Heft November 2014

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches sind derzeit noch verfassungsgemäß. Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, werden im Ergebnis nicht verfehlt (nichtamtliche Leitsätze).

BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - Az.: 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 -

Gegenstand der Verfahren sind die Regelbedarfsleistungen für Alleinstehende, für zusammenlebende Volljährige, für Kinder bis zu 6 Jahren sowie für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Das Grundgesetz garantiert in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieser Leistungsanspruch erstrecke sich nur auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Der Gesetzgeber müsse die entsprechenden Bedarfe der Hilfebedürftigen zeit- und realitätsgerecht erfassen. Er habe einen Entscheidungsspielraum sowohl bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse als auch bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Das Ergebnis seiner Einschätzungen müsse tragfähig begründbar sein. Die Verfassung schreibe zwar nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen ist, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss.

Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen; darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik. Entscheidend sei aber, dass die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden.

Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers entspreche eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht; es setze sich bei seiner Prüfung nicht an die Stelle des Gesetzgebers. Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz vor. Die Verfassung verlange nur, dass der existenzsichernde Bedarf tatsächlich gedeckt wird.

Nach diesen Maßstäben genügten die vorgelegten Vorschriften für den entscheidungserheblichen Zeitraum in der erforderlichen Gesamtschau noch den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG.

Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf lasse nicht erkennen, dass der existenzsichernde Bedarf evident nicht gedeckt wäre. Der Gesetzgeber berücksichtige nun für Kinder und Jugendliche auch Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben.

Selbst wenn die Leistungshöhe einer politischen Zielvorstellung entsprochen haben mag, sei dies für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar entspreche der für das Jahr 2011 ermittelte Regelbedarf der Stufe 1 mit 364 Euro exakt dem Betrag, der sich bei Fortschreibung des 2008 geltenden Regelsatzes ergeben hätte. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei jedoch allein entscheidend, dass die Leistungshöhe sich mit Hilfe verlässlicher Daten tragfähig begründen lässt und nicht auf schlicht gegriffenen Zahlen oder Schätzungen ins Blaue hinein beruht. Mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) stütze sich der Gesetzgeber auf geeignete empirische Daten.

Soweit der Gesetzgeber in einzelnen Punkten vom Statistikmodell abweiche, lasse sich die Höhe des Regelbedarfs nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung für den entscheidungserheblichen Zeitraum noch tragfähig begründen.

Die Vorgaben zur Fortschreibung der Regelbedarfe in den Jahren ohne Neuermittlung wichen nicht unvertretbar von den Strukturprinzipien der gewählten Ermittlungsmethode ab. Der Gesetzgeber habe tragfähig begründet, warum sich die Fortschreibung an die bundesdurchschnittliche Preis- und Lohnentwicklung anlehnt.

Beihilfe in finanziellen Härtefällen

Nordrhein-westfälische Beamte können in finanziellen Härtefällen Beihilfe auch für nicht verschreibungspflichtige, medizinisch notwendige Arzneimittel beanspruchen (nichtamtlicher Leitsatz).

OVG NRW, Urteile vom 12. September 2014 - Az.: 1 A 1601/13 und 1 A 1602/13 -

Geklagt hatten zwei Landesbeamte im Ruhestand, die in den Jahren 2008 bis 2010 hohe Beträge u.a. für von ihren Ärzten verordnete, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aufwendeten. Gegenüber dem Land machten sie das Vorliegen eines Härtefalls geltend und beanspruchten Beihilfeleistungen, soweit ihre Aufwendungen 1 Prozent ihres jeweiligen Vorjahreseinkommens überstiegen.

Das Land lehnte die Ansprüche ab, weil die beanspruchte Härtefallregelung im Landes-Beihilferecht nicht vorgesehen sei. In erster Instanz verpflichtete das Verwaltungsgericht das Land zur Gewährung von Beihilfeleistungen, soweit die Aufwendungen für ärztlich verordnete nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel 2 Prozent des jeweiligen Vorjahreseinkommens überstiegen; die weitergehende Klage blieb erfolglos. Die hiergegen ausschließlich von dem beklagten Land eingelegten Berufungen wies das OVG nunmehr zurück.

Die Beihilfenverordnung NRW (BVO NRW) schließe Beihilfen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zwar ausdrücklich aus, was grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe aber seit dem Jahr 2008 für das Bundesbeihilferecht mehrfach entschieden, dass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger, medizinisch notwendiger Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit nur dann rechtmäßig ist, wenn in finanziellen Härtefällen Beihilfe gezahlt werde.

Die Erforderlichkeit einer normativ festzulegenden Härtefallregelung ergebe sich aus der in Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Härtefälle liegen dem Bundesverwaltungsgericht vor, wenn Beamte mehr als 2 Prozent ihres Vorjahreseinkommens für die Behandlung von Erkrankungen aufwenden, bei chronisch Kranken liege die Grenze bei 1 Prozent des Vorjahreseinkommens.

Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der 1. Senat für die 2 Prozent-Grenze auf das nordrhein-westfälische Beihilferecht im Wesentlichen mit der Begründung übertragen, die Anforderungen der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht gälten in NRW ebenso wie im Bund. Das Beihilferecht des Landes genüge diesen Anforderungen nicht vollständig.

Das OVG hat die Revision gegen seine Urteile nicht zugelassen. Dagegen kann das Land Nichtzulassungsbeschwerde erheben.

Nichtzulassungs-Beschwerden zu Urteilen Bettensteuer

Das Bundesverwaltungsgericht hat von Kommunen eingelegte Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision gegen Urteile des Oberverwaltungsgerichts NRW zur so genannten kommunalen Bettensteuer zurückgewiesen.

BVerwG, Beschlüsse vom 20. August 2014 - Az.: 9 B 7.14, 9 B 8.14, 9 B 9.14, 9 B 10.14 -

Nach den Beschlüssen hatten die Beschwerden keinen Erfolg, weil der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukomme. Die Frage, „ob Steuerschuldner einer kommunalen sog. Bettensteuer auch der sein kann, der nicht sämtliche (subjektiven und objektiven) Tatbestandsmerkmale (hier: privater Charakter des Besuchs), an deren Vorliegen das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, in seiner Person selbst verwirklicht“, rechtfertige die Zulassung der Revision nicht, denn sie betreffe ausschließlich die Auslegung einer Norm des Landesrechts.

Das OVG NRW hatte § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG NW dahin ausgelegt, dass der Betreiber des Beherbergungsbetriebes nicht Schuldner, sondern allenfalls Entrichtungspflichtiger der genannten Steuer sein könne, da er nur zu einem Teil des steuerbegründenden Tatbestandes in einer besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung stehe. Der Verweis der landesrechtlichen Norm auf § 38 und § 43 AO stelle den erforderlichen Bundesrechtsbezug nicht her. Werde eine Vorschrift des Bundesrechts auf der Grundlage des Landesrechts herangezogen, um das Landesrecht zu ergänzen oder auszulegen, wird die Vorschrift Teil des Landesrechts und entzieht sich damit revisionsrechtlicher Überprüfung (Urteile vom 30. Januar 1996 - BVerwG 1 C 9.93).

Auch weiteren Begründungen für die Nichtzulassungsbeschwerden, vor allem mit Blick darauf, dass das OVG Schleswig (Beschluss vom 15. Februar 2012 - 4 MR 1/12 – NVwZ 2012, 771, und Urteil vom 7. Februar 2013 - 4 KN 1/12 - NVwZ-RR 2013, 816) oder auch das BVerwG (Urteil vom 11. Juli 2012 – BVerwG 9 CN 1.11 - BVerwGE 143, 301 = Buchholz 11 Art. 105 GG Nr. 51) den Begriff des Steuerschuldners möglicherweise anders ausgelegt oder angewandt habe und eine Verletzung des von Art. 28 Abs. 2 GG geschützten kommunalen Steuerfindungsrechts geltend gemacht werde, ist das BVerwG nicht gefolgt.

Deutschkenntnisse für Niederlassungs-Erlaubnis

Der Anspruch einer in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis setzt voraus, dass diese sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann (nichtamtlicher Leitsatz).

VG Münster, Urteil vom 21. Juli 2014 - Az.: 8 K 2769/13 (nicht rechtskräftig) -

Die 1960 geborene Klägerin reiste 1990 zum Zweck der Familienzusammenführung nach Deutschland ein und lebt jetzt mit ihrer Familie in Ahlen. 1993 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Anfang 2013 beantragte sie die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Diese lehnte der Kreis Warendorf mit der Begründung ab, die Klägerin habe nicht nachweisen können, über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu verfügen.

Demgegenüber hatte die Klägerin unter anderem geltend gemacht, in ihrem Fall sei das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 (C-138/13) anwendbar, wonach die deutschen ausländerrechtlichen Vorschriften gegen das Recht auf Freizügigkeit und Familienzusammenführung verstießen, soweit dem Ehegatten eines im Inland rechtmäßig wohnenden türkischen Staatsangehörigen ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur erteilt werde, wenn einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen seien. In ihrem Fall liege auch eine Härte vor, bei der von der Voraussetzung der ausreichenden Deutschkenntnisse abzusehen sei. Denn wegen ihres erheblich reduzierten Gesundheitszustands sei sie nicht in der Lage, einen Deutschkurs zu besuchen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage nunmehr abgewiesen. Die Niederlassungserlaubnis setze voraus, dass sich der Betreffende auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen könne. Dazu sei die Klägerin nicht in der Lage. Bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde im März 2014 habe sie einfache, an sie gerichtete Fragen nicht verstehen können. Von der Voraussetzung der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache könne hier auch nicht abgesehen werden. Die Klägerin sei trotz ihrer Erkrankung nicht außerstande, das Spracherfordernis zu erfüllen.

Das Erfordernis der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache sei auch mit dem Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen der früheren EWG und der Türkei vereinbar. Das Urteil des EuGH vom 10. Juli 2014 sei auf den Fall der Klägerin nicht zu übertragen. Das im Aufenthaltsgesetz normierte Spracherfordernis stelle keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, denn hierdurch werde das Recht, in jedem Ort in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, nicht tangiert.

Die Klägerin verfüge über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Sie halte sich seit mehr als zwanzig Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Nichterfüllung der sprachlichen Integrationsvoraussetzungen führe lediglich dazu, dass ihr eine Niederlassungserlaubnis, also eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, nicht erteilt werde. Damit würden ihr Aufenthalt und die Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden türkischen Ehemann in keiner Weise erschwert.

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