Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 21/2014 vom 14.01.2014

Bundesgerichtshof zur Vergabe von Stromnetzkonzessionen

Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen. Das gilt auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb. Gemeinden können sich weder auf ein „Konzernprivileg“ noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten „In-House-Geschäfts“ berufen. Das hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) am 18.12.2013 entschieden. Die Entscheidung bedeutet eine nicht unerhebliche Einschränkung der kommunalen Gestaltungsspielräume der Gemeinden bei der Konzessionsvergabe.

Ausgangsverfahren

Die Stadt Heilighafen und die Schleswig-Holstein-Netz AG streiten über Ansprüche auf Übereignung der Stromversorgungsnetze in schleswig-holsteinischen Gemeinden. Aufgrund Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzessionsverträge war die beklagte Schleswig-Holstein-Netz AG in diesen Gemeinden Netzbetreiber. Ihre Bewerbung um Abschluss neuer Konzessionsverträge hatte jeweils keinen Erfolg. Die Klägerin des ersten Verfahrens (KZR 65/12), die Stadt Heiligenhafen, entschied sich dafür, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. Sie verlangt, gestützt auf § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG a. F. sowie einer Regelung des abgelaufenen Konzessionsvertrags (Endschaftsbestimmung), die Übereignung des örtlichen Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung von der Beklagten. Im zweiten verhandelten Verfahren (KZR 66/12) haben die 36 Gemeinden der Ämter Sandesneben-Nusse und Berkenthin einen neuen Konzessionsvertrag mit der Klägerin abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden handelt. Die Klägerin verlangt aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG a. F. sowie aus abgetretenem Recht der Gemeinden die Übereignung des Netzes.

Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen (StGB NRW-Mitteilung 17/2013 vom 22.01.2013). Das Berufungsgericht hat Ansprüche auf Übertragung des Netzes verneint, weil die Neuvergaben der Konzessionen jeweils gegen § 46 EnWG a. F. und § 20 Abs. 1 GWB a. F. verstießen. Die Gemeinden hätten in einer diskriminierungsfreien Vergabeentscheidung vorrangig die Ziele des § 1 EnWG a. F. und somit in erster Linie das Niveau der erreichbaren Netzentgelte sowie die Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen. Erst in zweiter Linie könnten die fiskalischen Interessen der Kommune eine Rolle spielen. Die Entscheidungen der Gemeinden für eine Rekommunalisierung genügten diesen Anforderungen nicht. Dies könne die Beklagte den Übertragungsansprüchen entgegenhalten.

Entscheidung des Gerichtshofs

Der BGH hat die dagegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen. Im Verfahren KZR 65/12 kann die Beklagte den Überlassungsansprüchen entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB a. F. unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG folgt. Das Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf ein „Konzernprivileg“ noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten „In-House-Geschäfts“ berufen. Das verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht wird dadurch nicht verletzt.

Im Verfahren KZR 66/12 stehen der Klägerin keine Ansprüche auf Überlassung der Netze zu, weil sie nicht „neues Energieversorgungsunternehmen“ im Sinne von § 46 Abs. 2 EnWG a. F. geworden ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzessionsvertrag mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134 BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswahlentscheidung gegen § 20 Abs. 1 GWB a. F. verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall das Transparenzgebot beachtet. Die bei der Auswahlentscheidung angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich mit dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen. Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung, Umweltverträglichkeit) auszurichten. Im Übrigen bleibt der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrags aufweisen, was eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst.

Diesem Maßstab genügen die Auswahlentscheidungen zugunsten der Klägerin nicht. Zwar hat das Berufungsgericht einige Auswahlkriterien wie etwa den Gemeinderabatt oder eine Folgekostenübernahme zu Unrecht für unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170 bei der Angebotsbewertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft. Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend berücksichtigt. Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB a. F. hat die Nichtigkeit der Konzessionsverträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte. Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen Rechte aus den vertraglichen Endschaftsbestimmungen scheitern daran, dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB entgegenhalten kann, von den Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20 Abs. 1 GWB a. F.) worden zu sein.

Anmerkung

Die Entscheidung des BGH ist von grundlegender Bedeutung für die kommunale Konzessionsvergabepraxis im Strom- und Gasbereich. Nach den zunächst nur mündlichen Ausführungen des Gerichts müssen sich Gemeinden bei der Festlegung der Auswahlkriterien und der Bewertung der Angebote vorrangig an den „netzbezogenen Kriterien“ des § 1 EnWG orientieren, wonach es auf das Niveau der erreichten Netzentgelte, die Effizienz des Netzbetreibers sowie auf Qualitätskriterien wie etwa die Umweltverträglichkeit und die Sicherung des störungsfreien Netzbetriebs ankommt. Gemeindeeigene Kriterien, sei es die lokale Wirtschaftsförderung, Arbeitsplatzsicherung oder auch fiskalische Interessen, dürfen von der Gemeinde zwar zugrunde gelegt werden, müssen jedoch dahinter zurückstehen. Auch die Regelungen der sog. „In-House-Vergabe“ hält das Gericht für unanwendbar, sodass Gemeinden auch in einem solchen Fall gehalten sind, ein förmliches, diskriminierungsfreies und transparentes Vergabeverfahren anzuwenden.

Die Entscheidung führt - vorbehaltlich der noch ausstehenden schriftlichen Begründung - zu einer Beschränkung des der Gemeinde im Rahmen der Konzessionsvergabe zustehenden und verfassungsrechtlich verankerten Selbstverwaltungsrechts. Klar ist, dass die Gemeinde die Ziele des § 1 EnWG bei ihrer Auswahlentscheidung auch zu berücksichtigen hat und keine rein willkürliche Entscheidung treffen darf. Doch der BGH lässt für die Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft, die eigenverantwortlich die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft regeln darf, nur noch wenig Gestaltungsspielraum. So lässt das Gericht dabei auch die bisherige nationale Rechtsprechung, die Kommunen bei der Festlegung der Auswahlkriterien und der Bewertung der Angebote aufgrund der Selbstverwaltungsgarantie durchaus einen Gestaltungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zuerkennen, weitgehend unbeachtet.

Selbst der EuGH hält ein förmliches Auswahlverfahren europarechtlich nicht für geboten, sofern das gemeindliche Unternehmen seine netzbetreibende Tätigkeit im Wesentlichen nur für die fragliche Gemeinde und nicht auch im Wettbewerb mit anderen netzbetreibenden Energieversorgungsunternehmen auch in sonstigen Gemeindegebieten ausübt. Ausschlaggebend ist danach, dass der Konzessionsinhaber seine Dienstleistung im öffentlichen Interesse der konzessionsvergebenden Gemeinde erbringt, die als für die Energieversorgung der Bürger verantwortlich angesehen wird.

Az.: II/3 818-00

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search