Kommunen vor dem Ruin

Finanznot der NRW-Städte und Gemeinden gefährdet Standort Nordrhein-Westfalen - Verantwortung bei Land und Bund

StGB NRW-Pressemitteilung
Düsseldorf, 13.02.2002

Zu Beginn des Jahres 2002 stehen die Städte und Gemeinden in NRW durch den Einbruch der Steuereinnahmen, explodierende Ausgaben und den zusätzlichen Griff des Landes in die kommunale Finanzausgleichsmasse wieder mit dem Rücken zur Wand. Trotz jahrelanger konsequenter Sparpolitik, die zu einem gewaltigen Investitionsrückgang und einem Abbau von 46.000 Stellen geführt hat, öffnet sich die Schere zwischen sinkenden Einnahmen und explodierenden Ausgaben immer weiter. Die Kassen sind leergefegt. Allein 2002 hat sich der Fehlbetrag in den Verwaltungshaushalten mit rund 2,3 Mrd. € gegenüber 2000 (509 Mio. €) nahezu vervierfacht.

Eine Trendwende ist nicht in Sicht. "Selbst bei anziehender Konjunktur drohen den Kommunen in den kommenden Jahren massive Minder-Einnahmen aufgrund der Steuerreform", warnte heute in Düsseldorf der Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, Albert Leifert.
 
Mindereinnahmen nicht verkraftbar


Neben anderen zusätzlichen Belastungen wie der Förderung der privaten Altersvorsorge, der Erhöhung der Pendlerpauschale sowie des Kindergeldes litten die Kommunen insbesondere unter den Folgen der Steuerreform der Bundesregierung. Diese habe die Auswirkungen der Reform auf die großen Kapitalgesellschaften unterschätzt, so Leifert. Die Folgen sind katastrophal: Allein die Kommunen erleiden Verluste durch die Steuerreform in Höhe von rund 1,1 Mrd. €, die bis 2006 auf 1,7 Mrd. € jährlich ansteigen. Parallel müssen sie sich im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs in Höhe von 23 Prozent am Rückgang der Körperschaftsteuer in Nordrhein-Westfalen beteiligen. Deren Aufkommen ist von 3,1 Mrd. € Einnahmen im Jahr 2000 auf ein Minus von 1,7 Mrd. € (Steuer-Erstattung) zurückgegangen.

In dieser konfliktbelastenden Situation gibt es dramatische Einbrüche bei der Gewerbesteuer: in den ersten drei Quartalen 2001 um 465 Mio. €. Die Hauptlast der Gewerbesteuer trägt mittlerweile der standorttreue Mittelstand, der sich nicht mit Verlusten von zugekauften Unternehmen oder Investitionen im Ausland der Steuer entziehen kann.
 
Im Rahmen eines Sofort-Programms sind Korrekturen unabdingbar. Angesichts des rasanten Verfalls der Gewerbesteuer gibt es keine Rechtfertigung für die Abschöpfung vermeintlicher Gewerbesteuer-Mehreinnahmen durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer-Umlage um 50 Prozent - von bisher 20 Prozent auf 30 Prozent. Die Umlage muss gesenkt werden. Nicht Zuwachs, sondern dramatische Einbrüche kennzeichnen die Realität. Das Aufkommen der Gewerbesteuer 2001 und 2002 fällt bundesweit um fast 10 Mrd. € niedriger aus, als die Bundesregierung im Gesetzgebung-Verfahren zur Steuerreform 2000 vorausgesagt hatte.
 
Rückgang der kommunalen Investitionen

Ansonsten würde - so die Prognose Leiferts - die Investitionskraft der Kommunen vollends zerstört. Viele Kommunen müssten bereits heute laufende Ausgaben mit Krediten finanzieren. Ihre Pflichtaufgaben könnten sie kaum mehr erfüllen. Der Spielraum für Investitionen wird immer enger. Die Sanierung von Straßen, Infrastruktur, Schulen, Bibliotheken und Kindergärten muss aufgeschoben werden. Ausgaben für Sport und Kultur werden ebenso zusammengestrichen wie Zuschüsse an Vereine und soziale Initiativen. Gleichzeitig geht der Personalabbau weiter, was wiederum den Arbeitsmarkt belastet.

Ein Vergleich mit den Sozialleistungen verdeutlicht die dramatische Entwicklung. Während 1981 die Baumaßnahmen mit 4,1 Mrd. € deutlich über den Leistungen der Sozialhilfe (3,4 Mrd. €) lagen, wurden im Jahr 2000 für Bauprojekte nur noch 3 Mrd. €, für Sozialhilfe jedoch 8,2 Mrd. € ausgegeben.

Die Folgen für den Arbeitsmarkt und die mittelständische Wirtschaft sind katastrophal. Dies vor dem Hintergrund, dass zwei Drittel aller Investitionen der öffentlichen Hand von den Kommunen getätigt werden. Wenn man weiter bedenkt, dass steigende Arbeitslosenzahlen zwangsläufig zu steigenden Sozialhilfe-Ausgaben und noch weniger Steuereinnahmen führen - 100.000 Arbeitslose belasten die öffentlichen Kassen mit 2 Mrd. € - wird eines deutlich: vor allem die Sozialhilfe-Ausgaben zerstören die Investitionsfähigkeit der Kommunen.

Der Verfall der kommunalen Investitionen richtet großen gesamtwirtschaftlichen Schaden an. Es ist Aufgabe des Bundes, den Kommunen durch Finanzhilfen für Investitionen aus diesem Teufelskreis von steigenden Arbeitslosenzahlen, sinkenden Einnahmen, wachsenden Aufgaben und steigenden Defiziten herauszuhelfen. Zinsverbilligte Darlehen sind hierzu ungeeignet. Die Kommunen sind nicht in der Lage, die Zinsen in den Verwaltungshaushalten zu erwirtschaften.
 
Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik beläuft sich der kommunale Investitionsbedarf von 2002 bis 2009 bundesweit auf rund 550 Mrd. €. Um dies zu bewältigen, müsste das heutige Investitionsniveau um etwa 40 Prozent gesteigert werden. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
 
Kostenexplosion bei Sozialausgaben


Parallel zur wegbrechenden Einnahmeseite explodiert die Ausgabenseite. Die Entlastungseffekte bei der Pflegeversicherung sind durch Ausgaben in anderen sozialen Bereichen aufgezehrt. Die begrenzten Pflegesätze, die steigende Lebenserwartung der Menschen und die Verschiebung der Altersstruktur – Deutschland ist eines der Länder mit der stärksten Alterung auf der Welt – hat zur Folge, dass bereits heute 60 Prozent der Bezieher von Leistungen aus den Pflegekassen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Auch die Eingliederungshilfe für Behinderte ist zu einem für die kommunalen Familie nicht mehr tragbaren Kostenfaktor geworden.
 
Die Belastungen in Höhe von 2,3 Mrd. € jährlich sind mehr als ein Warnzeichen. Die Behindertenhilfe ist mangels kommunaler Steuerung-Möglichkeiten eine gesamtstaatliche Aufgabe. Sie muss aus dem BSHG herausgelöst und ein eigenständiges Leistungsrecht in die gemeinsame Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern überführt werden. Auch bei der Zuwanderung trifft die Last der Integration bislang vor allem die kommunale Ebene. Bund und Länder weigern sich, die erforderlichen Sprachkurse zu finanzieren.
 
Eine spürbare und dauerhafte Entlastung der kommunalen Sozialhaushalte setzt, so die Forderung Leiferts, neben einer Finanzierungsbeteiligung des Bundes eine Stärkung aller primären Sicherungssysteme - insbesondere des Familienleistungsausgleichs und der Leistungen der Arbeitslosenversicherung - voraus. Nur so kann verhindert werden, dass immer breitere Bevölkerungsschichten von der Sozialhilfe abhängig werden. Die Kommunen erwarten insoweit als kurzfristige Lösung ein eigenständiges Leistungsrecht für Langzeitarbeitslose in der Finanzverantwortung des Bundes statt der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie den Ausbau des Arbeitsmarktes für gering Qualifizierte.

Im Rahmen einer Reform des Bundessozialhilfegesetzes genauso notwendig ist eine Verwaltungsvereinfachung durch eine weitgehende Pauschalierung der Leistungen unter Aufgabe des Bedarfsdeckungsprinzips. Gleichzeitig muß das Subsidiaritätsprinzip wiederhergestellt werden.
 
Gemeindefinanzreform überfällig

"Ohne eine grundlegende Reform der Gemeindefinanzen besteht keine Aussicht auf Gesundung der kommunalen Finanzen", so Leifert. Bund und Land haben in den letzten Jahren durch Gesetze wiederholt kommunale Konsolidierungserfolge abgeschöpft. Der gewaltige Druck auf die öffentlichen Finanzen erfordert jedoch andere Konzepte. Nach 33 Jahren ist eine grundlegende Gemeindefinanzreform überfällig. Einnahmen und Aufgaben müssen neu verteilt werden. Neben der Einführung des strikten Konnexitätsprinzips ("Wer bestellt, der bezahlt") geht es auf der Einnahmeseite zuvörderst um eine Reform des Gemeindesteuersystems.
 
Im Mittelpunkt steht die von allen kommunalen Spitzenverbänden geforderte Modernisierung der Gewerbesteuer. Ziel ist es, über Einbeziehung der Freien Berufe die Gewerbesteuerlast gerechter zu verteilen, um so Handwerk und Mittelstand zu entlasten. Genauso dringlich ist die dauerhafte Reduzierung der Aufgaben- und Ausgabelast der Kommunen. Nur so kann die Ausgabeexplosion in den Bereichen Soziales, Jugend und Schule eingedämmt werden. Parallel hierzu muss der wirtschaftliche Aufschwung in Gang gesetzt werden. Er schafft Arbeitsplätze, steuerliches Wachstum und führt zu einer Entlastung der Haushalte der Kommunen. Deren Finanz - und Investitionskraft würde erhöht, eine der Voraussetzungen für mehr Wachstum und Wohlstand. Doch hierzu müssen grundlegende strukturelle Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Gesundheit, Rente und Bildung unverzüglich angepackt werden.

V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw      
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