Heft Juli-August 2016

Rügerecht bei UVP-bezogenen Fehlern

  1. Die Bezugnahme auf § 61 Nr. 1 VwGO in § 4 Abs. 3 UmwRG eröffnet […] auch Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit grundsätzlich ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler.
  2. Den Gemeinden dürfte dabei nur insoweit ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler zustehen, als sie in ihrem Selbstverwaltungskreis, in Sonderheit in ihren Planungsinteressen, berührt werden; eine Verletzung ihrer materiellen Selbstverwaltungsrechte ist insoweit aber nicht Voraussetzung. (Leitsätze)

OVG NRW, Beschluss vom 18.12.2015
 - 8 B 400/15 -

Im Wege vorläufigen Rechtsschutzes hat das OVG die aufschiebende Wirkung einer gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung von vier Windenergieanlagen gerichteten Klage wiederhergestellt, weil die erforderliche Umweltverträglichkeits-Vorprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Ein erstinstanzlich anderslautender Beschluss des VG Köln wurde aufgehoben.

Unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, die das Gericht selbst als offen bezeichnet, ist der Beschluss wegen seiner Feststellungen zum gemeindlichen Rügerecht von Bedeutung. Im vorliegenden Fall bestehe die - im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes für einen Erfolg noch genügende - hinreichend konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt sind.

Die Verfahrensvorschriften der UVP-Richtlinie 2011/92/EU seien bei unionsrechtskonformer Auslegung als Schutznormen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu verstehen, berechtigten also zur Klage. § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räume den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein. Da die Richtlinie u. a. zur Festlegung von Verfahrensgarantien diene, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen, komme der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu.

Unter welchen Voraussetzungen auch die Gemeinden als Teil der mittelbaren, zum Teil mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Staatsverwaltung zur betroffenen Öffentlichkeit im vorgenannten Sinne gehörten, müsse der abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gelten dessen Absätze 1 und 2 aber auch für die Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO. Die Antragstellerin sei als Gemeinde eine juristische Person des öffentlichen Rechts und als solche nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig. Grundsätzlich eröffne die Bezugnahme auf § 61 Nr. 1 VwGO in § 4 Abs. 3 UmwRG damit jedenfalls auch Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler.

Es entspricht der OVG-Rechtsprechung, dass sich Kläger auf die fehlerhafte Durchführung der Vorprüfung unabhängig von der Verletzung in eigenen materiellen Rechten berufen können. Dies diene der prozessualen Durchsetzung der durch die UVP-Richtlinie begründeten Verfahrensrechte und damit letztlich der Sicherung einer zutreffenden Entscheidung in der Sache. Davon zu unterscheiden sei allerdings die Frage, ob die Gemeinden generell oder je nach dem Funktionskreis, in dem sie handeln, zur betroffenen Öffentlichkeit gehören. Ihnen dürfte nur insoweit ein Rügerecht zustehen, als sie in ihrem Selbstverwaltungskreis, in Sonderheit in ihren Planungsinteressen berührt würden, ohne dass jedoch eine Verletzung ihrer materiellen Selbstverwaltungsrechte Voraussetzung wäre. Dafür spreche, dass die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus sind und nur im Umfang des ihnen gewährten Selbstverwaltungsrechts diesem gegenüber verselbstständigt sind. Insoweit erkenne Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zwar die regionale und lokale Selbstverwaltung an; was hierunter zu verstehen sei und welche Rechte der lokalen Ebene zustünden, richte sich aber nach den Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten, hier also insbesondere nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
Davon ausgehend zählte das Gericht die Antragstellerin in der vorliegenden Fallkonstellation zumindest einstweilen zur betroffenen Öffentlichkeit.

Finanzausstattung der Gemeinde Havixbeck

  1. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen zur Verfassungsmäßigkeit des GFG 2011 entfalten keine Bindungswirkung im Hinblick auf die Prüfung eines Verstoßes der Vorschriften des GFG 2011 gegen Art. 28 Abs. 2 GG.
  2. Zum grundgesetzlichen Maßstab, an dem die Rechtsgrundlagen für die Festsetzung der Schlüsselzuweisung zu messen sind.
  3. Es kann in diesem Einzelfall nicht festgestellt werden, dass die der klagenden Gemeinde gewährte Schlüsselzuweisung im Haushaltsjahr 2011 den grundgesetzlichen Gewährleistungen des Rechts auf Selbstverwaltung nicht genügt.
  4. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur objektiven Darlegungs- und Beweislast obliegt die nähere Darlegung und Substantiierung der klagenden Gemeinde, weil die maßgeblichen Daten zur Finanzausstattung allein in ihre Sphäre fallen. (Leitsätze)

VG Münster, Urteil vom 19.04.2016
 - 1 K 1532/11 -

Mit ihrer Klage moniert eine NRW-Gemeinde die zu geringe Höhe der ihr im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gewährten Finanzausstattung. Das Land verstoße damit gegen die in Grundgesetz und Landesverfassung verankerte kommunale Finanzhoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 GG, Art. 78 LVerf NRW). Die Finanzhoheit garantiere den Kommunen eine Mindestfinanzausstattung, die nicht unter einem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes stehe.

Sie setze voraus, dass die Gemeinden ihre Pflichtaufgaben ohne Kreditfinanzierung erfüllen könnten und darüber hinaus noch über eine „freie Spitze“ für freiwillige Aufgaben verfügten. Dem würde das GFG 2011 in der Gesamtschau nicht gerecht, weil die Kommunen gerade keine „freie Spitze“ zur Verfügung hätten, um ihre freiwilligen Aufgaben zu finanzieren. Vielmehr müssten sie teilweise sogar ihre Pflichtaufgaben über Kredite finanzieren. Dies betreffe auch sie - die Klägerin - selbst. Im Jahr 2011 habe das Finanzierungsdefizit 1.388.000 Euro betragen, bei der Ergebnisrechnung habe sie sogar ein noch höheres Defizit aufgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hielt die Klage für unbegründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass die der Klägerin auf der gesetzlichen Grundlage nach §§ 2 bis 9 GFG 2011 gewährte Schlüsselzuweisung im Haushaltsjahr 2011 den grundgesetzlichen Gewährleistungen des Rechts auf Selbstverwaltung nicht genügt hätte. Dieses Ergebnis folge nicht schon aus einer Bindungswirkung der Entscheidungen, mit denen der VerfGH NRW die Verfassungsmäßigkeit des GFG 2011 festgestellt habe, sondern beruhe auf einer eigenständigen Prüfung des erkennenden Gerichts.

Grundsätzlich gewährleiste Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden das Recht auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. Das Urteil lässt allerdings offen, ob der gegen das Land gerichtete Anspruch der Kommunen eine verfassungsfeste finanzielle Mindestgarantie im Sinne eines abwägungsfesten Mindestpostens im öffentlichen Finanzwesen des jeweiligen Landes darstellt, der auch bei einer notleidenden Haushaltslage des Landes keiner weiteren Relativierung zugänglich ist, oder ob er unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes steht, mit der Folge, dass auch eine Mindestfinanzausstattung der Kommunen im Sinne einer „absoluten“ Untergrenze, die selbst bei einer extremen finanziellen Notlage des Landes nicht unterschritten werden dürfte, verfassungsrechtlich nicht verankert ist. Denn vorliegend lasse sich die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Schlüsselzuweisung im Haushaltsjahr 2011 auch unter der Annahme nicht feststellen, dass Art. 28 Abs. 2 GG eine abwägungsfeste finanzielle Mindestgarantie im vorstehenden Sinne gewährleiste.

Entscheidend ist für das Gericht letztlich, dass die Klägerin nicht substantiiert dargelegt habe - und es für das Gericht auch sonst nicht ersichtlich sei -, dass ihre Finanzausstattung oder die der Gemeinden insgesamt zur eigenverantwortlichen Erledigung der Selbstverwaltungsaufgaben nicht ausreichte oder ein Verstoß gegen das Gebot der Verteilungssymmetrie vorliege.

Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich aus öffentlich zugänglichen Quellen sogar Anhaltspunkte dafür ergeben könnten, dass selbst die Haushaltssicherungskommunen noch nicht alle gebotenen Konsolidierungsmaßnahmen ausgeschöpft hätten. Die Klägerin hätte nach Ansicht des Gerichts im Einzelnen darlegen müssen, dass sie die ihr obliegenden Aufgaben - gegebenenfalls nach einem Überdenken der Prioritäten - nicht mehr angemessen oder im erforderlichen Mindestmaß erfüllen kann bzw. dass dies für die Gemeinden insgesamt gelte.

Schulschließung ausgesetzt wegen Bürgerbegehren

Mit Blick auf den offenen Ausgang eines Bürgerentscheids bestehe kein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug einer Schließung zweier Schulnebenstandorte zwecks Planungssicherung. (Orientierungssatz)

VG Aachen, Beschluss vom 19.04.2016
 - 9 L 131/16 -

Im Dezember 2015 hatte der Rat der Stadt Heinsberg entschieden, zum Schuljahr 2016/2017 zwei Schulnebenstandorte zu schließen und den Unterricht stattdessen zentral an anderen Standorten durchzuführen. Zugleich war durch den Rat die sofortige Vollziehbarkeit des Beschlusses auch im Falle einer Klage angeordnet worden.

Im Juni 2016 wird ein Bürgerentscheid zu dem Bürgerbegehren stattfinden, dass die Standorte bis zum Ende des Schuljahres 2017/2018 geöffnet bleiben sollten.

Zudem wurden gegen den Beschluss des Rates drei Klagen erhoben, bei denen sich zunächst die Frage nach ihrer aufschiebenden Wirkung stellte. Im Eilverfahren entschied das Verwaltungsgericht Aachen dazu, dass ihnen aufschiebende Wirkung zukommt und damit der Beschluss des Rates nicht sofort vollziehbar ist.

Wie das Gericht ausführt, fließen in die Abwägung des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug mit dem privaten Interesse an einem Aufschub der Vollziehung Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, ein. Erweise sich dieser als offensichtlich rechtswidrig, bestehe keinesfalls ein öffentliches Interesse an seiner Durchsetzung.

Demgegenüber werde ein Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage regelmäßig abzulehnen sein, wenn von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auszugehen ist. Ansonsten komme es entscheidend auf die Abwägung zwischen dem für eine sofortige Vollziehung sprechenden öffentlichen Interesse einerseits und dem Interesse der Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an.

Nach der im Eilverfahren notwendigerweise nur summarischen Überprüfung lasse sich hinsichtlich der Schließungsentscheidung keine Offensichtlichkeitsbeurteilung treffen. Nach § 81 Abs. 2 S. 1 SchulG NRW beschließe der Schulträger die Auflösung einer Schule nach Maßgabe der Schulentwicklungsplanung. Ob die Schulentwicklungsplanung der Antragsgegnerin die Anforderungen des § 80 Abs. 5 SchulG NRW erfülle, könne im vorliegenden Verfahren allerdings dahinstehen, weil in dem für die Interessenabwägung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit Blick auf den derzeit offenen Ausgang des Bürgerentscheids kein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug zwecks Planungssicherung bestehe.

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