Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 406/2002 vom 05.07.2002

Vergabefehler und Erschließungsbeitrag

Zur Erforderlichkeit des Erschließungsaufwandes entsprechend § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB bei Mängeln des Vergabeverfahrens, der Bauplanung, -ausführung und -überwachung sowie der Rechnungsprüfung.

OVG NRW, Urteil vom 23.1.2001 - 3 A 2373/93 -;

I. Instanz: VG Düsseldorf - 17 K 4349/88 -.

Die Kläger wendeten sich gegen die Festsetzung eines Erschließungsbeitrags für den H.-Weg und machten eine Vielzahl von Mängeln der Auftragsvergabe für den Straßenbau, der Bauplanung, der Bauausführung, der Bauüberwachung sowie der Rechnungsprüfung geltend. Das VG gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten wurde die Klage abgewiesen.

Aus den Gründen:

(...) Der festgesetzte Erschließungsbeitrag ist - jedenfalls nach der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Reduzierung - auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Zumindest in diesem Umfang halten die von dem Beklagten in den Erschließungsaufwand einbezogenen Kosten einer rechtlichen Überprüfung stand.

Gemäß § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Dieser umfaßt u.a. die Kosten für die Freilegung der Flächen für die Erschließungsanlagen wie auch die Kosten für ihre erstmalige Herstellung (§ 128 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB). Zum Erschließungsaufwand im Sinne dieser Bestimmung zählt nach der Rechtsprechung des BVerwG grundsätzlich nur derjenige Aufwand der Gemeinde, den sie im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe als Erschließungsträger aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtungen machen mußte.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 4.5.1979 - 4 C 16.76 -, Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 24 S. 16 (18) und vom 23.5.1980 - 4 C 69 und 70.77 -, Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 27 S. 24 (26).

Wie der Senat zuletzt in seinem Beschluß vom 30.9.1997 - vom Revisionsgericht unbeanstandet - ausgeführt hat, können im umlagefähigen Erschließungsaufwand im Einzelfall allerdings auch solche Aufwendungen enthalten sein, die durch Mängel im Vergabeverfahren verursacht worden sind oder die für tatsächlich technisch nicht erforderliche, nicht mängelfrei hergestellte, auf der Grundlage der Vertragsbeziehungen zwischen der Gemeinde und dem Bauunternehmer nicht abrechnungsfähige oder überhaupt nicht erbrachte Leistungen getätigt worden sind. Auf derartige Umstände kann sich der Beitragspflichtige dann nicht mit Erfolg berufen, wenn sich die Gemeinde bei ihrer Entscheidung, vom Bauunternehmer in Rechnung gestellte Einzelleistungen anzuerkennen und zu bezahlen, auch wenn möglicherweise vorhandene Minder- und Mängelleistungen zur Rechnungskürzung berechtigen könnten, innerhalb jenes Entscheidungsspielraums bewegt hat, der ihr im Rahmen der Pflicht zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung zur Verfügung steht und seine beitragsrechtliche Konkretisierung in § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB erfahren hat.

Danach können die Gemeinden Beiträge zur Deckung des Aufwandes für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage nur bei deren Erforderlichkeit erheben. Der Maßstab der Erforderlichkeit gilt unmittelbar, wenn es um die Erforderlichkeit der Erschließungsanlage (ob, wie und wann) geht, und entsprechend, wenn die Angemessenheit der für die erstmalige Herstellung aufgewandten Kosten in Frage steht. In beiden Anwendungsfällen ist der Gemeinde ein prinzipiell gleich weiter Entscheidungsspielraum zuzubilligen, dessen äußerste Grenze erst überschritten ist, wenn sich die Gemeinde ohne rechtfertigende Gründe nicht an das Gebot der Wirtschaftlichkeit gehalten hat und dadurch augenfällige Mehrkosten entstanden sind, d.h. wenn die Kosten für die Gemeinde in erkennbarer Weise eine grob unangemessene Höhe erreicht haben, also sachlich schlechthin unvertretbar sind.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14.12.1979 - 4 C 28.76 -, KStz 1980, 68, vom 13.12.1985 - 8 C 66.64 -, NVwZ 1986, 925, vom 10.11.1989 - 8 C 50.88 -, NVwZ 1990, 870, und vom 23.2.2000 - 11 C 3.99 - KStZ 2000, 213; vgl. ferner VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.11.1993 - 2 S 2623/89 -.

In Fällen der vorliegenden Art, in denen eine nicht vertragsgerechte, mängelbehaftete Herstellung der Erschließungsanlage in Rede steht, liegt die erste der genannten Voraussetzungen - Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes ohne rechtfertigende Gründe - jedenfalls dann nicht vor, wenn die Gemeinde die relevanten Sachverhalte hinreichend ermittelt und sodann im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums eine vertretbare Entscheidung darüber getroffen hat, ob und inwieweit sie Preisanpassungs- bzw. Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Bauunternehmer geltend macht. Soweit die Berechtigung derartiger Ansprüche auf Grundlage der Ergebnisse der Bauüberwachung und einer gegebenenfalls erfolgten Abnahme nicht hinreichend beurteilbar ist, kann die Gemeinde verpflichtet sein, weitere Aufklärungsmaßnahmen, etwa die Hinzuziehung eines Sachverständigen, zu ergreifen. Der Umfang dieser Ermittlungspflicht steht seinerseits unter dem Vorbehalt der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung mit der Folge, daß die Gemeinde auch insoweit einen Entscheidungsspielraum besitzt, in dessen Rahmen sie namentlich die Angemessenheit weiterer Aufklärungsversuche zu beurteilen hat. Die Vertretbarkeit der Entscheidung darüber, ob und inwieweit Rechnungskürzungen gegenüber dem Bauunternehmer vorgenommen werden, ist grundsätzlich anhand derjenigen Erkenntnisse zu beurteilen, die der Gemeinde zur Verfügung stehen, nachdem sie die von ihr als geboten erachtete und im zuvor beschriebenen Sinne hinreichende Sachverhaltsaufklärung zum Abschluß gebracht hat. Die auf dieser Erkenntnisgrundlage von der Gemeinde anzustellende Prognose, ob und inwieweit Preisanpassungs- bzw. Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Bauunternehmer mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können, wird dadurch, daß später womöglich weitere Umstände zu Tage treten, die eine andere Beurteilung gebieten könnten, weder fehlerhaft noch ist sie unter Einbeziehung dieser Umstände zu aktualisieren und ggf. zu ändern.

Vgl. insoweit allgemein zu Prognoseentscheidungen etwa: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rdn. 37 c.

Hiervon ausgehend bedarf es keiner abschließenden Klärung, inwiefern das Entstehen der Höhe nach voll ausgebildeter und danach unveränderlicher (sachlicher) Beitragspflichten eine (zusätzliche) zeitliche Begrenzung des maßgeblichen Erkenntnishorizontes ergibt,

vgl. zur Unveränderlichkeit einmal entstandener sachlicher Beitragspflichten: BVerwG, Urteil vom 22.8.1975 - IV C 11.73 - BVerwGE 49, 131; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl., § 15 Rdn. 22,

weil eine solche Betrachtung vorliegend zu keinem anderen Ergebnis führen würde: Sachliche Beitragspflichten können erst entstehen, wenn der umlagefähige Erschließungsaufwand für die Gemeinde berechenbar ist. Liegen alle sonstigen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten bereits vor (hier: im April 1993 mit der Zustimmung des Regierungspräsidenten zur Herstellung der Stichstraße), ist diese Bedingung in Fällen der vorliegend gegebenen Art zu dem Zeitpunkt erfüllt, in dem die Gemeinde ihre nach Maßgabe der vorstehenden Überlegungen ausreichende Sachverhaltsaufklärung zum Abschluß gebracht hat (hier: spätestens im Mai 1993 mit der Vorlage des Gutachtens von E. und B.). Denn von da an ist die Berechtigung von Rechnungskürzungen gegenüber dem Bauunternehmer beurteilbar und der umlagefähige Aufwand ermittlungsfähig.

Vgl. zur Berechenbarkeit des umlagefähigen Aufwandes als Voraussetzung für das Entstehen sachlicher Beitragspflichten: BVerwG, Urteil vom 22.8.1975 - IV C 11.73 -, a.a.O.; Driehaus, a.a.O., § 19 Rdn. 6 und 8 f.

Eine in Würdigung der bis dahin erkennbaren Umstände des Einzelfalles getroffene Entscheidung der Gemeinde, "unsichere" Preisanpassungs- und Gewährleistungsrechte mit Blick auf die (Kosten-)Risiken ihrer Durchsetzung nicht zu verfolgen, ist dabei regelmäßig durch ihren weiten Entscheidungsspielraum gedeckt und deshalb unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlich verstandener Erforderlichkeit des Erschließungsaufwandes nicht zu beanstanden. Unabhängig davon ist die durch § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB gezogene "äußerste Grenze" nicht schon überschritten, falls durch ein unwirtschaftliches Verhalten der Gemeinde Mehrkosten entstanden sind, sondern erst dann, wenn diese Mehrkosten augenfällig sind, d.h. für die Gemeinde erkennbar dazu geführt haben, daß der Erschließungsaufwand ihretwegen eine grob unangemessene Höhe erreicht hat.

Nach diesen Grundsätzen ist der in die Abrechnung eingestellte Erschließungsaufwand für den H.-Weg - jedenfalls nach der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 11.1.2001 vorgenommenen Reduzierung - nicht zu beanstanden. (wird ausgeführt)

Az.: II/1 643-00/1

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