Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 676/2022 vom 07.11.2022

Vergaberecht: Nicht jede Vertragsverletzung ist ein zwingender Ausschlussgrund im Vergabeverfahren

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit Beschluss vom 13.06.2022 festgestellt, dass die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen dann eine schwere Verfehlung darstellen kann, wenn diese eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf.

In dem zugrundeliegenden Vergabeverfahren beabsichtigte die Auftraggeberin die Vergabe von Versorgungsleistungen für Asylsuchende in einer EU-weiten Ausschreibung. Die zweitplatzierte Bieterin rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung mit der Begründung, dass die erstplatzierte Bieterin wegen schwerer Verfehlungen hätte ausgeschlossen werden müssen.

Die Richter sahen jedoch keine Gründe für einen verpflichtenden Ausschluss vom Vergabeverfahren wegen einer schweren Verfehlung gemäß § 42 Abs. 1 VgV i. V. m. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Schwere Verfehlungen seien erhebliche Rechtsverstöße, die geeignet seien, die Zuverlässigkeit eines Bewerbers grundlegend in Frage zu stellen. Sie müssten nachweislich und schuldhaft begangen worden sein und erhebliche Auswirkungen haben. Nicht jede ordnungswidrige oder mangelhafte Erfüllung eines Vertrages stelle eine schwere Verfehlung dar.

Zudem müsse eine schwere Verfehlung bei wertender Betrachtung vom Gewicht her den zwingenden Ausschlussgründen des § 123 GWB zumindest nahekommen. Dies umfasse jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Unternehmens habe. Eine Verletzung vertraglicher Verpflichtungen könne zwar eine schwere Verfehlung darstellen, jedoch nur, wenn sie eine solche Intensität und Schwere aufweise, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln dürfe. Bei der Prüfung stehe dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum und auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen zu.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sei es aus Sicht der Richter in diesem Fall zweifelhaft, ob überhaupt eine schwere Verfehlung der Auftraggeberin bejaht werden könne. Jedenfalls sei die von ihr vorgenommene positive Prognoseentscheidung, nach welcher die erstplatzierte Bieterin die geschuldete Leistung vertragstreu erbringen werde, nicht zu beanstanden.

Anmerkung

Das Gericht stellt in seiner Entscheidung klar, dass eine nicht ordnungsgemäße, ungenaue oder mangelhafte Vertragserfüllung einen zwingenden Ausschlussgrund im Vergabeverfahren darstellen kann. Dies jedoch nur dann, wenn sie eine gewisse Intensität und Schwere aufweist. Da es sich bei der diesbezüglichen Prüfung um eine Bewertung mit prognostischem Charakter handelt, steht dem Auftraggeber insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Auch das dem Auftraggeber zustehende Ermessen ist nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar. Daher stellt nicht jede Vertragsverletzung einen zwingenden Ausschlussgrund im Vergabeverfahren dar. Es kommt insoweit auf eine sorgfältige Einzelfallprüfung und mithin auf eine sachgerechte Ermessensausübung an.

Az.: 21.1.4.2-004/001

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