Heft September 2011

Verfassungsbeschwerde gegen das GFG 2008

Die Verfassungsbeschwerde des Kreises Recklinghausen und der ihm angehörenden Städte Marl, Dorsten, Castrop-Rauxel, Gladbeck, Herten, Haltern am See, Datteln, Oer-Erkenschwick und Waltrop gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) 2008 ist erfolglos.

VerfGH NRW, Urteil vom 19.07.2011
- Az.: 32/08 -

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hatten die Beschwerdeführer geltend gemacht, die den Kommunen im Finanzausgleich 2008 insgesamt zugewiesenen Mittel seien unzureichend; außerdem verstießen die Kriterien für die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Kommunen gegen das Gleichbehandlungsgebot.

Der Verfassungsgerichtshof NRW hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Dem Gesetzgeber stehe ein weiter Gestaltungsspielraum zu, in welcher Art und in welchem Umfang er den gemeindlichen Anspruch auf angemessene Finanzausstattung erfülle und nach welchem System er ergänzend zu sonstigen kommunalen Einnahmen im Wege des Finanzausgleichs Finanzmittel auf die Kommunen verteile.

Der Umfang der im Finanzausgleich 2008 insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der den Kommunen nach Art. 79 Satz 2 der Landesverfassung - LV NRW - zu gewährende Finanzausgleich stehe unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes. Dessen Haushaltslage stelle sich jedoch wesentlich ungünstiger dar als die weiterhin sehr schwierige kommunale Haushaltssituation. Damit scheide auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Landes zur Aufnahme von Schulden im Interesse einer umfangreicheren kommunalen Finanzausstattung aus. Einer entsprechenden Verpflichtung stünden im Übrigen bereits die verfassungsrechtlichen Grenzen zusätzlicher Kreditaufnahme entgegen.

Mit Blick auf den Finanzausgleich sei das Land auch nicht verpflichtet, seine eigenen Ausgaben auf eventuelle Einsparpotentiale zu untersuchen und diese zu realisieren. Art. 79 Satz 2 LV NRW gewährleiste überdies keine absolute Untergrenze der kommunalen Finanzausstattung, die unabhängig von der Finanzkraft des Landes zu gewähren sei. Allerdings bleibe der Gesetzgeber gehalten, sich um eine möglichst realitätsnahe Ermittlung des Aufwands zur Erfüllung kommunaler Aufgaben zu bemühen; insbesondere müsse er auf erkennbare Belastungsverschiebungen im Bereich kommunaler Pflichtaufgaben reagieren.

Die vom Land im GFG 2008 zur Verfügung gestellten Finanzmittel seien auch verfassungskonform auf die einzelnen Kommunen verteilt worden. Insbesondere verstießen die Regelungen des GFG 2008 zur Berücksichtigung von Soziallasten nicht gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot.

Gemeinschaftsschule Finnentrop

Die Genehmigung der Errichtung der Gemeinschaftsschule Finnentrop setzt eine Änderung des Schulgesetzes voraus. Die Schulversuchsermächtigung im Schulgesetz ist hierfür keine ausreichende Rechtsgrundlage (nichtamtliche Leitsätze).

OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Juni 2011
- Az.: 19 B 478/11, 19 B 479/11 -

Die Errichtung der Gemeinschaftsschule „Perspektivschule Finnentrop“ setzt eine Änderung des Schulgesetzes voraus. Die Schulversuchsermächtigung in diesem Gesetz ist hierfür keine ausreichende Rechtsgrundlage. Das OVG hat damit die beiden Eilentscheidungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg von April bestätigt, das die Schule ebenfalls vorläufig gestoppt hatte. Es hatte damit Eilanträgen der beiden Nachbarstädte Attendorn und Lennestadt stattgegeben.

Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Genehmigung der Gemeinschaftsschule sei offensichtlich rechtswidrig. Wesensmerkmal eines Schulversuchs sei, dass er der Erprobung von Reformmaßnahmen diene. Die Schulverwaltung müsse einen Erprobungsbedarf darlegen, also eine Ungewissheit über die Eignung der Gemeinschaftsschule als einer neuen Schulform in Nordrhein-Westfalen, mit der längeres gemeinsames Lernen in der Sekundarstufe I ermöglicht und trotz des demografischen Wandels ein wohnortnahes Schulangebot gesichert werden solle. Lege man die Angaben der Schulverwaltung zugrunde, sei die Eignung der Gemeinschaftsschule zur Erreichung dieser Reformziele jedoch nicht zweifelhaft, sondern stehe bereits fest.

Das Schulministerium habe nachvollziehbar und schlüssig einen Bedarf für Änderungen des gegliederten Schulsystems dargelegt, nicht aber, inwiefern diese Reformen zuvor noch durch einen Schulversuch erprobt werden müssten. Im Gegenteil gehe das Ministerium selbst von der Eignung der Gemeinschaftsschule aus. In seinem „Leitfaden“ heiße es etwa, diese Schule sei „die Antwort“ auf die dort im Einzelnen beschriebenen Probleme. Auch sei nicht ersichtlich, dass das Ministerium die Erfahrungen mit Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen einbezogen habe. Es habe nicht erläutert, welcher Erprobungsbedarf in Nordrhein-Westfalen trotz der Erkenntnisse aus diesen Bundesländern noch bestehe.

Die Beschlüsse sind unanfechtbar.

Fehler des Finanzamts bei Gewerbesteuererhebung

Einer Gemeinde steht kein Schadensersatzanspruch gegen das Land wegen Fehlern des Finanzamts bei der Gewerbesteuererhebung zu (nichtamtlicher Leitsatz).

BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2011
- Az.: 9 C 4.10 -

Die Gemeinde hatte einen Gewerbesteuerbescheid über ca. 350.000 Euro gegen ein steuerpflichtiges Unternehmen aufheben müssen, weil das zuständige Finanzamt - auf Anregung des Finanzgerichts - den Gewerbesteuermessbescheid wegen eines Adressierungsfehlers für nichtig erklärt hatte. Die auf Ersatz des Gewerbesteuerausfalls gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zurückgewiesen.

Ein Anspruch ergebe sich nicht aus dem Rechtsinstitut der Folgenbeseitigung. Steuerrechtliche Vorschriften verliehen der Gemeinde gegenüber dem Finanzamt keinen Anspruch auf Erlass eines Gewerbesteuermessbescheides, weshalb auch ein Ersatzanspruch in Geld ausscheide. Diese Rechtslage verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Das den Gemeinden durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht werde nicht verletzt. Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG verbürge einer Gemeinde die Erträge aus der Gewerbesteuer, nicht die Steuer in einer bestimmten Höhe. Ein einem privatrechtlichen Auftragsverhältnis ähnliches öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis liege nicht vor, weil die Landesfinanzverwaltung mit ihrer Mitwirkung bei der Gewerbesteuererhebung eigene gesetzliche Kompetenzen ausübe.

Gebührenerhebung durch Dritte

Der Erlass eines Bescheides über die Erhebung der Schmutzwassergebühr ist hoheitliches Handeln und stellt einen zentralen Kernbereich des Aufgabengebietes „Abwasserbeseitigung“ dar. Zuständig für den Erlass von Gebührenbescheiden im Bereich der Abwasserbeseitigung ist grundsätzlich die Gemeinde (nichtamtliche Leitsätze).

VG Köln, Urteil vom 24. Mai 2011
- Az.: 14 K 1092/10 -

Allerdings könnten auch private Dritte unter bestimmten Voraussetzungen mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut werden. Hiernach kann aber nur eine Einschaltung als unselbstständiger Verwaltungshelfer in Betracht gezogen werden. In diesem Sinne zulässige Verwaltungshilfe liegt nach dem Urteil dann vor, wenn der Verwaltungshelfer nicht selbstständig handelt, sich seine Tätigkeit also auf die Vorbereitung und Unterstützung oder rein tatsächliche Durchführung der Verwaltungsaufgabe im Auftrag und nach Weisung der Behörde beschränkt. In diesem Rahmen üben Verwaltungshelfer keine Hoheitsgewalt aus, sondern operieren nur im Verwaltungsbinnenbereich, in dem sie private Dienstleistungen gegenüber der Verwaltung erbringen.

Da die zulässige Verwaltungshilfe weder die Organisationsstruktur noch die Aufgabenträgerschaft verändert, bedarf es für die Einschaltung privater Dritter als Verwaltungshelfer keiner gesetzlichen Grundlage. In Betracht kämen für den hier interessierenden Bereich der Gebührenerhebung etwa technische Maßnahmen, die der Aufgabenträger selbst nicht durchführen kann (Messungen, Anfertigungen von Luftbildern), oder Arbeitsprozesse, die mechanisch oder automatisiert ablaufen (beispielsweise der Druck und die Versendung von Schriftstücken).

Die Grenze der Verwaltungs- oder Erfüllungshilfe sei überschritten, wenn der Helfer eigenständig die vollständige Einzelveranlagung übernehme, d. h. Daten ermittelt, Satzungsnormen anwendet, rechtliche Tatbestände prüft und Bescheide - wenn auch in fremdem Namen - erlässt. Erst recht könne von einer bloßen Hilfstätigkeit keine Rede sein, wenn darüber hinaus praktisch die gesamte öffentliche Aufgabe von einem Dritten erfüllt werde. Entscheidend sei allein, dass die Gemeinde nach wie vor den Gebührenbescheid als Hoheitsakt erlässt. Insoweit reicht auch nicht, dass die Gemeinde in einem Geschäftsbesorgungsvertrag regelt, dass der Inhalt des Schmutzwasser-Gebührenbescheides mit ihm abzustimmen sei. Einer so verstandenen Abstimmung zwischen den Vertragsparteien unterliege dann insbesondere die Frage, wie die Bescheide aufgebaut seien und welche Positionen sie aufzuweisen hätten. Dass darüber hinaus eine inhaltliche Kontrolle durch die Gemeinde oder eine Unterrichtung über den zu erlassenen Abwasserbescheid im Einzelfall stattfindet, sei in dem zu entscheidenden Fall weder ersichtlich noch vorgetragen.

Die bloße Möglichkeit der Kontrolle und Einflussnahme auf die vom Verwaltungshelfer nach Maßgabe des Satzungsrechtes gefertigten Bescheide genüge nicht, um in der Festsetzung der Gebühren durch den Dritten eine Einzelfallentscheidung der beklagten Stadt zu sehen. Denn insoweit wäre der Dritte nicht als Verwaltungshelfer tätig, sondern vielmehr beauftragt, die Gebührenbescheide zu fertigen. Für ein solches generelles Mandat ist aber nach dem VG Köln eine formal gesetzliche Grundlage im KAG NRW erforderlich, weil die zugewiesene Aufgabe in Abweichung von der gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsregelung erledigt wird.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Kulturförderabgabe der Stadt Köln

Die von der Stadt Köln erhobene sog. Kulturförderabgabe ist dem Grunde nach rechtmäßig (nichtamtlicher Leitsatz).

VG Köln, Urteil vom 6. Juli 2011
- Az.: 24 K 6736/10 -

Mit der vom Rat der Stadt Köln im März 2010 beschlossenen Kulturförderabgabe werden seit dem 1. Oktober 2010 in Köln alle entgeltlichen Beherbergungen in Hotels, Gasthöfen, Pensionen, Privatzimmern, Jugendherbergen, Ferienwohnungen, Motels sowie auf Campingplätzen, Schiffen und ähnlichen Einrichtungen besteuert. Der Abgabensatz beträgt 5 Prozent des vom Gast für die Beherbergung aufgewendeten Betrages. Die Kulturförderabgabe wurde von der Stadt Köln als Maßnahme zur Verringerung des städtischen Haushaltsdefizits beschlossen. Sie ist von den Betreibern der Beherbergungsbetriebe zu zahlen, diese können die Kosten wiederum auf die Gäste abwälzen.

Die Klägerin betreibt ein Hotel in Köln. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2010 forderte die Stadt die Klägerin auf, für den Zeitraum vom 1. bis 6. Oktober 2010 eine Kulturförderabgabe in Höhe von 309,40 Euro zu zahlen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage und machte unter anderem geltend, der Stadt Köln fehle schon die rechtliche Kompetenz, eine derartige Abgabe zu erheben, weil die Abgabe mit der vom Bund erhobenen Umsatzsteuer vergleichbar sei. Zudem widerspreche die Kulturförderabgabe dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Sie sei darauf gerichtet, zum Teil den Vorteil abzuschöpfen, der den Beherbergungsbetrieben nach dem Willen des Bundesgesetzgebers durch eine Reduzierung der Umsatzsteuer zufließen sollte. Der Bund hatte durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz den Umsatzsteuersatz für Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben zum 1. Januar 2010 von 19 % auf 7 % reduziert.

Das VG Köln wies die Klage ab und stellte fest, dass die Stadt Köln weder landesrechtlich noch verfassungsrechtlich gehindert sei, die Kulturförderabgabe zu erheben. Sie sei eine zulässige örtliche Aufwandsteuer. Es handele sich bei ihr auch nicht um eine Art Umsatzsteuer, die nur vom Bund erhoben werden könne. Die Stadt sei auch nicht verpflichtet, beruflich veranlasste Übernachtungen generell von der Besteuerung auszunehmen. Die durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz des Bundes vorgenommene Reduzierung des Umsatzsteuersatzes für Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben stehe der Erhebung der Kulturförderabgabe nicht entgegen. Es verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz, dass die Abgabe nicht auch von anderen Betrieben erhoben werde, die aus dem Fremdenverkehr Nutzen zögen. Schließlich werde mit der Erhebung der Kulturförderabgabe nicht in unzulässiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit der Betreiber der Beherbergungsbetriebe eingegriffen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Gericht die Berufung zum OVG NRW zugelassen.

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