Mitteilungen - Jugend, Soziales, Gesundheit

StGB NRW-Mitteilung 263/1997 vom 20.05.1997

Aufenthaltsdauer abgelehnter Asylbewerber

Angesichts der Mitteilungen aus dem Kreis der Mitgliedskommunen über die - erheblich über den vom Gesetzgeber prognostizierten 4 Monaten liegende - tatsächliche Verweildauer unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber und der diesbezüglichen Feststellung des Verfassungsgerichtshofs im Urteil vom 09.12.1996 über die Verpflichtung des Gesetzgebers, die der Pauschalerstattung zugrunde liegende Prognosebasis an realistischen Erfahrungswerten auszurichten, hatte die Geschäftsstelle mit Schnellbrief vom 04.02.1997 eine Umfrage über die tatsächliche Verweildauer von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber durchgeführt. Mit dem Ergebnis dieser Erhebung, an der sich 250 Mitgliedskommunen beteiligt haben, hat sich der Städte- und Gemeindebund nunmehr an das Innenministerium NW, alle im Landtag vertretenen Fraktionen sowie den Ausschuß für Migrationsangelegenheiten und Innere Verwaltung gewandt. Die Auswertung der Umfrage sowie das Schreiben an das Innenministerium sind nachfolgend wiedergegeben. Allen Kommunen, die die Umfrage unterstützt haben, sei auf diesem Wege herzlich für ihre Mitarbeit und aufwendige Recherche gedankt.

Nordrhein-Westfälischer Städte- und Gemeindebund

U m f r a g e

über die tatsächliche Verweildauer unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber

(sog. 4-Monats-Fälle; §§ 2 Nr. 1, 4 Abs. 1, 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FlüAG)

Stichtag 31.12.1996

Teilnehmer: 250 Mitgliedsstädte und -gemeinden des NWStGB

   

A u s g a n g s s i t u a t i o n:

 
   

in den Kommunen untergebrachte unanfechtbar abgelehnte

18.449 Personen

= 100 %

Asylbewerber

 
   

A u s w e r t u n g:

 
   

weniger als 4 Monate Verweil-

8,6 %

dauer nach unanfechtbarer Ablehnung

= 1.599 Personen

mehr als 4 Monate Verweildauer nach unanfechtbarer Ablehnung

91,4 %

= 16.850 Personen

Verweildauer über 1 Jahr nach unanfechtbarer Ablehnung

70,7 %

= 13.028 Personen

Verweildauer über 2 Jahre nach

43,4 %

unanfechtbarer Ablehnung

= 7.999 Personen

   
   

durchschnittliche Verweildauer aller unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber nach unanfechtbarer Ablehnung

23,6 Monate

Sehr geehrter Herr Innenminister Kniola,

nach §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 Nr. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) erhalten die Gemeinden für die Versorgung und Unterbringung der ihnen vom Land zugewiesenen Asylbewerber eine Pauschalerstattung nur bis zu 4 Monaten nach deren unanfechtbarer Ablehnung. Nach Ablauf dieser Frist haben die Kommunen für alle Kosten alleine aufzukommen. Sie erhalten keine Landesmittel mehr, obwohl sie auf die Dauer des Aufenthaltes der Asylbewerber in den meisten Fällen keinen Einfluß haben, da sie als kreisangehörige Gemeinden in der Regel keine Ausländerbehörden unterhalten.

Infolge der Offenkundigkeit, daß die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern eine klassische staatliche Aufgabe ist, die keine Bezüge zur örtlichen Gemeinschaft aufweist, hat das Land mit der Inpflichtnahme der Gemeinden für diese Aufgabenwahrnehmung stets eine Kostenerstattung verbunden, so bereits in § 6 Abs. 4 Nr. 1 FlüAG vom 27. März 1984 (GVNW, S. 214), der eine Kostenerstattung zugunsten der Träger des Sozialhilfe vorsah.

Unstreitig ist, daß die Monatspauschale in Höhe von nunmehr 685,00 DM nicht ausreicht, um alle Kosten für die Unterbringung und Versorgung der aufzunehmenden Asylbewerber zu decken. Dies hat die Landesregierung in dem Verfassungsgerichtsbeschwerdeverfahren gegen das Ausführungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz und das Vierte Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (Urteil des Verfassungsgerichtshofs NW vom 09.12.1996) selbst eingestanden, als sie einräumte, "die Versorgungspauschale nach § 4 Abs. 1 FlüAG ... strebe allerdings eine Vollkostenerstattung nicht an, sondern belasse den Gemeinden einen durchschnittlich geringen Eigenanteil"(S. 12, 13 des Urteils). Im Hinblick auf die Funktion der Kostenpauschale, mit ihr sowohl die Kosten für die Unterbringung von leistungsberechtigten Flüchtlingen als auch die Kosten zur Deckung des notwendigen Bedarfs an Kleidung, Gesundheits- und Körperpflegemitteln, Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts sowie schließlich die Kosten zur Finanzierung der erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln aufzubringen, ist es nicht verwunderlich, daß die Kommunen zur Bewältigung dieser Aufgabenvielfalt Eigenmittel in erheblichem Umfang bereitstellen müssen.

Zwar hat der Verfassungsgerichtshof NW in der o.g. Entscheidung die Höhe der Kostenpauschale verfassungsrechtlich nicht beanstandet und dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum für die Regelung der Kostenerstattung eingeräumt, wonach er sowohl einen Eigenanteil der Gemeinde vorsehen als auch eine Pauschalierung vornehmen darf (S. 20 des Urteils). Die hierin bestehende Gefahr zur politischen Willkür hat der Verfassungsgerichtshof allerdings dadurch wirksam beschränkt, daß er zugleich die Grenzen für eine pauschale Kostenerstattung aufstellte. Er verpflichtete den Gesetzgeber dazu, die der Pauschalerstattung zugrunde liegende Prognose an realistischen Erfahrungswerten auszurichten. Im Hinblick auf die Beschränkung der Erstattung auf einen Zeitraum von bis zu 4 Monaten nach Ablehnung des Asylantrags gab der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber auf, "die in Rede stehende Regelung unter Kontrolle zu halten und die zugrunde liegende Prognosebasis (eine Abschiebung sei im Regelfall möglich) darauf zu überprüfen ..., ob sie sich in erheblicher Weise geändert hat" (S. 28, 29 des Urteils).

Bereits mit Schreiben vom 17.01.1997 haben der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund und der Nordrhein-Westfälische Städtetag die Landesregierung aufgefordert, die 4-monatige Befristung der Kostenerstattung für unanfechtbar abgelehnte Asylbewerber der tatsächlichen Verweildauer anzugleichen. In Ihrer Antwort vom März 1997 stellten Sie hierzu lediglich in Aussicht, den Auftrag des Verfassungsgerichtshofs mit der zur Mitte der Legislaturperiode beabsichtigten Überprüfung der Landeserstattung zu verbinden. Darüber hinaus vertraten Sie die Auffassung, daß ein längerfristiger Aufenthalt von Asylbewerbern nach Abschluß des Asylverfahrens keinen Einfluß auf die zeitliche Begrenzung der Landeserstattung auf 4 Monate nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags haben könne, soweit der Aufenthalt auf Gründen beruhe, die asylverfahrensunabhängig seien, d.h. nicht mehr im Zusammenhang mit dem bereits durchgeführten Asylverfahren stünden. Dem ist zu entgegnen, daß zum einen alle Aufenthaltsgründe im Anschluß an ein Asylverfahren asylverfahrensabhängig sind, denn nur aufgrund der Gewährung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Prüfung eines Asylgrundes kommt es regelmäßig zum Aufenthalt des Asylbewerbers. Zum anderen hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 09.12.1996 festgestellt, daß die Frage, aus welchen Gründen die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers nicht oder nur verspätet möglich ist, für die zeitliche Beschränkung der Landespauschale unbeachtlich ist (S. 28 des Urteils).

Um die Notwendigkeit der unverzüglichen Änderung der Landeserstattung mit statistisch zuverlässigen Zahlen zu belegen, hat der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund eine Umfrage über die tatsächliche Verweildauer unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber zum Stichtag 31.12.1996 durchgeführt. Das Ergebnis der Erhebung, an der sich 250 Mitgliedsstädte und -gemeinden beteiligt haben, bestätigt eindrucksvoll die bereits im Gerichtsverfahren erhobene Forderung der Beschwerdeführerinnen: Die insgesamt 18.449 erfaßten unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber verweilen durchschnittlich 23,6 Monate in den Aufnahmegemeinden nach ihrer unanfechtbaren Ablehnung. Nur 8,6 % (das sind 1.599 Asylbewerber von 18.449) halten sich weniger als 4 Monate nach ihrer Ablehnung in der Aufnahmegemeinde auf. Daraus ergibt sich, daß 91,4 % der abgelehnten Asylbewerber über den Zeitraum der Landeserstattung hinaus von den Gemeinden versorgt werden müssen. Erschreckend ist dabei, daß 70,7 % (13.028 Asylbewerber) länger als 1 Jahr in einer Gemeinde und 43,4 % (7.999 Asylbewerber) über 2 Jahre in den Kommunen aufhältig sind.

Die Erhebung zeigt, daß die Prognose des Landesgesetzgebers, eine Abschiebung sei im Regelfall im Zeitraum von 4 Monaten nach Ablehnung des Asylantrags möglich, völlig unrealistisch ist. Beteiligt sich das Land in diesem Zeitraum an der Kostenerstattung, so müssen die Kommunen einen fünfmal so langen Zeitraum völlig alleine finanzieren, obwohl es sich bei dieser Aufgabe um eine genuin staatliche Angelegenheit handelt. Alleine für die Gesamtheit der Kommunen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, bedeutet die Enthaltung des Landes einen Einnahmeverlust von mehr 220 Mio. DM. Pro Asylbewerber führt der Wegfall der Landespauschale zu einer Kostenbelastung von jährlich mehr als 8.000,00 DM. Bei einem Aufnahmesoll von z.B. 120 Asylbewerbern wird der Haushalt einer Kommune um fast 1 Mio. DM jährlich belastet.

Diese enorme Belastung kommunaler Haushalte macht eine unverzügliche Erweiterung der Befristungsregelung unabdingbar. Dies gebietet nicht nur der Respekt vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, sondern auch die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Landes, für eine ausreichende Finanzausstattung seiner Kommunen zu sorgen. Es kann nicht angehen, daß die Kommunen, die im Regelfall keinen Einfluß auf die Rückführung abgelehnter Asylbewerber haben, nicht nur eine der Höhe nach unzureichende Landeserstattung erhalten, sondern darüber hinaus bei der Dauer der Landeserstattung "im Regen" stehengelassen werden.

Angesichts dieser besorgniserregenden Situation fordert der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund den Landesgesetzgeber dringend zu einer baldigen verfassungsgemäßen Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes auf. Ein Aufschub bis zur Mitte der Legislaturperiode ist nicht vertretbar. Die Landeserstattung ist an die tatsächliche Verweildauer, mindestens aber an die durchschnittliche Verweildauer anzupassen, will sich das Land seiner Mitverantwortung für unsere ausländischen Gäste nicht entziehen.

Damit einhergehen muß eine Änderung der Zuweisungspraxis, deren Ziel es nur sein kann, bei der Zuteilung neuer Flüchtlinge die tatsächliche Verweildauer der bereits aufgenommenen Asylbewerber anzurechnen. Nur auf diese Weise läßt sich die Bildung von Überkapazitäten und damit verbundene Unterbringungsengpässe in den Kommunen vermeiden.

Das Innenministerium hat bereits bei der Verabschiedung des Fünften Änderungsgesetzes zum FlüAG Anfang diesen Jahres bewiesen, daß es in der Lage ist, die Umsetzung dringender Aufgaben zu beschleunigen. Der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund appeliert daher an Sie, Herr Innenminister Kniola, über die Landesregierung einen entsprechenden Änderungsantrag in das parlamentarische Verfahren einzubringen und dessen Beschluß zu fördern.

Az.: I/3-807-3

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