Kommunen stehen vor dem finanziellen Kollaps

StGB NRW-Pressemitteilung
Düsseldorf, 05.09.1996

I. Katastrophale Verschlechterung der Kommunalfinanzen

Die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen stehen vor der größten finanziellen Herausforderung in der Nachkriegsgeschichte, erklärte heute der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Bürgermeister Reinhard Wilmbusse. Die in vielen Städten und Gemeinden bereits eingetretene krisenhafte Zuspitzung der kommunalen Finanznot gefährdet den Fortbestand der kommunalen Selbstverwaltung. Obwohl die Städte und Gemeinden seit Jahren einen harten Sparkurs fahren, den die Bürgerinnen und Bürger durch schmerzliche Leistungseinschränkungen im gesamten Aufgabenspektrum zu spüren bekommen, sieht sich eine große und wachsende Zahl von Städten und Gemeinden außerstande, die laufenden Personal-, Sach- und Sozialausgaben sowie den Schuldendienst aus laufenden Einnahmen zu decken.

Dies ist dramatisch vor dem Hintergrund, daß das Finanzierungsdefizit im Jahr 1995 um rd. 2 Mrd DM auf insgesamt 4,4 Mrd DM angestiegen ist. Bereits heute kann jede zweite Gemeinde keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen und mehr als ein Viertel aller Gemeinden ist gezwungen, Haushaltssicherungskonzepte aufzustellen. Innerhalb des kommunalen Gesamthaushalts hat sich besonders die Situation der kommunalen Verwaltungshaushalte 1995 dramatisch zugespitzt. Ihre Defizite haben sich mit 3,9 Mrd DM (1994: 1,4 Mrd DM) fast verdreifacht.

Die Ursachen für die vehemente Zuspitzung der Kommunalfinanzen in den letzten Jahren sind nach den Worten Wilmbusses im wesentlichen in

  • den wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen - allein seit 1993 (10,5 Mrd DM) verloren die Gemeinden rd. 1 Mrd DM -,
  • in der Stagnation bzw. rückläufigen Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer - im Vergleich zu 1993 (11,2 Mrd DM) wird der kommunale Anteil an der Lohn- und Einkommensteuer 1996 um rd. 500 Mio DM auf 10,7 Mrd DM zurückgehen -,
  • dem gleichzeitig weiterhin ungebremsten Anstieg der Sozialausgaben, die sich seit 1982 (7,0 Mrd DM) mehr als verdoppelt haben (1995: 18,4 Mrd DM),
  • den Solidarbeiträgen der Städte und Gemeinden zur Finanzierung der Deutschen Einheit (1996 knapp 2 Mrd DM und 1997 2,2 Mrd DM),
  • den hohen und steigenden Belastungen aus der Kreisumlage,
  • den besonderen kostenintensiven Anforderungen an Abwasserreinigung und Abfallbeseitigung und
  • den massiven Zusatzbelastungen der Kommunen durch Bund und Länder ohne finanziellen Ausgleich, insbesondere der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz

zu sehen.

II. Abwehr weiterer Verschlechterungen

Vor diesem Hintergrund richtete der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Bürgermeister Reinhard Wilmbusse, folgende Forderungen und Appelle an den Landtag und die Landesregierung NRW:

1. Gemeindefinanzierungsgesetz 1997/weitere Umsetzung des ifo-Gutachtens

Im Zuge des GFG 1997 sollen die Schlüsselzuweisungen um 2 v.H. (215,4 Mio DM) steigen. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Operation der negative Abrechnungsbetrag aus dem Jahr 1995 in Höhe von 193,7 Mio DM. Wird diese Abrechnung berücksichtigt, ergibt sich bei den Schlüsselzuweisungen eine minimale Steigerung von +0,2 % - praktisch eine Nullrunde. Entgegen der Festlegung in der Koalitionsvereinbarung ist also tatsächlich keine den Ausgaben des Landeshaushalts 1997 (+2,4 %) entsprechende Entwicklung der Schlüsselzuweisungen gegeben.

Weiter forderte Wilmbusse, die weitere Umsetzung der Empfehlungen des ifo-Gutachtens, die erneut zu einer massiven Umverteilung von Finanzmitteln führt, die einseitig zu Lasten des kreisangehörigen Raumes geht, zu stoppen und die bisherige Umsetzung mit der Folge rückgängig zu machen, daß für das GFG 1997 die Strukturen des GFG 1995 gelten. Diese Maßnahme hat zur Folge, daß die freiwerdenden Mittel der Anpassungshilfe in Höhe von 150 Mio DM und des Strukturfonds in Höhe von 50 Mio DM voll der Schlüsselmasse zugeschlagen werden. Somit wird zumindest die Negativwirkung aus der Abrechnung des Steuerverbundes aus dem Jahr 1995 im Zuge des Finanzausgleichs 1997 voll aufgefangen.

2. Jahressteuergesetz 1997/Reform der Gewerbesteuer

Mit großer Sorge stellte Wilmbusse fest, daß die im Jahressteuergesetz 1997 beabsichtigte Reform der Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie die geplante Rückführung des Solidaritätszuschlages durch Rückforderung von Umsatzsteueranteilen der Länder zu einer weiteren quantitativen und strukturellen Schwächung der Finanzausstattung führen wird. Falls die im Jahressteuergesetz 1997 vorgesehene Abschaffung der Vermögensteuer, die für das Land Nordrhein-Westfalen einen Steuereinnahmeverlust in Höhe von 2,2 Mrd DM zur Folge hat, umgesetzt werden sollte, wird der Druck auf das Land erhöht, zusätzliche Einschnitte im kommunalen Finanzausgleich vorzunehmen. „Rein faktisch sind die Städte und Gemeinden nicht in der Lage, weitere Kürzungen zu verkraften", so Wilmbusse.

Der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund vermißt in der von der Bundesregierung für den Herbst 1997 geplanten Unternehmenssteuerreform die erforderlichen Überlegungen für die dringend notwendige umfassende Gemeindefinanzreform. Aus Sicht der Städte und Gemeinden ist ein Ersatz der Gewerbekapitalsteuer durch eine unmittelbare Umsatzsteuerbeteiligung nur dann konsensfähig, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

- Eine Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer lehnen die Städte und Gemeinden strikt ab. Deshalb muß die verbleibende Gewerbesteuer und damit das Hebesatzrecht in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Ministerpräsidenten gegen eine weitere Aushöhlung geschützt und verfassungsrechtlich „wasserdicht" abgesichert werden.

  • Eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kommt für die Städte und Gemeinden nur bei Ersatz durch eine unmittelbare, nach einem orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssel zu verteilende Umsatzsteuerbeteiligung der Städte und Gemeinden in Betracht.
  • Der Verteilungsschlüssel ist an dem Ziel zu orientieren, eine spürbare Steuerkraftverbesserung bei den strukturschwachen Städten und Gemeinden zu erreichen.
  • Verluste, die bei einem Teil der Städte und Gemeinden entstehen, müssen sowohl in der Übergangszeit als auch nach Inkrafttreten des endgültigen Verteilungsschlüssels ausgeglichen werden. Dieser Verlustausgleich macht über die gewerbesteuerlichen Mindereinnahmen hinaus höhere Einnahmen der Städte und Gemeinden aus dem Umsatzsteueranteil erforderlich.

Für die auch von der Mehrheit der Länder präferierte Revitalisierung der Gewerbesteuer bekräftigt der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund die Notwendigkeit,

  • der Tendenz zur Großbetriebsteuer durch Ausweitung der Gewerbesteuerpflicht für alle Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts zu begegnen und
  • die Lohnsumme in die Bemessungsgrundlage einer zu revitalisierenden Gewerbesteuer einzubeziehen.

3. Keine Leistungsgesetze ohne solide Finanzvorschläge und ausreichenden Kostenersatz

Ca. 80 % der Bundesgesetze sowie fast 90 % der Landesgesetze werden auf der kommunalen Ebene ausgeführt. Die entsprechenden Aufgabenzuweisungen durch Bundes- bzw. Landesgesetze enthalten jedoch in aller Regel keine auch nur annähernd ausreichende Kostenerstattung durch Bund und Land. Typische Beispiele für diese kommunalfeindliche Praxis sind

  • die Finanzierung der Versorgung von Flüchtlingen, Bürgerkriegsflüchtlingen und Aussiedlern,
  • die Kosten der Leistungen der Hilfe zur Pflege,
  • die Kosten der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz und
  • die geplanten Veränderungen bei der Arbeitslosenhilfe bzw. die jetzt schon bestehende Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit.

Die Kostenverlagerungen vom Bund und Land auf die Gemeinden müssen unverzüglich gestoppt werden. Sie zerstören die Finanzautonomie der Gemeinden und machen den Erfolg ihrer langjährigen Konsolidierungsbemühungen zunichte. Notwendig ist deshalb eine Strukturreform in der Finanzverfassung nach dem Prinzip: „Wer bestellt, bezahlt."

4. Abbau und Reduzierung von Standards

Eine stringente Konsolidierungs- und Sparpolitik der Kommunen stößt an vielfältige rechtliche Grenzen. Das Land muß den Kommunen endlich erlauben, mit weniger Bürokratie und weniger Gesetzen die notwendige Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Die Gemeinden sind nicht mehr länger bereit hinzunehmen, daß durch Vorgaben und Entscheidungen des Landes die Gebühren- und Steuerbelastungen für unsere Bürgerinnen und Bürger steigen.

Um sicherzustellen, daß künftig keine weiteren kostentreibenden Standards in die Welt gesetzt werden, sollten sich Landtag und Landesregierung verpflichten, neue Standards nur noch im Einvernehmen mit den Vertretern der Kommunen zu schaffen. Bei allen künftigen Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtssetzungen, die Kommunen betreffen, sollten substantiierte Kostenfolgennachweise vorgelegt werden. Wilmbusse begrüßte in diesem Zusammenhang, daß auf Landesebene eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung kommunaler Leistungsgesetze mit dem Ziel einer Kostenreduzierung für die Kommunen eingesetzt worden ist.

5. Verwaltungsstrukturreform

Die Verwaltungsstrukturreform im Rahmen einer umfassenden Aufgabenkritik ist auf allen Ebenen weiter engagiert voranzutreiben. Bestehende Strukturen müssen vorurteilslos auf den Prüfstand gestellt werden. Hiervon ausgehend sind die Verwaltungsstrukturen insbesondere in der sog. Mittelebene in Frage zu stellen. Die dort derzeit herrschende Vielfalt der Aufgabenträger verhindert eine effektive und effiziente Aufgabenerfüllung.

Zur Verwaltungsstrukturreform gehört auch die Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung in eine Hand. Die Städte und Gemeinden fordern insbesondere, daß

- die Zuständigkeiten im Bereich der überörtlichen Sozialhilfe auf die jeweiligen kreisfreien Städte und Kreise übertragen werden und das Land durch eine Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes die Möglichkeit des § 100 Abs. 1 Nr. 1 nutzt, indem insbesondere die sachliche Zuständigkeit für die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen von den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe auf die örtlichen Träger der Sozialhilfe verlagert und

  • schrittweise die Kostenträgerschaft für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie
  • die Verantwortung für Kindergärten und ähnliche Einrichtungen auf die kreisangehörigen Gemeinden übertragen werden.

6. Wahrnehmung der kommunalen Interessen durch das Land gegenüber dem Bund

Die Städte und Gemeinden erwarten vom Land Nordrhein-Westfalen, sich im Bundesrat gegenüber dem Bund aktiv für die kommunalen Interessen einzusetzen und eine Gesetzgebung zu Lasten der Kommunen zu verhindern, wie z. B. die geplante Reform des Arbeitsförderungsgesetzes, die Reform der Gewerbesteuer und die beabsichtigte Verschärfung der Anforderungen in § 7 a Wasserhaushaltsgesetz.

V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw      
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