Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 512/2010 vom 17.11.2010

Hinweise zur Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe

Die Vergabekammer Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 08.10.2010 (VK-SH 13/10 (nicht bestandskräftig)) zur Wertung von Nebenangeboten Stellung genommen, soweit der Preis als einziges Zuschlagskriterium vorgegeben ist. Dem Beschluss zufolge dürfen in derartigen Fällen Nebenangebote nicht berücksichtigt werden. Dies folge aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Vergaberichtlinie 2004/18/EG, der mangels Umsetzung in deutsches Recht unmittelbar anzuwenden sei.

Zum Hintergrund: Der Auftraggeber schreibt Straßenbauarbeiten aus und beschreibt ausführlich die Mindestanforderungen für Nebenangebote. Als alleiniges Zuschlagskriterium bestimmt er den Preis. Drei Bieter reichen nur Nebenangebote ein, zwei Bieter auch Hauptangebote. Nach der Wertung ist ein Nebenangebot das preislich attraktivste Angebot. Zwei Bieter beantragen die Nachprüfung. Einer wegen des Ausschlusses seines theoretisch noch günstigeren Nebenangebots und ein Bieter, weil er der Ansicht ist, das für den Zuschlag vorgesehene Nebenangebot sei in technischer Hinsicht nicht gleichwertig. Keiner der Bieter moniert die Berücksichtigung von Nebenangeboten als grundsätzlich unzulässig.

Entscheidung:

Nach Auffassung der VK Schleswig-Holstein durfte keines der Nebenangebote gewertet werden, da die Zulassung von Nebenangeboten gegen Art. 24 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2004/18/EG verstoße. Danach sind Nebenangebote nur zulässig, wenn der Auftraggeber den Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilen will. Die Vergabekoordinierungsrichtlinie differenziert zwischen den Zuschlagskriterien „wirtschaftlich günstigstes Angebot" einerseits und „Preis" andererseits (Richtlinie 2004/18/EG Art. 53 Abs. 1 bzw. Erwägungsgrund 46). Im deutschen Recht ist diese Unterscheidung nicht übernommen worden (vgl. GWB § 97 Abs. 5 und VOB/A 2006 § 25 Nr. 3 Abs. 3 bzw. VOB/A 2009 § 16 Abs. 6 Nr. 3). Das deutsche Recht enthält zudem keine Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG vergleichbare Regelung, es lässt Nebenangebote stets zu.

Daher besteht ein Umsetzungsdefizit mit der Folge, dass Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG unmittelbar anzuwenden ist. Folglich dürfen die Nebenangebote nicht gewertet werden. Der Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG stellt zudem einen derart schwerwiegenden Fehler dar, dass das Vergabeverfahren von Amts wegen aufgehoben werden muss. Die bloße Nichtberücksichtigung der abgegebenen Nebenangebote verstößt gegen den Transparenzgrundsatz, da die Bieter auf die Berücksichtigung der ausdrücklich zugelassenen Nebenangebote vertraut hätten. Zudem liegt ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, da die Bieter mit Nebenangeboten benachteiligt würden. Daher bleibt nur die Aufhebung.

Bewertung aus kommunaler Sicht

Die Entscheidung der VK Schleswig-Holstein knüpft an den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 07.01.2010 (Verg 61/09) zur Wertung von Nebenangeboten an. Das OLG Düsseldorf hatte ebenfalls festgestellt, dass die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten grundsätzlich ausscheidet, wenn das Zuschlagskriterium allein der günstigste Preis ist. Nach Art. 24 Abs. 1 VKR dürften die Auftraggeber Nebenangebote nur bei Aufträgen berücksichtigen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigen Angebots vergeben werden.

Einen gleichlautenden Beschluss hat zwischenzeitlich auch die Vergabekammer Brandenburg veröffentlicht (Beschluss vom 08.11.2010 - VK 51/10 — nicht bestandskräftig). Grundsätzlich ist die vorgenannte Rechtsprechung mit Blick auf den Wortlaut des Art. 24 der EU-Richtlinie 2004/18/EG („Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot“) im Falle der Wertung von Nebenangeboten nachvollziehbar. Es bleibt aber abzuwarten, ob weitere Oberlandesgerichte nicht zu einer anderen vergaberechtlichen Bewertung kommen. Vorbehaltlich einer abschließenden Klärung der Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof beziehungsweise durch den Europäischen Gerichtshof bleibt kommunalen Auftraggebern insbesondere Folgendes zu raten:

  1. Sind im Falle einer europaweiten Ausschreibung Nebenangebote zugelassen (vgl. § 9 Abs. 5 EG-VOL/A) beziehungsweise Nebenangebote nicht ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3a VOB/A), ist kommunalen Auftraggebern zu empfehlen, nicht auf den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium abzustellen, sondern neben dem Preis mindestens ein weiteres Zuschlagskriterium (zum Beispiel Qualität der (Bau-)Leistung, Lieferfristen o. ä.) zu benennen. In diesem Falle ist es zudem erforderlich, eine (prozentuale) Gewichtung der jeweiligen Zuschlagskriterien vorzunehmen. Anderenfalls scheidet die Zulassung und Wertung von Nebenangebote aus.
  2. Werden im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung Nebenangebote zugelassen beziehungsweise nicht ausdrücklich ausgeschlossen, sind die kommunalen Auftraggeber verpflichtet, in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festzulegen, welche die Nebenangebote erfüllen müssen. Fehlen Mindestanforderungen an Nebenangebote, ist der zwingende Ausschluss der Nebenangebote von der weiteren Angebotswertung die Folge.
  3. Da das OLG Düsseldorf sowie die vorbenannten Vergabekammerentscheidungen ausdrücklich auf die Regelung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2004/18/EG abgestellt haben, ist zu schlussfolgern, dass die vorbezeichneten Voraussetzungen und möglichen Rechtsfolgen ausschließlich bei Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte (VOB: 4,845 Mio. Euro, VOL: 193 000 Euro) beachtet werden müssen. Die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten bleibt daher im Bereich nationaler Vergabeverfahren weiterhin möglich, auch wenn das Zuschlagskriterium allein der günstigste Preis ist.
  4. Nach Auffassung des DStGB sowie des Städte- und Gemeindebundes NRW muss für die Zukunft sichergestellt bleiben, dass insbesondere Städte und Gemeinden ohne eine unverhältnismäßige Einschränkung Nebenangebote zulassen und auch werten können. Die fragwürdige Forderung nach Benennung mehrerer Zuschlagskriterien schränkt den Handlungsspielraum der Vergabestellen stark ein. Öffentliche Auftraggeber sollten selbst entscheiden können, ob sie unter dem Aspekt der „Wirtschaftlichkeit“ ausschließlich das Kriterium „Preis“ oder das Kriterium „Preis“ sowie weitere Zuschlagskriterien (einzelfallbezogen) benennen wollen.

Eine Präzisierung der europarechtlichen Vorgaben (Art. 24 Abs. 1 VKR) wird möglicherweise im Rahmen der von der EU-Kommission angekündigten Überarbeitung der europäischen Vergaberichtlinien ab dem Jahr 2011 möglich sein. Der DStGB wird sich in diesem Sinne einlassen. (Quelle: DStGB)

Az.: II/1 608-00

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