Heft Dezember 2018

Bemessungsgrundlage der Zweitwohnungsteuer

Eine kommunale Zweitwohnungsteuer darf auch in Ansehung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.2018 (1 BvL 11/14 u. a.) nach der Jahresrohmiete i. S. d. § 79 BewG, die zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 festgestellt oder geschätzt wurde und entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Bruttokaltmiete) nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet auf den Stand im Monat Januar 1995 und sodann entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Nettokaltmiete) nach dem Verbraucherpreisindex für Deutschland auf den Stand im Monat September des Vorjahres des Erhebungsjahres hochgerechnet wird, bemessen werden. (Amtlicher Leitsatz)

Niedersächsisches OVG, Urteil vom 20.06.2018
- Az.: 9 LB 124/17 -

Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch die Beklagte für das Jahr 2016. In ihrer Klage machen sie die Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Satzung geltend. Insbesondere verstoße es gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass bei der Bemessung der Jahresrohmiete auf eine Feststellung zum 01.01.1964 abgestellt werde, die hochgerechnet werde. Auch „innerhalb des Zweitwohnungseigentums“ könnten auf einem übermäßig langen Hauptfeststellungszeitraum beruhende Wertverzerrungen nicht uneingeschränkt hingenommen werden. Die Wertverhältnisse in einem Gemeindegebiet könnten sich deutlich unterschiedlich entwickeln.

Das Bundesverfassungsgericht habe sich in seinem Urteil vom 10. April 2018 (1 BvL 11/14 u. a.) mit der Frage befasst, ob die für die Erhebung der Grundsteuer maßgebliche Einheitsbewertung des Grundvermögens mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Es habe entschieden, dass die einschlägigen Bestimmungen des Bewertungsgesetzes, soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 01.01.2002 unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG seien. Dies habe zur Folge, dass auch der Steuermaßstab in der am 13.11.2017 beschlossenen Zweitwohnungsteuersatzung der Gemeinde Lindwedel gegen Art. 3 Abs. 1 verstoße, was zur Gesamtunwirksamkeit der Satzung führe. Übergangsfristen habe das Bundesverfassungsgericht nur für die Grundsteuer vorgesehen.

Diesem Vorbringen ist das OVG nicht gefolgt. Insbesondere rechtfertigte das von den Klägern angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.2018 (1 BvL 11/14 u. a.) keine abweichende Beurteilung. Es betreffe die Frage, ob die für die Erhebung der Grundsteuer maßgebliche Einheitsbewertung des Grundvermögens mit dem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Dabei gehe es vor allem um die Anknüpfung an die Wertverhältnisse von Anfang 1964 in den alten Ländern.

Während es bei den Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer aus den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts angeführten Umständen infolge des überlangen Hauptfeststellungszeitraums zu Wertverzerrungen gekommen sei, die bezogen auf den Verkehrswert von Grundstücken zu einem verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Realitätsverlust geführt haben, hätten § 5 Abs. 2 und 3 ZwStS im hier maßgeblichen Gebiet der Gemeinde Lindwedel nicht wegen des überlangen Hauptfeststellungszeitraums eine nicht mehr hinnehmbare Verzerrung bezogen auf den ohnehin nur pauschal erfassbaren Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung zur Folge.

Hier bemesse sich die Zweitwohnungsteuer gerade nicht unverändert nach dem Mietaufwand zum Stand 01.01.1964. Vielmehr werde die zu diesem Datum festgestellte oder geschätzte Jahresrohmiete nach § 5 Abs. 2 und 3 ZwStS anhand des Preisindexes der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet entsprechend der Mietpreisentwicklung im früheren Bundesgebiet zunächst auf den Stand im Monat Januar 1995 und sodann anhand des Preisindexes der Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland (nunmehr: Verbraucherpreisindex für Deutschland) entsprechend der Mietpreisentwicklung im gesamten Bundesgebiet auf den Stand im Monat September des Vorjahres des Erhebungsjahres hochgerechnet.

Die so ausgestaltete Bemessungsgrundlage weise den erforderlichen wenigstens lockeren Bezug zu dem von der Zweitwohnungsteuer erfassten Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung im Gebiet der Gemeinde Lindwedel auf. Es sei weder konkret dargelegt noch erkennbar, dass dadurch eine Vergleichbarkeit der Mietwerte der Zweitwohnungen im Gebiet der Gemeinde Lindwedel nicht mehr gewährleistet ist. Wegen der vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Fortgeltungsdauer dürfe über § 5 Abs. 2 und 3 ZwStS auch noch an § 79 BewG angeknüpft werden, obwohl das Bundesverfassungsgericht u. a. § 79 Abs. 5 BewG für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hat.

Denn erklärt das Bundesverfassungsgericht eine verfassungswidrige Norm für weiter anwendbar, ändert sich an dem Inhalt und der rechtlichen Geltung der Norm im Verhältnis zu dem Zustand vor dem Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts zunächst nichts. Ihr komme nach der Anordnung der weiteren Anwendbarkeit derselbe rechtliche Status zu wie jeder anderen Norm des geltenden Rechts; es handle sich nicht um eine Norm minderen Ranges oder minderer Geltungskraft. Die Anordnung der weiteren Anwendbarkeit besage gerade, dass zunächst auf eine Nichtigerklärung, also eine Sanktionierung des Verfassungsverstoßes, verzichtet und die Geltung der Norm daher unverändert belassen wird. Die Anordnung der weiteren Anwendbarkeit belasse die verfassungswidrige Norm für einen bestimmten Zeitraum in Geltung und erlaubt ihre weitere Anwendung in der Rechtspraxis.

Sonntagsöffnung in Solingen

Am Sonntag, 28.10.2018, durften nach einer stattgebenden OVG-Entscheidung die Geschäfte in der Innenstadt von Solingen im Zusammenhang mit dem Brückenfest geöffnet sein. Die Entscheidung fiel in einem von der Gewerkschaft ver.di gegen die Freigabe der Ladenöffnung angestrengten Eilverfahren und hat damit die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf bestätigt. (Orientierungssatz)

OVG NRW, Beschluss vom 26.10.2018
- Az.: 4 B 1546/18 -

In seiner Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht offen gelassen, ob das Brückenfest schon für sich genommen einen hinreichend gewichtigen Sachgrund darstellt, der die mit der Ladenöffnung beabsichtigte Ausnahme von der durch das Grundgesetz vorgesehenen Regel der Sonntagsruhe rechtfertigen kann. Die in zeitlichem und örtlichen Zusammenhang mit dem Brückenfest erfolgende Ladenöffnung sei jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil die Stadt Solingen damit angesichts der signifikanten Leerstandsquote von 28 Prozent der Ladenlokale in der Innenstadt und der Einbindung der Ladenöffnung in ein übergreifendes Innenstadtentwicklungskonzept das Ziel verfolge, ein vielfältiges stationäres Einzelhandelsangebot in dem zentralen innerstädtischen Versorgungsbereich zu erhalten und die Innenstadt zu beleben.

 Insoweit komme der räumlichen und zeitlichen Verknüpfung der Ladenöffnung mit dem Brückenfest, das ein Baustein in einem übergreifenden Innenstadtentwicklungskonzept der Stadt sei, ausschlaggebende Bedeutung zu. Dabei wurde auch klargestellt, dass insbesondere Maßnahmen zur Belebung von Innenstädten, zur Stärkung zentraler Versorgungsbereiche und zum Erhalt eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots grundsätzlich in erster Linie während der allgemeinen Ladenöffnungszeiten (24 Stunden an Werktagen) verfolgt werden müssen (z. B. „Lange Einkaufsnacht“).

Dies schließe nicht aus, dass die Gemeinden flankierend hierzu im Rahmen einer konzeptionellen Gesamtstrategie aus städtebaulichen und gesellschaftspolitischen Gründen verfolgte wirtschaftspolitische Stärkungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch vereinzelte räumlich und zeitlich begrenzte verkaufsoffene Sonntage gezielt ergänzen. Das erforderliche Gewicht zur Rechtfertigung eines verkaufsoffenen Sonntags hätten diese Sachgründe allerdings nur dann, wenn sich die örtliche Situation von der allgemeinen Lage des Einzelhandels im verstärkten Wettbewerb etwa angesichts der Zunahme des Online-Handels unterscheide. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Chancengleichheit im politischen Wettbewerb

Die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung einer Partei durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potenzieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, greift in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ein. Dies gilt auch außerhalb von Wahlkampfzeiten. (Orientierungssatz)

BVerfG, Urteil vom 27.02.2018
- Az.: 2 BvE 1/16 -

Die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes steht im Zusammenhang mit einer Pressemitteilung der Bundesministerin für Bildung und Forschung, bezogen auf die Partei „Alternative für Deutschland“.

Das Gericht stellte klar, die Bundesregierung sei zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei habe sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren. Das Neutralitätsgebot verpflichte die Bundesregierung, einseitig parteiergreifende Stellungnahmen zugunsten oder zulasten einzelner politischer Parteien zu unterlassen. Die Erläuterung ihrer Politik und die Zurückweisung der darauf zielenden Einwände dürfe sie nicht zum Anlass nehmen, für Regierungsparteien zu werben oder Oppositionsparteien zu bekämpfen.

Stattdessen habe sie sich darauf zu beschränken, ihre politischen Entscheidungen zu erläutern und dagegen vorgebrachte Einwände in der Sache aufzuarbeiten. Dabei unterliege die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, wie jedes Staatshandeln, dem Sachlichkeitsgebot. Das schließe die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Ein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, bestehe indes nicht.

Die grundsätzlichen Erwägungen des Urteils erscheinen auch auf die kommunale Ebene übertragbar. Zuletzt wurde das Thema in dieser Rubrik in Städte- und Gemeinderat 11/2017 anlässlich einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Düsseldorfer „Licht-aus!“-Aufruf aufgegriffen.

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