Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 711/2002 vom 16.12.2002

Bundesgerichtshof zur Haftung bei Überschwemmungsschäden

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 04. April 2002 (AZ: III ZR 70/01) zur kommunalen Haftung bei Überschwemmungsschäden Stellung genommen. Danach besteht eine allgemeine Amtspflicht der Kommunen – auch gegenüber betroffenen Grundstückseigentümern – Wohngrundstücke eines Baugebiets im Rahmen des Zumutbaren (auch) vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können. Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Hanggrundstückes. Die beklagte Kommune beschloss die Aufstellung eines Bebauungsplans, der die höher gelegenen bisherigen Felder oberhalb des Einfamilien-Grundstückes als Baugebiet auswies. Im Jahre 1994 kam es zu heftigen Niederschlägen, wie sie alle 5, wenn nicht alle 50, Jahre einmal auftreten. Die abfließenden Wassermassen ergossen sich auf das Grundstück der Kläger. Es entstand ein Schaden von ca. 100.000 DM. Die beklagte Kommune hatte kurz vor dem Schadensereignis einen oberhalb des Klägergrundstücks verlaufenden Erdschutzwall sowie Wassergraben entfernt und auf den Hanggrundstücken befindlichen Mutterboden abgetragen.

Der BGH nimmt in diesem Fall eine Haftung der beklagten Kommune aus Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) an. Ein haftungsminderndes Mitverschulden der Klägerin schloss das Gericht aus. Nach Auffassung des BGH oblag der beklagten Kommune gemäß § 123 BauGB nach Maßgabe der Vorschriften des Landesrechts die Erschließung des Baugebietes, insbesondere die Herstellung der Erschließungsanlagen wie der öffentlichen Straßen und der Einrichtungen zur Sammlung und Beseitigung des Abwassers. Eine Verpflichtung zum Hochwasserschutz schied mangels Vorhandenseins eines Gewässers zwar aus. Gleichwohl hat eine Gemeinde für Fehler bei der Planung oder der Errichtung derartiger Anlagen nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Mai 1981 – III ZR 180/80 und v. 13. Juni 1996 – III ZR 40/95).

Nach den Feststellungen der Vor-Instanz (Berufungsgericht) war zum Schadenszeitpunkt die Straßen- und Grundstücksentwässerung im Erschließungsgebiet noch nicht vorhanden bzw. noch nicht funktionstüchtig. Derartige Unvollständigkeiten – so der BGH – lägen in der Natur der Sache und ließen sich der Beklagten darum grundsätzlich nicht zum Vorwurf machen. Dieses gelte unabhängig davon, inwieweit der im Neubaugelände aufkommende Niederschlag als Abwasser im Sinne der §§ 18 a WHG, 62 Sächsisches WG anzusehen sei. Es könne sich somit nur darum handeln, ob für das unmittelbar an das Baugebiet angrenzende Grundstück der Klägerin vorläufige Sicherungsmaßnahmen gegen Überschwemmungen geboten waren, wobei es sich aufgedrängt hätte, die schon existierenden Schutzvorkehrungen in Gestalt des Sicherungs-Erdwalls und des Wassergraben vor einem Anschluss der höher gelegenen Flächen an die Kanalisation der Beklagten nicht zu beseitigen.

In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass zum einen wegen der steilen Hanglage das Hausgrundstück der Kläger ohnehin bei stärkeren Niederschlägen von Überflutungen bedroht gewesen sei. Zum anderen hätte die Beklagte – und dies vor allem begründet ihre besondere, nicht an den Grenzen des Erschließungsgebiets endende Verantwortung – durch ihre Erschließungsmaßnahmen diese Gefahr noch deutlich vergrößert. Mit der Abtragung von Mutterboden im geplanten Baugebiet, der einen Teil des Niederschlagswassers gebunden hätte, und der Versiegelung weiterer Flächen hätte die Gemeinde, wie auch das Berufungsgericht zutreffend festgestellt habe, den natürlichen Ablauf des wild abfließenden Wassers noch verstärkt.

Unbeachtlich sei in diesem Zusammenhang – so der BGH -, dass selbst die Aufrechterhaltung des Wassergrabens und des Erdwalls die Überschwemmung nicht verhindert hätte. Diesen Tatbestand hatte das Berufungsgericht aufgrund eines eingeholten Gutachtens festgestellt. Denn nach der Rechtsprechung des BGH-Senats bestehe grundsätzlich eine allgemeine Amtspflicht der Gemeinde – auch gegenüber den betroffenen Grundstückseigentümern – die Wohngrundstücke eines Baugebiets im Rahmen des Zumutbaren (auch) vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können (BGH Z 140, 380, 388). Dieses gelte entsprechend für daran angrenzende Bereiche.

Die Geschäftsstelle weist ergänzend auf folgendes hin;

Das vorliegende BGH-Urteil vom 4. April 2002 (Az.: III ZR 70/01) verdeutlicht erneut, dass erhöhte Anforderungen an die Amtspflichten einer Gemeinde zur Verhinderung von Überschwemmungsschäden bestehen. In der Praxis ist zu beachten, dass eine allgemeine Amtspflicht besteht, sowohl Wohngrundstücke eines Baugebiets als auch angrenzende Bereiche im Rahmen des Zumutbaren vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können. Um Überschwemmungsgefahren wirksam zu begegnen, muss insbesondere die kommunale Regenwasserkanalisation von ihrer Kapazität bzw. Dimensionierung her ausreichend ausgelegt sein, d. h. mindestens auf einen fünf- bis zehnjährigen Berechnungsregen ausgelegt werden. Der Schutz von Anliegern ist nicht gewährleistet, wenn Leitungsanlagen so dimensioniert sind, dass sie im Extremfall hinnehmen müssen, einmal jährlich einer Überschwemmung ausgesetzt zu werden.

Ist einer Kommune aufgrund der topographischen Lage eines Wohngrundstücks und der Tatsache, dass es in der Vergangenheit in dem betreffenden Gebiet bereits zu einer Überschwemmung gekommen ist, bekannt, dass es sich um gefährdetes Baugebiet handelt, so ist spätestens im Zuge eines Baugenehmigungsverfahrens auf die Gefahren hinzuweisen, dass es bei besonders starken Regenfällen zu Wasseraustritten bzw. Überschwemmungen kommen kann. Im übrigen ist es angezeigt, gerade bei einer baulichen Veränderung der Abflussflächen für wild abfließenden Wasser im Zweifelsfall eine Ableitungsmöglichkeit zum Schutz der Baugrundstücke vorzusehen.

Az.: II/2 24-30 qu/g

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