Heft November 2020

Rechtliche Grenzen der Sonntagsöffnung

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat am 23. und 24.09.2020 auf Antrag der Gewerkschaft ver.di Ladenöffnungsfreigaben für einen Sonntag in Kleve, Lage und Bünde außer Vollzug gesetzt und bei dieser Gelegenheit die bisherige Linie der Rechtsprechung ausdrücklich bekräftigt. Die Beschlüsse sind jeweils unanfechtbar.

OVG NRW, u.a. Beschluss vom 24.09.2020
- Az.: 4 B 1336/20.NE (Bünde) -

Über die Reichweite des verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutzes besteht seit Jahren Streit. Die Rechtsprechung hat sich in dieser Zeit mit der Vielzahl der vorgebrachten Argumente und Belange ausführlich auseinandergesetzt. Zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Urteil vom 22.06.2020 die vom OVG NRW anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Auslegung der neuen im Ladenöffnungsgesetz NRW geregelten Fallgruppen (Erhalt, Stärkung oder Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots oder zentraler Versorgungsbereiche, Belebung der Innenstädte oder Ortsteilzentren oder Steigerung der überörtlichen Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune als attraktiver und lebenswerter Standort) als jedenfalls nicht zu restriktiv bestätigt. Die zu Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen ergangene bisherige Rechtsprechung des OVG NRW hatte das BVerwG hingegen als zu großzügig gegenüber Kommunen und Handel und nicht in jeder Hinsicht verfassungskonform angesehen und korrigiert.

Allein innerhalb der kurzen Zeitspanne von Ende August 2020 bis zu den o.g. Beschlüssen hatte das OVG NRW wegen sonntäglicher Ladenöffnungen 15 ordnungsbehördliche Verordnungen von insgesamt 14 Städten und Gemeinden als verfassungsrechtlich nicht tragfähig verworfen (Lemgo, Bad Salzuflen, Kevelaer, Iserlohn, Bad Oeynhausen, Beckum, Meckenheim, Langerwehe, Leverkusen, Essen, Marl, Kleve, Lage und Bünde). Ganz überwiegend verstießen die Verordnungen, so das Gericht, gegen letztinstanzlich in Hauptsacheverfahren geklärte Maßstäbe über die Wahrung des verfassungsrechtlich geforderten Mindestniveaus des Sonntagsschutzes. Die Verordnungen würden mittlerweile in immer mehr Fällen trotz Kenntnis der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung erlassen. In weiteren Fällen der jüngsten Zeit seien zudem acht nichtige Verordnungen von sieben Städten und Gemeinden selbst aufgehoben oder deren Aufhebung zumindest angekündigt worden (Schwerte, Hövelhof, Neubeckum, Schleiden, Rheinbach, Krefeld und Meerbusch). Kürzlich eingegangen und noch anhängig seien Verfahren gegen jeweils mehrere Freigabeverordnungen für Essen, Duisburg, Warendorf, Gütersloh, Delbrück und Neuss.

In seiner Pressemitteilung vom 24.09.2020 stellt das OVG NRW ausdrücklich fest, der Rat der Stadt Bünde habe die Freigabeverordnung in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit nach letztinstanzlicher Rechtsprechung beschlossen und der Bürgermeister habe sie trotz Kenntnis seiner Beanstandungspflicht bekanntgemacht. Dies habe dem Gericht Anlass dazu gegeben darauf hinzuweisen, dass sich kommunale und staatliche Amtsträger an letztinstanzlich geklärte verfassungsrechtliche Grenzen, die auch unter Geltung des neuen Ladenöffnungsgesetzes NRW einzuhalten seien, zu orientieren hätten. Es entspreche nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn kommunale Verwaltungen immer neue Verordnungen in Kenntnis ihrer Verfassungswidrigkeit beschlössen und bisweilen sogar mehr oder weniger deutlich eine rechtzeitige gerichtliche Entscheidung, deren Ergebnis für sie absehbar ist, zu verhindern versuchten. Ebenso wenig entspreche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn das zuständige Landesministerium an einem Erlass festhalte, der fortlaufend weitere Städte und Gemeinden zu verfassungswidrigen Entscheidungen verleite und viele davon abhalte, offenkundig rechtswidrige Verordnungen von sich aus aufzuheben. Der Politik bleibe es unbenommen, die notwendigen Mehrheiten für eine Verfassungsänderung zu suchen, wenn sie die geklärte Verfassungsrechtslage weiterhin für unbefriedigend halte.

Anmerkung

Aus Sicht des Städte- und Gemeindebundes bleibt festzuhalten, dass sich die betroffenen Städte und Gemeinden in einem Dilemma befinden. Möchte man vor Ort - zumal in Zeiten der Corona-Pandemie - nachvollziehbarerweise nicht völlig darauf verzichten, die örtliche Wirtschaft mit Sonntagsöffnungen zu unterstützen, trifft man zugleich auf in der Praxis kaum mehr handhabbare rechtliche Maßstäbe, die die in gewissem Umfang unter den beteiligten Akteuren eigentlich gar nicht umstrittene Sonntagsöffnung faktisch unmöglich zu machen drohen. Wie die obige Darstellung zeigt, trifft das Prozessrisiko dennoch im Ergebnis allein die Kommunen. Der deutliche Apell des OVG NRW richtet sich damit in erster Linie an Landtag und Landesregierung, endlich für klare und verfassungssichere Maßstäbe zu sorgen - nicht nur im Interesse der Kommunen, sondern vor allem auch im Interesse der örtlichen Wirtschaft und des Sonntagsschutzes.

 

Aussetzung des Verbots sexueller Dienstleistungen

Mit Eilbeschluss hat das OVG NRW die Untersagung des Angebots von sexuellen Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in der Coronaschutzverordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das Gericht hat damit dem Antrag eines Unternehmens stattgegeben, das in Köln ein Erotik-Massagestudio betreibt.

OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2020
- Az.: 13 B 902/20.NE -

Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es sich in der gegenwärtigen Situation nicht mehr um eine notwendige Schutzmaßnahme handele, die die damit verbundenen Grundrechtseingriffe rechtfertige. Zwar sei das Infektionsgeschehen weiterhin dynamisch und der Erlass von Schutzmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung daher grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings habe der Verordnungsgeber mittlerweile weitgehende Lockerungen in nahezu allen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen zugelassen und begegne dem daraus resultierenden Infektionsrisiko im Grundsatz durch die Anordnung bestimmter Hygiene- und Infektionsschutzregeln. Angesichts dessen sei nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen nach wie vor ein vollständiger Ausschluss von Infektionsgefahren erforderlich sei.

Bei den regelmäßig auf zwei Personen beschränkten sexuellen Kontakten dürfte die Gefahr zahlloser Infektionsketten, auf deren Vermeidung es dem Verordnungsgeber offenbar ankomme, wohl nicht in gleichem Maße bestehen wie bei einigen der von ihm zugelassenen Veranstaltungen. Zu einer vom Land NRW angesprochenen erhöhten Atemaktivität und dem damit verbundenen vermehrten Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Aerosolen komme es gleichermaßen in Sportstätten, wo die Ausübung nicht-kontaktfreier Sportarten gestattet sei, und in Fitnessstudios. Es sei auch nicht ersichtlich, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen, die zum Teil durch eine ausgelassene Atmosphäre mit Musik, Tanz und dem Konsum alkoholischer Getränke geprägt seien und nach Angaben des Robert Koch-Instituts landesweit als Ursache größerer und kleinerer Ausbruchsgeschehen gelten würden. Den Infektionsgefahren bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen könne durch begleitende Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen begegnet werden. Dass Infektionsschutzkonzepte regelmäßig nicht umgesetzt werden könnten, sei nicht feststellbar.

Die Untersagung sexueller Dienstleistungen in der Coronaschutzverordnung sei in vollem Umfang vorläufig außer Vollzug zu setzen. Der festgestellte Mangel erfasse das Regelungskonzept des Verordnungsgebers in Gänze, weil er sexuelle Dienstleistungen, allein an die Tätigkeit anknüpfend, umfassend verbiete.

Zuvor hatte der Senat mit Beschluss vom 25.06.2020 - 13 B 800/20.NE - entschieden, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn der Verordnungsgeber die Erbringung von sexuellen Dienstleistungen, wie sie üblicherweise in Bordellen angeboten würden, untersage, um die Weiterverbreitung des Coronavirus einzudämmen. Mit Blick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens und das nunmehr bestehende Gesamtkonzept des Verordnungsgebers sei die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen aber aktuell nicht mehr gerechtfertigt. Der Beschluss ist unanfechtbar.

 

Rechtsschutz im Geltungsbereich einer Außenbereichssatzung

Das OVG NRW hat festgestellt, dass auch Eigentümer und Betriebsinhaber landwirtschaftlicher Grundstücke im Geltungsbereich einer Außenbereichssatzung (s. § 35 Abs. 6 BauGB) nicht befugt sind, die Satzung einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterziehen zu lassen.

OVG NRW, Urteil vom 05.04.2019
- Az.: 7 D 64/17 -

Der Eigentümer und Betriebsinhaber eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks wandte sich gegen eine Außenbereichssatzung, deren Geltungsbereich auch seine Betriebsgrundstücke umfasste. Mit diesem Planungsinstrument können Gemeinden die Zulässigkeit von Wohnbebauung und Ansiedlung kleinerer Handwerks- und Gewerbebetriebe im Außenbereich insoweit ermöglichen, als ihnen bestimmte Belange, wie beispielsweise anderslautende Ausweisungen im Flächennutzungsplan, nicht entgegengehalten werden können. Der Erlass einer Außenbereichssatzung ist jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft. So darf sich eine solche Satzung nur auf bereits bebaute Bereiche im Außenbereich erstrecken, die zum einen Wohnbebauung von einem Gewicht aufweisen müssen und zudem nicht mehr überwiegend durch Landwirtschaft geprägt sind. Der klagende Landwirt befürchtete, dass es durch heranrückende neue Wohnbebauung zu betrieblichen Einschränkungen kommt, da u.a. im Verfahren kein Geruchsgutachten eingeholt worden war.

Nach Meinung des OVG NRW sei der Normenkontrollantrag gegen eine Außenbereichssatzung zwar statthaft, allerdings fehle es an der daneben erforderlichen Antragsbefugnis. Weder aus dem Grundstückseigentum noch aus privaten oder betrieblichen Belangen könne eine Verletzung eigener Rechte abgeleitet werden. Eine Außenbereichssatzung habe ausschließlich eine positive, die Zulässigkeit bestimmter Vorhaben unterstützende, aber keine negative Wirkung für den einbezogenen Grundeigentümer.

Die Satzung beschränke nicht die Nutzungsbefugnisse für das Grundstück. Sie lasse die Anwendbarkeit von § 35 Abs. 1 BauGB für privilegierte Vorhaben unberührt. Nur bestimmte öffentliche Belange würden als Genehmigungshindernis ausgeschlossen. Andere, auch private oder betriebliche Belange seien von der Satzung nicht betroffen und daher regelmäßig nicht in die Abwägung zu einem Satzungsbeschluss einzustellen. Sie seien im Rahmen nachgelagerter Genehmigungsverfahren zu prüfen.

Für Außenbereichssatzungen nach § 35 Abs. 6 BauGB kommt es damit zu einem recht kuriosen Ergebnis: Normenkontrollverfahren gegen diese Satzungen sind zwar einerseits statthaft, es wird jedoch andererseits in jeder denkbaren Konstellation an der Antragsbefugnis fehlen, so dass Normenkontrollanträge aus diesem Grund stets unzulässig bleiben müssen. Der Rechtsschutz gegen Außenbereichssatzungen ist damit praktisch entfallen. Gleiches dürfte für Innenbereichssatzungen nach § 34 Abs. 4 BauGB gelten.

Für die betroffenen Eigentümer und Betriebsinhaber wird dadurch der Rechtsschutz eingeschränkt. Sie werden darauf verwiesen, gegen eine heranrückende Wohnbebauung in jedem Einzelfall vorzugehen. Dabei wird jedoch nicht mehr geprüft, ob die Außenbereichssatzung als solche rechtmäßig ergangen ist. Mit Blick auf das Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gibt es insoweit ein Spannungsverhältnis. Für die planende Gemeinde und neue Bauprojekte erhöhen sich auf Basis der Entscheidung allerdings die Rechts- und die Investitionssicherheit signifikant, da eine gerichtliche Kontrolle der strengen gesetzlichen Voraussetzungen de facto nicht stattfindet.

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