Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 616/2009 vom 18.11.2009

Verfassungsbeschwerde gegen Altpapier-Urteil

Das im Verfahren zur Zulässigkeit von gewerblichen Altpapiersammlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.6.2009 — Az.: 7 C 16.08 — Mitt. StGB NRW September 2009 Nr. 478) unterlegene private Entsorgerunternehmen hat beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerde eingereicht. Es bemängelt, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entscheidungserhebliche Auslegungsfragen des Europarechts nicht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt und so den grundgesetzlich garantierten Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt habe. Außerdem werde gegen die Berufsfreiheit verstoßen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil vom 18. 6.2009 (Az.: 7 C 16.08 — Mitt. StGB NRW Septzember 2009 Nr. 478) zutreffend entschieden, dass Altpapier aus privaten Haushalten grundsätzlich dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu überlassen ist. Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht eine ständige Altpapiersammlung durch private Entsorgungsunternehmen ausgeschlossen (vgl. auch die Urteils-Anmerkung von Queitsch, AbfallR 2009, S. 249ff.).

 

Die Verfassungsbeschwerde wurde eingereicht, ohne die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über eine Anhörungsrüge abzuwarten, deren Ablehnung einen gesonderten Verfahrensweg zum Bundesverfassungsgericht ermöglicht hätte. Das private Entsorgungsunternehmen verweist stattdessen in der Verfassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Auslegung von § 13 KrW-/AbfG, wonach eine Abfallüberlassungspflicht nicht besteht, wenn Abfälle durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden und keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Bei der Auslegung müsse das primäre und sekundäre EU-Gemeinschaftsrecht berücksichtigt werden. Der Kläger hebt hervor, dass vom Ergebnis der Prüfung viele Entscheidungen zu gewerblichen Altpapiersammlungen abhängen, die bislang überwiegend in Eilverfahren getroffen worden seien und deren Überprüfung nun zu erwarten sei. Nach jetzigem Stand seien von den Gerichten unterhalb des Bundesverwaltungsgerichts praktisch alle gewerblichen Sammlungen für zulässig befunden worden. Sofern es bei der gefunden Auslegung von § 13 KrW-/AbfG bleibe, sei vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts damit zu rechnen, dass Untersagungsverfügungen schon bald wieder ausgesprochen werden.

 

Die Geschäftsstelle weist ergänzend auf Folgendes hin:

 

Der außerordentliche Rechtsbehelf der Anhörungsrüge gemäß § 152 a VwGO verhindert nicht den Eintritt der Rechtskraft des angegriffenen Bundesverwaltungsgerichtsurteils. Mit der Anhörungsrüge, über die das Bundesverwaltungsgericht selbst zu entscheiden hat, flankiert das unterlegene Privatunternehmen seine Verfassungsbeschwerde, da diese ihrerseits die Ausschöpfung des Rechtswegs voraussetzt. Auch von der Einlegung der Verfassungsbeschwerde bleibt die Rechtskraft des BVerwG-Urteils zunächst unberührt. Die Rechtskraft des BVerwG-Urteils erfasst die grundsätzlichen Feststellungen zur Unzulässigkeit der Drittverwertung, zu den tatbestandlichen Voraussetzungen einer gewerblichen Sammlung und zu den Anforderungen an eine Untersagungsverfügung. Lediglich zur Ermittlung des Sachverhalts im konkreten Fall hat das BVerwG die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

 

Mit der Verfassungsbeschwerde wird der Entzug des gesetzlichen Richters und somit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) gerügt. Im Grundsatz erkennt zwar das Bundesverfassungsgericht den Europäischen Gerichtshof als gesetzlichen Richter im Sinne des Grundgesetzes an, so dass der Verstoß eines nationalen Gerichts gegen die Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art. 234 EGV vor dem BVerfG mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Die Vorlagepflicht zum EuGH besteht jedoch nicht, wenn die Auslegung des europäischen Rechts im konkreten Fall als geklärt angesehen werden kann (Acte-clair-Doktrin des EuGH). Insofern hat das BVerwG in seinem Urteil vom 18.6.2009 in den Randziffern 37 ff. seines Urteils ausgeführt, dass die vom EuGH bestätigten Auslegungen der einschlägigen Normen des sekundären und primären Gemeinschaftsrechts dem gefundenen Ergebnis nicht entgegenstehen. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Verfassungsbeschwerde nur prüft, ob der Verzicht eines nationalen Gerichts auf die Vorlage zum EuGH willkürlich war.

 

Vor diesem Hintergrund sind die Erfolgsaussichten der vorliegenden Verfassungsbeschwerde als äußerst gering einzuschätzen. Der Rechtsbehelf ist daher — wie auch die von den Verbänden der privaten Entsorgungswirtschaft BDE und bvse erhobenen Beschwerden bei der EU-Kommission — als politisches Instrument anzusehen, mit dem die Autorität eines rechtskräftigen höchstrichterlichen Urteils geschwächt werden soll. Gegenüber dem Bundesgesetzgeber, der im kommenden Jahr das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz novellieren wird, werden die Interessenvertreter der privaten Entsorgungswirtschaft auf die anhängigen Rechtsbehelfe verweisen, um so die faktische Bindungswirkung des kommunalfreundlichen Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts anzugreifen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) hat mitgeteilt, dieser Taktik entgegentreten.

 

Kommunen, die vor der Entscheidung über eine Untersagungsverfügung gegen eine eigenmächtige Altpapiersammlung stehen, sollten jedenfalls das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2009 als Entscheidungsgrundlage heranziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Geschäftsmodelle der Privatwirtschaft zur eigenmächtigen Erfassung von Altpapier bei Privathaushalten regelmäßig nicht die vom Bundesverwaltungsgericht in den Randziffern 30 ff. seines Urteils aufgestellten Anforderungen an eine „Sammlung“ im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG erfüllen. In einem solchen Fall ist das Verhalten des jeweiligen Privatunternehmens rechtswidrig und die für den Vollzug des KrW-/AbfG zuständige Behörde (in NRW: die untere Abfallwirtschaftsbehörde) zum Einschreiten berechtigt. Nur wenn überhaupt eine „gewerbliche Sammlung“ im Sinne des Gesetzes vorliegt, weil insbesondere keine „auf vertraglicher Grundlage in regelmäßig dauerhaften Strukturen wiederkehrende Entsorgungsleistungen“ erbracht werden, ist eine Prüfung erforderlich, ob „überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen“. In einem solchen Fall ist eine sorgfältige Abwägung anhand der Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in den Randziffern 33 ff seines Urteils erforderlich.

Az.: II/2 31-02 qu-ko

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