Mitteilungen - Finanzen und Kommunalwirtschaft

StGB NRW-Mitteilung 298/2022 vom 09.05.2022

BVerfG: Windenergiebeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern im Grundsatz zulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2022 (Az.: 1 BvR 1187/17) entschieden, dass das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz – BüGembeteilG) ganz überwiegend mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ziel des Gesetzes ist es, durch Regelungen zur finanziellen Beteiligung von Bürgern bzw. Gemeinden die Akzeptanz zu verbessern und so den weiteren Ausbau der Windenergie an Land zu fördern. Aus kommunaler Sicht ist das Urteil zu begrüßen. Insbesondere die Feststellungen des Gerichts zur finanzverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abgabe geben wertvolle Hinweise für die rechtmäßige Gestaltung einer bundesgesetzlichen Regelung zur verpflichtenden finanziellen Beteiligung an Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Dies ist Gegenstand der Novellierung des EEG (Osterpaket), das sich aktuell in der parlamentarischen Beratung befindet.

Zum Sachverhalt:

Nach § 3 BüGembeteilG dürfen in Mecklenburg-Vorpommern Windenergieanlagen nur durch eine „Projektgesellschaft“ errichtet und betrieben werden, die ausschließlich der Erzeugung von Windenergie dient. Der Vorhabenträger hat gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BüGembeteilG den „Kaufberechtigten“ mindestens 20 Prozent der Anteile an der Projektgesellschaft anzubieten. Kaufberechtigt sind Personen, die in einer Entfernung von nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort des Windparks leben und diejenigen Gemeinden, auf deren Gebiet sich die Anlage befindet oder die nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort entfernt liegen. Der Vorhabenträger kann stattdessen als „wirtschaftliche Surrogate“ einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung den kaufberechtigten Gemeinden die jährliche Zahlung einer „Ausgleichsabgabe“ und den Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anbieten; die Höhe der Abgabe und die Verzinsung des Sparprodukts bemessen sich nach dem Ertrag der Projektgesellschaft. Zur Zahlung der Abgabe kommt es indes nur dann, wenn die Gemeinden auf eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der Projektgesellschaft verzichten (§ 10 Abs. 7 Satz 2 BüGembeteilG).

Nach § 4 Abs. 3 BüGembeteilG hat der Vorhabenträger unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder nach dem Gewinn einer Ausschreibung die kaufberechtigten Gemeinden im Einzelnen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten eines Anteilserwerbs zu informieren. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn der Vorhabenträger die Gemeinden nicht an der Projektgesellschaft beteiligen, sondern stattdessen die Zahlung der Abgabe anbieten will. In diesem Fall ist die Information der unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abzugebenden Erklärung über das Angebot zur Zahlung der Abgabe beizufügen (§ 10 Abs. 6 Satz 2 BüGembeteilG).

Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Windenergiebranche. Sie errichtet und betreibt regelmäßig Windenergieanlagen. Sie hat einen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für einen Windpark in Mecklenburg-Vorpommern gestellt, über den noch nicht entschieden wurde. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin unmittelbar Vorschriften des BüGembeteilG an und rügt eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) und der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG).

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die Abgabe ist keine Steuer im Sinne des Art. 105 GG. Das Gesetz trifft Vorkehrungen für eine Verwendung der Mittel aus der Abgabe allein zu dem Zweck, die Akzeptanz neuer Windenergieanlagen bei den Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinde zu verbessern. Für die in den standortnahen Gemeinden lebenden Personen soll durch die gesetzlich vorgegebene Verwendung der Abgabemittel konkret erfahrbar werden, dass die Erzeugung von Windenergie nicht nur Beeinträchtigungen der Landschaft mit sich bringt, sondern auch die örtliche Lebensqualität verbessert. Damit dient die Abgabe nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung nicht der Finanzierung gemeindlicher Aufgaben, sondern – wie auch die alternative Pflicht zur gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an der Projektgesellschaft – unmittelbar dem gemeinwohldienlichen Ausbau der Windenergie an Land. Mit dieser Zielsetzung unterfällt die Abgabe ebenfalls der Sachgesetzgebungskompetenz des „Energiewirtschaftsrechts“ nach Art 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.

Gesetzliche Pflichten zu einer bestimmten rechtsgeschäftlichen Nutzung bereits bestehender Rechtsformen und Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsrechts schaffen selbst kein zum „Recht der Wirtschaft“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gehörendes Gesellschaftsrecht, sondern sind kompetenzrechtlich entsprechend dem Zweck der Pflichten einzuordnen mit der Folge, dass dem Land die Gesetzgebungskompetenz eröffnet ist.

Der Ausbau erneuerbarer Energien dient dem Klimaschutzziel des Art. 20 a GG und dem Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels, weil mit dem dadurch CO2-emissionsfrei erzeugten Strom der Verbrauch fossiler Energieträger zur Stromgewinnung und in anderen Sektoren wie etwa Verkehr, Industrie und Gebäude verringert werden kann. Der Ausbau erneuerbarer Energien dient zugleich dem Gemeinwohlziel der Sicherung der Stromversorgung, weil er zur Deckung des infolge des Klimaschutzziels entstehenden Bedarfs an emissionsfrei erzeugtem Strom beiträgt und überdies die Abhängigkeit von Energieimporten verringert.

Der für die Abwägung mit gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen maßgeblichen Bedeutung einzelner Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und den Schutz der Grundrechte vor den Gefahren des Klimawandels kann nicht entgegengehalten werden, dass die einzelne Maßnahme für sich genommen im Vergleich zur global emittierten Gesamtmenge von CO2 geringfügig ist. Deren Bedeutung für den Klimaschutz und den Schutz der Grundrechte vor den Gefahren des Klimawandels sowie für die Sicherung der Stromversorgung hängt bei Maßnahmen der Länder oder Kommunen, insbesondere denen mit Pilotcharakter, auch von der Strommenge ab, die durch gleichartige Maßnahmen anderer Länder oder Gemeinden erzielt wird oder erzielt werden kann.

Anmerkung

Das Urteil bestätigt die Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände, dass die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern nicht durch die Vorschriften des EnWG oder EEG gesperrt ist und das BüGembeteilG somit auch der Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft zugeordnet werden kann. Damit ist der Weg auch für NRW frei, eine vergleichbare Landesregelung zu schaffen, sofern der Bund nicht zur Schaffung einer dem BüGembeteilG vergleichbaren einheitlichen bundessrechtlichen Regelung bereit sein sollte. Das BVerfG unterstützt zudem mit seinen Ausführungen, die Abgabe sei keine Steuer, die kommunale Argumentation im aktuellen Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung der entsprechenden Regelung in § 6 EEG. Die kommunalen Spitzenverbände fordern hier eine verpflichtende finanzielle Beteiligung der Kommunen an Windenergie- bzw. Photovoltaikanlagen und vertreten die Auffassung, dass dies auch finanzverfassungsrechtlich zulässig ist. Die Regelung fällt begrifflich nicht unter die Landesregelungen zum Kommunalfinanzausgleich und der dort aufgezählte Katalog an Steuern ist abschließend. Demzufolge verbleibt das Geld aus der Windenergie an Land und aus PV-Solarparks ausschließlich in den Gemeinden.

Az.: 28.6.9-002/008 we

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