Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 808/2004 vom 12.10.2004

Beeinträchtigung angrenzender Wohngebiete durch ein Gewerbegebiet

Will der Plangeber durch eine Staffelung der Nutzung nach dem Abstandserlass sicherstellen, dass eine unzulässige Beeinträchtigung angrenzender Wohngebiete durch ein Gewerbegebiet ausgeschlossen ist, setzt dies eine hinreichende Ermittlung des relevanten Sachverhalts voraus.

Eine Vielzahl jeweils für sich genommen nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe muss in ihren Auswirkungen auf ein angrenzendes Wohngebiet bewertet werden; dies setzt eine hinreichende Sachverhaltsermittlung und vollständige Zusammenstellung des Abwägungsmaterials voraus.

OVG NRW, Beschluss vom 23.07.2004 - 10a B 1009/04.NE -.

Aus den Gründen:

Der Bebauungsplan Nr. 80.1 "Gewerbe- und Mischgebiet C." der Antragsgegnerin ist unwirksam, da er an Abwägungsmängeln leidet, die im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB erheblich sind. Der Plan genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB, wonach die öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander gerecht abzuwägen sind.

Die dem Bebauungsplan zu Grunde liegende Abwägungsentscheidung ist bereits deshalb fehlerhaft, weil sie nicht auf der Grundlage einer vollständigen und zutreffenden Ermittlung aller relevanten Fakten ergangen ist. …

Der Rat konnte vor diesem Hintergrund auch nicht davon ausgehen, dass die durch die Verwirklichung des Plans aufgeworfenen Probleme in den sich anschließenden Baugenehmigungsverfahren sicher zu bewältigen gewesen wären. Grundsätzlich hat jeder Bebauungsplan die von ihm geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte selbst zu lösen. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Dies schließt eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln zwar nicht zwingend aus. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung sind jedoch überschritten, wenn im Planungsstadium nicht wenigstens erkennbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt in einem nachfolgenden Verfahren sachgerecht wird lösen lassen. (Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.07.1994 - 4 NB 25.94 -, BRS 56 Nr. 6.)

So liegt es hier. Die Abwägungsentscheidung, keine aktiven oder passiven Schallschutzmaßnahmen festzusetzen, krankt daran, dass sie auf unzureichender Entscheidungsgrundlage getroffen worden ist. Zugleich wird – wenn die zum festgesetzten Mischgebiet gehörenden Grundstücke einmal bebaut sind und genutzt werden – unter Umständen keine oder jedenfalls keine hinreichend effiziente Möglichkeit mehr bestehen, Schallschutzmaßnahmen nachträglich zu verwirklichen, weil hierfür – etwa für die Anlage eines Schallschutzwalls – nicht mehr genügend Raum zur Verfügung stünde.

Der Rat der Antragsgegnerin war von einer genaueren Ermittlung der abwägungsrelevanten Fakten auch nicht deshalb entbunden, weil er möglicherweise bewusst nicht den Weg einer Festsetzung von Schallschutzmaßnahmen auf der Grundlage eines zuvor eingeholten Gutachtens gegangen ist, sondern durch die Festsetzung von Nutzungseinschränkungen in den ausgewiesenen Baugebieten in Anlehnung an den Abstandserlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 02.04.1998 (MBl. NRW S. 744) sicherstellen wollte, dass es nicht zu unzulässigen Immissionen im Wohngebiet L.-Straße kommen werde. Denn auch diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen abwägungsfehlerhaft.

Zum einen ist das von der Antragsgegnerin gewählte Regelungsmodell – das ihr grundsätzlich offen steht – nicht konsequent verwirklicht worden und ist schon deshalb nicht abwägungsfehlerfrei. Nach Ziffer 2.2.1. des Erlasses liegt dem Erlass zwar die Annahme zu Grunde, dass die vorgeschlagenen Abstandswerte die Einhaltung von Immissionsrichtwerten in angrenzenden reinen Wohngebieten sicher stellen können, so dass sich der oben genannte Ermittlungsfehler bei der Einstufung des Wohngebiets L.-Straße im Planaufstellungsverfahren insoweit möglicherweise nicht ausgewirkt haben könnte. Die Abstandswerte des Erlasses müssen jedoch nach Ziffer 2.2.2.3. des Erlasses an der geringsten Entfernung zwischen der emittierenden Anlage und der Begrenzungslinie von Wohngebieten gemessen werden. Hiervon abweichend liegt dem angegriffenen Plan die Vorstellung zu Grunde, die Werte müssten zwischen der emittierenden Anlage und der faktischen hinteren Baugrenze der Grundstücke entlang der L.-Straße eingehalten werden. Die durch den Plan verwirklichten Werte, die bis zur hinteren Baugrenze auf den Wohngrundstücken tatsächlich bei etwa 100m liegen werden, entsprechen daher nicht den Vorgaben des Erlasses, denn zwischen dem Gewerbegebiet GE 6 im Plangebiet und der Begrenzungslinie des Wohngebiets entlang der L.-Straße bis zu der Hausnummer 37 liegt lediglich ein Abstand von etwa 90m.

Zum anderen bedarf es auch dann, wenn der Plangeber die Einhaltung von Immissionswerten außerhalb des Plangebiets durch Festsetzungen in Anlehnung an den Abstandserlass sicher stellen möchte, einer vorherigen erschöpfenden Zusammenstellung aller abwägungsrelevanten Fakten. Auch in diesem Zusammenhang hätte also geklärt werden müssen, welchen Belastungen das Wohngebiet L.-Straße bisher ausgesetzt war und welche zusätzlichen Belastungen durch die gewerblichen Nutzungen in den neu festgesetzten Misch- und Gewerbegebieten hinzukommen könnten. Daran fehlt es – wie aufgezeigt – gänzlich. ...

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass bei überschlägiger Prüfung weitere Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des Bebauungsplans bestehen. Schließlich fehlt es - unabhängig von der Frage, ob der Ausschluss in der textlichen Festsetzung Ziffer 1.5. inhaltlich hinreichend bestimmt ist oder nicht - möglicherweise an einer zureichenden besonderen städtebaulichen Begründung für den Ausschluss von Einzelhandelsnutzungen mit ortskernbedeutsamen Sortimenten ohne Zusammenhang mit Produktionsstätten und Handwerksbetrieben. Die Planaufstellungsvorgänge enthalten hierzu lediglich einen Hinweis auf vorbereitende Untersuchungen für ein die Innenstadt von T. betreffendes Sanierungsverfahren und formulieren in pauschaler Weise das Ziel, den Nahversorgungsbereich im Zentrum T.–C. in seiner Funktion zu erhalten und weiterzuentwickeln. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass weitere Ermittlungen zur Klärung der abwägungsrelevanten Belange stattgefunden hätten. Unklar ist etwa, weshalb eine Zulassung der im Einzelnen ausgeschlossenen Sortimente im Plangebiet dazu führen würde, dass es zu Schädigungen in jenem Nahversorgungsbereich kommen wird; ebenso wenig wird deutlich, wieso dies für jegliche Form der aufgeführten Einzelhandelsarten gilt. Die Aufzählung des dem Einzelhandelserlass 1996 entnommenen Katalogs von Nutzungsarten vermag zwar möglicherweise die Bestimmtheit der Festsetzung sicherzustellen, ersetzt jedoch die erforderliche – konkrete – Abwägung nicht. Denn auch dem Erlass liegt die Annahme zu Grunde, dass das Anbieten der darin als zentrenrelevant bezeichneten Warensortimente regelmäßig nur dann negative Auswirkungen auf die Zentrenstruktur einer Gemeinde erwarten lässt, wenn es überdimensioniert an nicht integrierten Standorten erfolgt. (Vgl. OVG NRW, Urteil vom 09.10.2003 - 10a D 55/01.NE -, S. 23 des Urteilsabdrucks.)

Dies macht deutlich, dass eine präzisere Ermittlung der Situation, in die die textliche Festsetzung eingreifen wird, erforderlich ist. Aus den Planaufstellungsvorgängen geht jedoch nicht hervor, welche Strukturen der Nahversorgungsbereich T.-C. aufweist, welchen Gefährdungen er durch die Zulassung von Einzelhandelsbetrieben im Plangebiet ausgesetzt wäre und ob dies alle – ggf. welche – Warensortimente betrifft.

Az.: II/1 620-01

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