Schmalseitenprivileg

Das Schmalseitenprivileg kann weiterhin (vgl. § 6 Abs. 6 Satz 2 BauO NRW i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 9.11.1999, GV. NRW. S. 622) für ein Gebäude nicht in Anspruch genommen werden, das mit zwei Außenwänden an andere Gebäude oder an Nachbargrenzen gebaut wird.

OVG NRW, Beschluss vom 10.7.2000 - 7 B 869/00 -; 
I. Instanz: VG Minden - 1 L 452/00 -.

Aus den Gründen:
 
Die Baugenehmigung vom 4.1.2000 ermöglicht die Errichtung eines Gebäudes, das den nach § 6 BauO NRW erforderlichen Abstand zum Grundstück des Antragstellers nicht einhält. Vor einem Teilbereich der nördlichen Außenwand, und zwar dem als hinsichtlich seiner Nutzung mit "Lagerraum 5" gekennzeichneten Gebäudeteil steht die erforderliche Abstandfläche nur unter Inanspruchnahme des sog. Schmalseitenprivilegs zur Verfügung; für das Vorhaben kann das Schmalseitenprivileg jedoch nicht in Anspruch genommen werden.
 
Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW genügt vor zwei Außenwänden eines Gebäudes auf einer Länge von nicht mehr als 16 m als Tiefe der Abstandfläche die Hälfte der nach § 6 Abs. 5 Satz 1 erforderlichen Tiefe, jedoch mindestens 3 m (Schmalseitenprivileg). Wird ein Gebäude mit einer Außenwand jedoch an ein anderes Gebäude gebaut, gilt das Schmalseitenprivileg nur noch für eine Außenwand; wird ein Gebäude mit zwei Außenwänden an andere Gebäude gebaut, so ist das Schmalseitenprivileg nicht anzuwenden (vgl. § 6 Abs. 6 Satz 2 BauO NRW 1995). Aus der - vorbehaltlich der sich aus Art. 3 des Änderungsgesetzes vom 9.11.1999, GV. NRW. S. 622, oder § 90 Abs. 3 BauO NRW ergebenden Folgerungen - ab 1.6.2000 geltenden Neufassung des § 6 Abs. 6 Satz 2 BauO NRW ergibt sich nichts anderes. Dort ist zwar nach dem Wortlaut der Regelung nunmehr ausdrücklich nur noch der Fall erfasst, dass ein Gebäude mit einer Außenwand an ein anderes Gebäude (oder an eine Nachbargrenze) gebaut wird; dann gilt das Schmalseitenprivileg nur noch für eine (andere) Außenwand (vgl. § 6 Abs.6 Satz 2 BauO NRW n.F.).
 
Das Gesetz erwähnt den Fall des Gebäude- oder Grenzanbaus mit einer zweiten Außenwand des Vorhabens nicht mehr. Dass das Gesetz die den Anbau eines Gebäudes an gleich zwei andere Gebäude oder Nachbargrenzen betreffende Fallgruppe nicht mehr ausdrücklich erwähnt, hat jedoch ausschließlich sprachliche Gründe. § 6 Abs. 6 Sätze 1 und 2 BauO NRW enthalten eine abgestufte Ausnahmeregelung zum grundsätzlichen Erfordernis, die sich aus § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW ergebenden Abstandflächen vollen Umfangs einzuhalten. Er geht von dem Fall eines Gebäudes aus, das zu allen Seiten die vorgeschriebenen Abstandflächen freihält. Die Abstandflächen dürfen gegenüber zwei Gebäuden oder Grenzen um den durch § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW vorgegebenen beschränkten Umfang verkürzt werden. Das Ausmaß der nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW möglichen Unterschreitung grundsätzlich einzuhaltender Abstandflächen ist bereits dann eingeschränkt, wenn das Gebäude nicht nach allen Seiten die grundsätzlich geforderten Abstände einhält, nämlich zu einer Seite an ein Gebäude oder an eine Grenze angebaut wird.
 
Einer klarstellenden Regelung, dass in Fällen des Anbaus eines Vorhabens mit weiteren Außenwänden an andere Gebäude oder Nachbargrenzen nicht ebenfalls das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden darf, bedurfte es angesichts des Ausnahmecharakters der Privilegierungsvorschriften nicht. Die vorstehende Auslegung wird durch den Sinn der Vorschrift bestätigt. Sie will eine maßvolle, aber auf den festgelegten Anwendungsbereich beschränkte Bebauungsverdichtung ermöglichen. Diesem Gedanken widerspräche es, für den Fall des Anbaus an ein Gebäude oder an eine Grenze die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs auf eine Gebäudeaußenwand zu beschränken, bei Anbau an weitere Gebäude oder Grenzen die Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs jedoch weiterhin für möglich zu halten. Letztlich hätte eine dahingehende Gesetzesintention in den Gesetzesmaterialien Niederschlag finden müssen. Die Gesetzesmaterialien schweigen jedoch zu den Motiven der Gesetzesänderung, was nur so interpretiert werden kann, dass der Gesetzgeber der Änderung keine inhaltliche Bedeutung zugemessen hat.
 
Vgl. LT-Drucks. 12/3738, S. 70.
Da nach alledem für jede Außenwand, mit der ein Gebäude an eine andere Außenwand oder an eine Nachbargrenze angebaut wird, jeweils einmal die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs entfällt, kann der Beigeladene für das genehmigte Vorhaben das Schmalseitenprivileg nicht in Anspruch nehmen, denn das genehmigte Gebäude soll mit zwei Außenwänden an zwei Gebäude angebaut werden.
Bei dem genehmigten Vorhaben handelt es sich um ein Gebäude und nicht lediglich um die Erweiterung eines Gebäudes um einen unselbständigen Gebäudeteil, der selbst kein Gebäude ist. Ein Gebäude ist eine selbständig benutzbare, überdachte bauliche Anlage, die von Menschen betreten werden kann und geeignet oder bestimmt ist, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen, § 2 Abs. 2 BauO NRW. Das dem Beigeladenen genehmigte Vorhaben erfüllt diese Voraussetzungen. Insbesondere ist es auch nach dem ihm zugedachten Nutzungszweck selbständig benutzbar, ohne dass die selbständige Nutzbarkeit dadurch in Frage gestellt wird, dass der im neuen Gebäude vorgesehene Lagerraum 4 über eine Verbindungstür zum im vorhandenen Baukörper 5a eingerichteten Lagerraum 3 sowie über eine weitere Verbindungstür von der Arbeitshalle zum straßennah stehenden Haus 5 verfügt. Die Gebäudeeigenschaft wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Vorhaben sowohl mit dem Gebäude 5a als auch dem Gebäude 5 im Bereich des Anbaus eine gemeinsame Außenwand hat; die Außenwände der vorhandenen Gebäude werden durch den Anbau im Anbaubereich zugleich Außenwand des hinzutretenden Gebäudes.
 
Es spricht bei summarischer Prüfung ferner einiges dafür, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung mit den Antragsteller schützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts nicht vereinbar ist ... (wird ausgeführt)

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