeinden auch gegen das in Aussicht genommene Reformvorhaben des Bundeswirtschaftsministers sprechen (vgl. Mitt.NWStGB 12/1996, Ziffer 301, S. 216 ff.).

Darüber hinaus gewährleistet die jetzige Übereinkunft - wie dies im übrigen die Koalitionsvereinbarung der Koalitionsfraktionen und auch die EU-Kommission gefordert hat - keine Reziprozität in Europa: Während auch nach der Luxemburger Einigung in Frankreich die staatliche Monopolgesellschaft Electricité de France im Rahmen des dort favorisierten Single-Buyer-Modells zukünftig für die Produktion und Verteilung zuständig sein wird und sich damit auch weiterhin in quasi-monopolistischen Bahnen bewegt, wird in der Bundesrepublik Deutschland sowie in Großbritannien, Finnland und den Niederlanden eine marktwirtschaftliche Lösung favorisiert, die einem europaweiten gleichgewichtigen und fairen Wettbewerb in allen europäischen Staaten widerspricht. Die sich damit abzeichnenden ungleichen Wettbewerbsbedingungen insbesondere im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich werden - auch nach Auffassung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) - die deutschen Energieversorgungsunternehmen, darüber hinaus auch die deutschen Kraftwerksbauer und Zuliefererunternehmen benachteiligen und gefährden.

Schließlich sind - auch von der Bundesregierung immer wieder eingeforderte - Forderungen an eine Reziprozität bei der nun verabschiedeten politischen Orientierung letztendlich nicht erfüllt worden:

- Die in den einzelnen Mitgliedsstaaten divergierende Anzahl von Unternehmen mit einem bestimmten Jahreselektrizitätsverbrauch wird zu unterschiedlichen nationalen Öffnungsanteilen führen, die im Ergebnis eine ungleichgewichtige Marktöffnung bedeuten.

- Das Fehlen einer einheitlichen Definition der zugelassenen Kunden beinhaltet eine starke Ungleichbehandlung von Verteilerunternehmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten.

- Es erfolgt keine Gleichbehandlung von Industrieverbrauchern und Verteilerunternehmen, da die Verteilerunternehmen nicht vollständig in das Wettbewerbskonzept einbezogen werden.

- Die Gefahr einer Marktabschottung durch den Hinweis auf den Service Public ist weiterhin gegeben, da insoweit ein breiter nationaler Interpretationsspielraum besteht. Insbesondere Frankreich hat sich im Rahmen der zurückliegenden Diskussionen immer wieder auf einen umfangreichen Vorrang der Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungspflichten vor einer voranschreitenden Wettbewerbsordnung berufen.

Az.: V/2-817-02/1 und 811-00

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search