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StGB NRW-Mitteilung 145/1996 vom 05.04.1996

Bürgerbegehren und Doppelspitze

Mit Beschluß vom 12.02.1996 - 15 B 134/96 - hat das OVG NW Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, die darauf gerichtet sind, an Stelle des Rates zu beschließen, erneut einen Gemeindedirektor zu wählen (Art. VII Abs. 5 Satz 2 Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung), also die sogenannte Doppelspitze bis zur Kommunalwahl 1999 fortzuführen. Ein Bürgerbegehren mit diesem Ziel war bereits vom Verwaltungsgericht Arnsberg, Beschluß vom 24.04.1995 - 12 L 787/95 -, für unzulässig erklärt worden; der Grund für die Unzulässigkeit lag allerdings in fehlenden Unterschriften. Ferner ist nach Informationen der Geschäftsstelle im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Aachen noch ein Bürgerbegehren zur Beibehaltung der Doppelspitze im Streit.

Der Entscheidung des OVG NW war ein Beschluß des VG Münster vom 10.01.1996 - 1 L 1439/95 - vorausgegangen, das bereits die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt hatte. Das VG Münster stützte seine Begründung auf § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO. Nach dieser Vorschrift sind Bürgerbegehren unzulässig, die eine Angelegenheit der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung betreffen. Nach Ansicht des VG wird die innere Organisation der Gemeindeverwaltung durch jede Entscheidung betroffen, die Regelungen in bezug auf die gemeindlichen Verwaltungsorgane und ihre inneren und äußeren Zuständigkeiten trifft. Dafür, daß der Gesetzgeber diesen Bereich auf die Organisation und Geschäftsverteilung habe beschränken wollen, gebe es keine Anhaltspunkte. Schließlich seien die Angelegenheiten mit kommunalverfassungsrechtlichen Bezug nicht von den Angelegenheiten der inneren Organisation abzugrenzen. Dies zugrunde gelegt, sei die Entscheidung über die Fortführung der Doppelspitze eine Angelegenheit der inneren Organsation der Gemeindeverwaltung und ein darauf gerichtetes Bürgerbegehren wegen § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO unzulässig.

Im folgenden wird der vorgenannte Beschluß des OVG NW vom 12.02.1996 - 15 B 134/96 -wiedergegeben:

Aus den Gründen: "Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. (...) Jedenfalls haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil das Bürgerbegehren unzulässig ist (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Allerdings ist zweifelhaft, ob dies deshalb gilt, weil die Entscheidung nach Art. VII Abs. 5 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung vom 17. Mai 1994 - KVerfÄndG - (GV NW Seite 270), nach dem Ausscheiden des Hauptverwaltungsbeamten erneut einen Gemeindedirektor zu wählen, eine dem Bürgerbegehren entzogene Frage der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung gemäß § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NW ist. Angesichts der Wortwahl, die den betroffenen Bereich durch die Begriffe "innere Organisation" und "Gemeindeverwaltung" eingrenzt, spricht viel dafür, daß er beschränkt ist auf die traditionellen Gegenstände der Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt, deren Ausübung bestimmt wird durch fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägung der Behördenleitung. Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, ordnungspolitische Erwägungen sprechen dafür, daß die innere Organisation der Gemeinde im Rahmen der Kommunalverfassung von den zuständigen Organen festzulegen sei. (Vgl. Landtagsdrucksache 11/4983, Seite 1, 8). Die Beibehaltung der sogenannten kommunalen Doppelspitze betrifft nicht die Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt, sondern stellt eine kommunalverfassungsrechtliche Grundentscheidung dar (Anmerkung der Geschäftsstelle: ebenso Rehn/Cronauge/von Lennep, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, § 26 GO Anm. VI.1).

Ähnlich werden wortgleiche Ausschlußtatbestände in anderen Gemeindeordnungen ausgelegt (vgl. Galette und andere, Gemeindeordnung, Kreisordnung/Amtsordnung, Gesetz über kommunale Zusammenarbeit für Schleswig-Holstein, Loseblattsammlung, § 16 g GO, Seite 250 a; Kunze/Schmid, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, 2. Auflage, § 21, Seite 194). Ob § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NW in dem oben beschriebenen Sinn eng auszulegen ist und deshalb dem Bürgerbegehren nicht entgegensteht, braucht nicht entschieden zu werden.

Hier ist ein Bürgerbegehren nämlich nach dem Überleitungsrecht in Art. VII Abs. 5 Satz 2 KVerfÄndG unzulässig. Allerdings schließt die Vorschrift nicht ausdrücklich ein Bürgerbegehren über die Beibehaltung der Doppelspitze aus. Dies folgt aber aus einer an der Systematik und dem Sinn und Zweck der Bestimmung orientierten Auslegung.

Die genannte Vorschrift weist die Entscheidung über die Beibehaltung der Doppelspitze dem Rat zu. Vor dem Zeitpunkt ihres Erlasses existierte das Institut des Bürgerbegehren noch nicht, vielmehr wurde es erst gleichzeitig mit dieser Norm in Art. I § 17 b KVerfÄndG geschaffen. Beide Normen traten gleichzeitig am 17. Oktober 1994 in Kraft (Art. I § 120, IX Abs. 1 KVerfÄndG).

Schon diese zeitgleiche Einführung der allgemeinen Regelung in der Gemeindeordnung und der speziellen Übergangsregelung läßt es wenig überzeugend erscheinen, daß die Festlegung der Zuständigkeit des Rates in Art. VII Abs. 5 Satz 2 KVerfÄndG ohne weiteres durch die allgemeine Regelung des Art. I § 17 b Abs. 1 KVerfÄndG, nach der anstelle des Rates auch die Bürger selbst entscheiden können, überlagert wird.

Dieses gesetzessystematische Bedenken wird verstärkt dadurch, daß es um eine Entscheidung geht, die den Eintritt einer gesetzlichen Automatik hindert, an Fristen gebunden und von einer qualifizierten Mehrheit abhängig ist. Nach Art. VII Abs. 5 Satz 4 KVerfÄndG ist nach dem Ausscheiden des Hauptverwaltungsbeamten binnen zwei Monate ein hauptamtlicher Bürgermeister zu wählen, es sei denn, der Rat faßt den Beschluß zur Wahl eines Gemeindedirektors. Das Gesetz sieht also als Regelfall den vorzeitigen Übergang zur neuen Gemeindeverfassung vor, der nur durch einen fristgebundenen Akt des Gemeinderates aufgehalten werden kann. Diese Fristgebundenheit legt es nahe, daß der Gesetzgeber allein das hinreichend rasch zur Beschlußfassung bereite Gemeindeorgan Rat zur Unterbrechung der Automatik ermächtigen wollte, denn das Bürgerentscheidverfahren mit seinen Verfahrensstufen des Bürgerbegehrens, der sich daran anschließenden Zulässigkeitsfeststellung und des dann binnen einer Frist von drei Monaten abzuhaltenden Bürgerentscheid ist so schwerfällig, daß mit ihm die zur Unterbrechung der Automatik einzuhaltende Frist vielfach kaum gewahrt werden kann. Schließlich hat der Gesetzgeber die formellen Anforderungen an den Ratsbeschluß dadurch heraufgesetzt, daß nicht - wie für den Regelfall gemäß §§ 49 Abs. 1, 50 Abs. 1 GO NW vorgesehen - die einfache Stimmenmehrheit ausreicht, sondern die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Ratsmitglieder erforderlich ist. Angesichts dieser sondergesetzlichen Erschwerung der Herbeiführung eines die Automatik des Übergangs zur neuen Gemeindeverfassung unterbrechenden Ratsbeschlusses und seiner Fristgebundenheit in Verbindung mit der zeitgleichen Einführung des Instituts des Bürgerbegehrens in die allgemeine Kommunalverfassung muß aus dem Schweigen des Gesetzgebers zur Möglichkeit eines des Ratsbeschluß nach Art. VII Abs. 5 Satz 2 KVerfÄndG ersetzenden Bürgerentscheids gefolgert werden, daß diese Vorschrift allein den Rat dazu ermächtigt, die vorläufige Beibehaltung der kommunalen Doppelspitze zu beschließen."

Az.: I/2 020-08-26

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